Ein Tag verging, seit der großen Schlacht gegen die Wolfsflut. Im Dorf Lont herrschte ein festlicher Geist, da man nur knapp einer Katastrophe entgangen war.
Leider konnten einige andere Städte und Dörfer ihre Freude nicht teilen. Zahlreiche Brieftauben waren im Ainsworth-Anwesen eingetroffen und die meisten davon überbrachten schlechte Nachrichten.
James grübelte, während er den neuesten Brief las. Nach einer Weile seufzte er tief und legte den Brief sorgfältig auf die rechte Seite des Tisches.
"Die Stadt Fuschia wurde von der Bestienflut überrannt. Es gab keine Überlebenden", verkündete James.
"Das ist nun die dritte Stadt, die ausgelöscht wurde", merkte Owen an. "Die armen Seelen."
"Diese Bestienflut kam wirklich ohne Vorzeichen." Helen verzog das Gesicht. "Wären die Verteidiger von Lont nur ein wenig schwächer gewesen, hätte diese Stadt dasselbe Schicksal erlitten wie die anderen."
Alle Anwesenden nickten stumm in Übereinkunft mit Helens Einschätzung. Wären sie nicht hier gewesen, läge dieses Dorf wohl schon in Trümmern.
"Lassen wir auf Johns Erkundungsmission warten", schlug Marcus vor. "Wir können unsere nächsten Schritte planen, sobald wir seinen ausführlichen Bericht haben."
"Findet ihr es gut, wenn wir Lont für Flüchtlinge öffnen?", warf Shawn in den Raum.
Das war keine leichte Frage. Lont war ein friedlicher Ort, den man gerne so erhalten wollte. Sollten Flüchtlinge die Stadt überschwemmen, würde die bisherige Ordnung gestört, und genau das wollte man vermeiden.
Doch wie konnten sie all jene abweisen, die dringend Hilfe benötigten? Diejenigen, die alles verloren hatten? Obwohl niemand im Raum unschuldig war und alle Hände blutbefleckt hatten, besaßen sie doch noch ein Stück Menschlichkeit.
Wenn es hart auf hart käme, würden sie den Flüchtlingen dennoch die Hand reichen und Unterstützung anbieten.
Nachdem sie die Wölfe zurückgeschlagen hatten, befand sich Lont im Notstand. Niemand durfte die Stadt verlassen, außer die wenigen Eliten, die für die Sicherheit von Lont verantwortlich waren. Die Wölfe auf dem Schlachtfeld wurden derzeit gesäubert und in Trockenfleisch verwandelt.
Das war ihre Art, den Flüchtlingen zu helfen, damit sie etwas zu essen hätten, wenn sie in ihrer kleinen Stadt ankämen. Die tausenden von Wölfen würden ausreichend sein, viele Menschen zu ernähren. Was die Jahrhundert- und Jahrtausendbestien anging, hatten sie nicht vor, diese mit jemandem zu teilen.
Es waren magische Bestien, welche die nächste Generation nähren sollten, und nur die ursprünglichen Bewohner hatten das Privileg, ihr Fleisch zu essen. Ihr Pelz, ihre Krallen und Hörner konnten zur Waffen- und Rüstungsherstellung genutzt werden.
Es war bedauerlich, dass die zwei Jahrhundertbestien Selbstmord begingen, als sie sahen, dass ihr Anführer gefallen war. Hätten sie überlebt, hätte William einige Stufen für seine Berufsklasse Hirte aufsteigen können.
Trotzdem grübelte der Junge nicht zu lange darüber nach. Zwei Jahrhundertbestien waren nicht mit einer Jahrtausendbestie zu vergleichen. Würde William wählen müssen, würde er jederzeit die letztere bevorzugen.
Im Konferenzraum lag eine bedrückende Stimmung in der Luft. Fast alle Städte und Dörfer in der Nähe von Lont waren entweder zerstört worden oder gänzlich von der Landkarte verschwunden.
John und sein tierischer Gefährte Blitz hatten beschlossen, eine Erkundungsmission zu unternehmen, um sich ein klareres Bild der aktuellen Lage zu machen. Lont lag am westlichen Rand des Hellanischen Königreichs.
Es war ziemlich weit von der Hauptstadt entfernt und man brauchte mindestens fünf bis sechs Tage, um dort mit einem fliegendem Tier wie einem Greifen zu gelangen.
"Fürs Erste warten wir auf Johns Rückkehr", fasste James zusammen, nachdem er seine Gedanken geordnet hatte. "Wenn Flüchtlinge in Lont eintreffen, können wir sie vorübergehend im Rathaussaal unterbringen. Dort ist Platz für bis zu zweihundert Personen."
Alle nickten zustimmend und nach einigen weiteren Diskussionen kehrten alle zu ihren Pflichten zurück.
James seufzte zum x-ten Mal, während er gegen die Decke starrte. "Ich frage mich, wie der König auf diese Katastrophe reagieren wird."
