Wir reisten schweigend weiter. Weder Rufus noch die Ritter hatten während unserer Reise ein Wort gesprochen. Angesichts ihres Schweigens hörte ich auf, Fragen zu stellen und behielt meine Fragen für mich.
Bald erreichten wir schließlich das Herrenhaus des Herzogs. Als wir uns dem Hügel näherten, auf dem das Schloss stand, versetzte mich seine Pracht in Erstaunen.
In meinem ganzen Leben bin ich noch nie in die Nähe dieses Herrenhauses gekommen. Ich habe es nur aus der Ferne betrachtet. Aber jetzt, wo es direkt vor mir steht, fällt mir auf, wie riesig und groß es ist.
Unbewusst habe ich meine Hände fest umklammert. Je näher wir den hoch aufragenden Toren kamen, desto mehr pochte mein Herz.
Als wir an den Toren vorbeikamen, hörte ich, wie mein Herz sank. Das Betreten dieses Anwesens ließ die Hoffnung schwinden, das Anwesen jemals wieder verlassen zu können.
Ich würde entweder tot sein oder hier leben, bis seine Lordschaft mich verschlingt. Aber das ist schon in Ordnung, Lilou. Alle auf dem Feld wären in Sicherheit.
Zumindest hatte dein Tod etwas Gutes für andere bewirkt. Diese Überlegung war mein Trost gewesen, denn ich dachte, mein Tod würde das Leben meiner Lieben retten.
"Mylady", rief Rufus streng und streckte seinen Arm aus, als er mir die Hand reichte.
Die Art, wie er mich ansprach, war mir unangenehm. Ich erkannte, dass er lediglich versuchte, höflich zu sein. Allerdings hatte er es nicht nötig, so zu sprechen, als wäre ich eine Dame mit einem Titel.
Zögernd griff ich nach seiner helfenden Hand. Ich bemerkte jedoch, wie schmutzig meine Hände und Nägel im Vergleich zu seinen waren.
Also zog ich meine Hand zurück und hielt sie näher an meine Brust. Ich warf einen Blick auf Rufus, der die Brauen hochzog, als er meine sich zurückziehende Hand sah.
"Ich habe schon unzählige abgetrennte Köpfe gehalten und Feinde ohne zu zögern getötet. Glaube mir, wenn ich sage, dass meine Hände schmutziger waren als deine."
sagte Rufus und erriet meine Besorgnis, was amüsant war. Ich schürzte meine Lippen zu einer dünnen Linie, holte tief Luft und nahm seine Hand an.
Glücklicherweise missverstand er meine Handlung nicht. Es wäre ein Problem, wenn er daraus etwas anderes schließen würde.
Mit der Hilfe von Rufus stieg ich vom Pferd ab. Danach führte mich Rufus zur Eingangstür des Herrenhauses.
Ich biss mir auf die Unterlippe, denn ich wusste, dass ich nicht zurückkehren konnte. Ich konnte nicht zurückblicken und meine Meinung ändern.
Ich holte tief Luft, als die beiden verschlossenen Türen knarrend aufgingen. Bei dem unheimlichen Geräusch, das es verursachte, schlug mein Herz sofort vor Angst.
In der Sekunde, in der sie sich öffnete, kamen ein Butler und ein paar Dienstmädchen vom roten Teppich. Sobald sich die Tür öffnete, legten sie alle ihre Handflächen auf die Brust und verbeugten sich.
"Willkommen in der bescheidenen Residenz des Herzogs." Der Butler, der jünger zu sein schien als der Herzog und Rufus, begrüßte uns höflich.
Instinktiv warf ich einen Blick auf Rufus. Rufus starrte auf die Dienerschaft vor ihm. Er stapfte wortlos hinein und schenkte dem Butler und dem Dienstmädchen keine Beachtung.
Was ist mit mir? fragte ich mich. Warum hat Rufus mich hier zurückgelassen?
Verwirrt ließ ich den Kopf hängen, während ich meine Hand zusammenhielt.
"Ich werde mich in deine Obhut begeben."
Ich platzte heraus, im Glauben, in diesem Herrenhaus müsste ich wohl eine Rekrutin sein. Was anderes konnte ich hier schon tun, außer Dienstmädchen und menschlicher Proviant zu sein?
"Gnädige Frau, ich, Fabian, der Oberbutler des Herzoglichen Anwesens, stehe zu Eurer Verfügung. Es wurde uns befohlen, uns um Eure Wohl zu kümmern. Alles ist vorbereitet. Bitte folgen Sie mir." Der junge Butler wies mir den Weg.
Ich zog die Stirn kraus und folgte ihm zögerlich. Ich verstand nicht ganz die Förmlichkeit des Butlers. Behandelte ein Butler etwa jeden Besucher hier mit solcher Höflichkeit?
Ich schob meine Verwirrung zur Seite und folgte ihm. Dabei konnte ich nicht anders, als meine Blicke schweifen zu lassen.
Schon die Eingangshalle des Anwesens war überwältigend, mit einem Kronleuchter, der im Licht funkelte, peinlich genau gepflegten Möbeln und einer Vielzahl von Kerzenleuchtern, die jede Ecke des Hauses erhellten.
War das hier etwa ein Palast? fragte ich mich.
Noch nie war ich an einem solchen Ort gewesen. Aus meiner Sicht war dieses Herrenhaus schon zu prunkvoll. Ich fragte mich, ob der Palast noch eleganter als der Herzogssitz sein konnte?
Wenn ja, dann hatte der Herzog recht gehabt, als er sagte, meine Vorstellungskraft sei bei weitem zu begrenzt. Ich konnte mir nicht ausmalen, wie faszinierend die Architektur des Palastes sein musste.
Während Fabian voranging und weitersprach, versuchte ich aufmerksam zu sein, denn ich wusste, dies war wichtig für eine neue Bedienstete wie mich.
Allerdings war ich zu sehr damit beschäftigt, mich umzusehen, und wie dieses Herrenhaus wirkte, als wäre noch Tag! Eine einzige Lampe genügte, um meine Hütte zu erleuchten, und das genügte mir völlig.
Und dieses Anwesen benötigte all diese Beleuchtung? Offenbar führten die Adligen ein Leben, das sich einfache Leute nicht einmal vorstellen konnten.
Mitten in meinen Gedanken bemerkte ich, wie Fabian stehen blieb. Instinktiv hielt auch ich inne und beobachtete ihn, wie er sich langsam zu mir umdrehte.
Ich hob meine Augenbrauen und blinzelte verständnislos, als er mir ein freundliches Lächeln schenkte.
"Meine Dame, die Kammerzofen haben für heute Abend Ihr Bad und Ihre Kleidung vorbereitet," sagte Fabian und deutete auf die Tür zu unserer Rechten.
Ohne zu verstehen, neigte ich den Kopf. Ein Bad und Kleidung?
Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal im Fluss gebadet hatte. Aber sie wollten, dass ich hier bade? Hier, im Herrenhaus des Herzogs?
Vielleicht war es ja normal, dass Dienstmädchen und Butler sich sauber hielten, um dem Herzog zu dienen?
Ich nickte verständnisvoll und wartete darauf, dass Fabian die Tür öffnete. Ich wollte kein Missverständnis heraufbeschwören, aber ich fühlte mich, als würde ich alles beschmutzen, wenn ich hier etwas anfasste.
"Weiter darf ich Euch nicht begleiten, meine Dame. Der Herzog hat befohlen, dass ich Abstand halten soll, ansonsten muss ich mir heute Nacht wohl mein eigenes Grab schaufeln." Noch immer mit einem freundlichen Lächeln, informierte Fabian mich.
"Oh", erwiderte ich langsam und fühlte mich klein, angesichts von Fabians Ruhe trotz der Drohung des Herzogs.
Wie unvernünftig konnte er nur sein?
Ich machte einen Schritt nach vorn und warf Fabian einen unsicheren Blick zu. Er lächelte mich an, da er mein anhaltendes Starren bemerkte.
"Ich werde ..." Ich beendete den Satz nicht, vergaß, was ich eigentlich sagen wollte.
Zögerlich legte ich meine Hände auf die Türfläche. Mit einem Nicken stieß ich sie auf.Überraschenderweise erblickte ich einen hellen Marmorboden. Eine Badewanne in der Mitte, ein weiterer kleiner Kronleuchter hing an der hohen Decke, und an den Wänden befanden sich Kandelaber.
Zwei Dienstmädchen waren im Raum, prüften die Wassertemperatur und kontrollierten das Ambiente. Als sie das Öffnen der Tür vernahmen, hielten sie inne und verneigten sich tief vor uns.
"Meine Dame, Ihr seid nun in ihrer Obhut. Vollendet die Vorbereitungen, bevor der Herzog eintrifft," befahl Fabian, immer noch ruhig und höflich.
"Ja, Mister Fabian," antworteten die Mägde im Chor.
"Meine Dame, wenn Ihr gestattet," näherte sich eine Dienerin und signalisierte mir, einzutreten.
Bis hierhin hatte ich alles noch verwirrend gefunden. Als ich Fabian beim Eintritt ansah, gab er mir lediglich ein Lächeln und deutete an, dass ich eintreten solle.
Schon bald schloss sich die Tür hinter mir und die Dienerin bat darum, mich auskleiden zu dürfen.
Überrascht schlug ich meine Arme schützend vor meiner Brust zusammen.
"Ich kann mich selbst baden!"
rief ich aus, sie misstrauisch anblickend. Ihre Behandlung von mir, als ob ich ein edler Gast wäre, verwirrte mich nur noch mehr.
"Aber, meine Dame, es ist unsere Aufgabe, Euch zu baden und zu kleiden," erklärte ein Dienstmädchen höflich und hielt einen sicheren Abstand.
Schweigend betrachtete ich die Gestalt der beiden Dienerinnen. Hatte der Herzog auch ihnen gedroht?
"Wenn wir Euch nicht zu Diensten sind, müssen wir heute Nacht wohl unsere Gräber selbst schaufeln, meine Dame," erklärte eine von ihnen.
Das war mir klar. Mit knirschenden Zähnen biss ich auf meine Unterlippe.
"Also gut," erwiderte ich entschuldigend, denn wenn ich Schwierigkeiten bereitete, könnten sie ihr Leben verlieren.
Die Dienerinnen halfen mir, mich auszuziehen. Es war anfangs seltsam, völlig nackt vor ihren Augen zu stehen. Aber es schien, als sei es ihnen egal, meinen nackten Körper zu betrachten.
So entspannte ich mich nach und nach. Mein Kleid ließ sich einfach lösen.
Es dauerte nur kurz, bis ich gänzlich nackt war. Zuerst wuschen sie meine Hände. Das Wasser fühlte sich warm und erfrischend auf meiner Haut an.
Ich beobachtete, wie sich der Schmutz von meinen Händen löste. Meine Hände waren selten so sauber gewesen. Unbewusst formte sich ein subtiles Lächeln auf meinen Lippen.
Nachdem sie meine Hände und Füße gereinigt hatten und den Schmutz von meinem Körper abgewischt hatten, bat man mich, in die Wanne zu steigen. Ich zögerte leicht, nervös darüber, im Bad zu sein.
"Sind Sie sicher, dass ich …?" Ich war hin- und hergerissen beim Anblick des sauberen Wassers in der Wanne und blickte dann zur Dienerin.
"Ganz sicher, meine Dame," antwortete sie mit einem freundlichen Lächeln.
Ich atmete tief durch. Diese Dienerinnen müssen mich für dumm halten, weil ich zögerte, zu baden. Ich hatte nur von Adligen gehört, die solchen Luxus genossen.
Habe ich diesen Luxus verdient?
Ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe.
"Ja," flüsterte ich leise.
Langsam schlich ich mich auf Zehenspitzen in die Wanne. Als meine Zehen das warme Wasser berührten, klopfte mein Herz vor Aufregung.
Ich lächelte, während ich meine Füße in die Wanne tauchte und dann den anderen Fuß folgen ließ. In der Wanne stehend blickte ich zu den Dienerinnen und lächelte strahlend.
Als sie mein Lächeln sahen, erwiderten sie dies mit einer freundlichen Geste. Ich fühlte mich friedlich; es war keine schreckliche Erfahrung vor dem eigenen Tod.
Langsam lies ich meinen Körper ins warme Wasser sinken und fühlte sofort die entspannende Umarmung des Wassers. Es war entspannend und phänomenal.
Tränen der Rührung stiegen mir in die Augen, und ich lachte kurz auf. Ich wusch mir die Schultern und hielt mich zurück, nicht zu weinen und zu lachen zugleich.
Der Herzog... er war wirklich ein Sadist. Er wollte, dass ich das Beste im Leben erlebte, aber die Konsequenzen hielten mich davon ab, echte Freude zu empfinden.
"Geht es Euch gut, meine Dame?" fragte die Dienerin besorgt.
"Ja," antwortete ich und starrte auf die Wellen im Wasser. "Das sollte ich wohl."
fügte ich bitter hinzu. Ich bespritzte mein Gesicht mit Wasser und ermahnte mich, zumindest ein wenig Freude zu genießen, bevor mein Leben endete.
Die Dienerinnen schrubbten jeden Teil meines Körpers. Ich hatte mich nie so erfrischt gefühlt, als der lang anhaftende Schmutz nun von meiner Haut fiel.
Es war, als würde ich zu einer neuen Person.
Nach dem Bad halfen sie mir ohne Zögern, mich anzuziehen. Anstelle der abgetragenen Kleider, die ich gewohnt war, hüllten sie mich in ein prächtiges Gewand aus Rot und Gold.
Das enge Korsett machte meine Taille schlanker und hob meinen Busen. Sie bewegten sich geschwind und lobten sogar, wie schlank meine Figur war und wie leicht das Korsett zu schnüren sei.
Als sie mit dem Ankleiden und dem Herrichten meiner Haare fertig waren, betrachtete ich im Spiegel die Fremde, die mich ansah.
"Wer... ist sie?" murmelte ich und blinzelte langsam, da ich mich selbst nicht erkannte.
Der Schmutz war von meinem Gesicht gewichen. Meine Haut sah blass aus, und die schwachen Sommersprossen auf meinem Gesicht waren mir nie zuvor aufgefallen.
Langsam berührte ich mein Gesicht. Es war klein, und mir war nie aufgefallen, dass ich eine spitze Nase hatte.
Es war, als würde ich mich zum ersten Mal selbst sehen. Ich hatte mein Spiegelbild oft im Wasser gesehen, aber nie so klar.
Mit den Kleidern, die ich trug, hätte ich mich fast selbst für eine noble Dame gehalten. Wie eigenartig.
"Der Herr ruft Euch in sein Arbeitszimmer, meine Dame," informierte die Dienerin nach einer Weile.
"Mhm," summte ich leise und sah mich noch ein letztes Mal an.