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William blickte aus dem Fenster seines Zimmers. Der Kampf gegen die Jahrtausendbestie hatte ihm viel beigebracht. Es war die zweitgefährlichste Erfahrung in seinem bisherigen Leben, musste er zugeben.
Das Ausmaß des Kampfes unterschied sich gewaltig von der kontrollierten Atmosphäre des Kerkers. Im Kerker hatte William die Chance zur Flucht. Doch in der Außenwelt gab es keine zweite Chance.
Der Junge öffnete seine Statusseite und überprüfte den Titel, den er erworben hatte, nachdem er die Jahrtausendbestie besiegt hatte.
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< Wölfebezwinger >
"Zeit, Rotkäppchen zu retten!"
-- Erhöht den Angriff gegen Wolfstyp-Monster um 50%.
-- Stärke +3
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William hatte viel aus dem Kampf gewonnen. Sein Beruf als Eismagier hatte das Maximallevel erreicht. Nicht nur das, er schaltete auch die Fertigkeit "Stilles Zaubern" frei. Diese Fähigkeit hatte sich William schon immer gewünscht. Sie ermöglichte es ihm, Zaubersprüche zu wirken, ohne sie laut aussprechen zu müssen.
Nun standen ihm mehrere Optionen offen. Er konnte seinen Hirtenberuf weiterentwickeln oder den nächsten Schritt machen und seinen Eismagier zu einer stärkeren Klasse aufsteigen lassen.
William öffnete das Aufstiegsmenü für Berufe. Er hatte mehrere Optionen zur Auswahl, allerdings waren die meisten davon gesperrt. Es gab sogar einige, die unbekannt waren.
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< Eiskundiger >
< Elementarherr > (Gesperrt)
< Kampfmagier > (Gesperrt)Magischer Schwertkämpfer > (Gesperrt)
Arkaner Waldläufer > (Gesperrt)
Kryo-Lanzenreiter > (Gesperrt)
???
???
???
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Das System informierte ihn, dass die Jobs mit Fragezeichen als "Prestigeklassen" bezeichnet werden. Für deren Erlangung waren, laut System, Zufallsbegegnungen und großes Glück notwendig.
William machte sich darüber nicht viele Gedanken, denn er hatte bereits eine Prestigeklasse in Aussicht, die er freischalten konnte – den "Schüler des Donners".
Die Anforderungen dafür waren simpel: Er musste zwei Berufsklassen auf ihre Maximalstufe bringen. Es war eine klar definierte Bedingung, und William musste nur noch eine weitere Berufsklasse maximieren, um sie freizuschalten.
Die Grundberufe wie der Schwertkämpfer, Bogenschütze, Speerträger, Magier und so weiter mussten Stufe 40 erreichen, um zur nächsten Berufsklasse aufsteigen zu können. Die einzige Frage, die William derzeit hatte, war, welche Berufsklasse er als nächstes wählen sollte.
Die Schafhirten-Klasse war seine permanente Hauptklasse. Um das Beste aus beiden Welten zu ziehen, würde das Aufleveln dieser Klasse ihm die meisten Vorteile bringen.
William war jedoch sehr versucht, die Eismagier-Klasse gegen eine der anderen Klassen einzutauschen.
Laut dem System konnte man, sobald man die Maximalstufe einer Klasse erreicht hatte, "eine Fähigkeit" zu der Liste der permanenten Fähigkeiten hinzufügen.
Was bedeutete das? Es bedeutete, dass William, wenn er den Eismagier gegen eine andere Berufsklasse tauschte, eine Fähigkeit aus der Eismagier-Klasse auswählen und zu seinem Hauptfertigkeitsplatz hinzufügen konnte.
Selbst wenn er sich beispielsweise für den Schwertkämpfer entscheiden würde, könnte er weiterhin die Eislanze einsetzen, wenn er wollte. Er könnte auch Fähigkeiten wie "Zaubern ohne Gesänge", "Eisrüstung", "Eiswall" oder "Manaregeneration" wählen.
Eine permanente Fähigkeit aus einer Berufsklasse zu besitzen, würde Williams Arsenal deutlich stärken.
"Kampfmagier und Magischer Schwertkämpfer klingen interessant", murmelte William, während er diese beiden Berufsklassen betrachtete. Obwohl sie noch gesperrt waren, konnte er ihre Anforderungen sehen.
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Kampfmagier >
Kraft und Magie stehen dir zur Verfügung. Wer sagt, dass ein Magier nicht im Nahkampf kämpfen kann?
Voraussetzungen:
-- Beliebige Magier-Berufsklasse Stufe 40
-- Mönch-Berufsklasse Stufe 40
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Magischer Schwertkämpfer >
Die perfekte Kombination aus Schwert und Magie. Für denjenigen, der beides in seiner Hand vereint, ist nichts zu heiß oder zu kalt.
-- Beliebige Magier-Berufsklasse Stufe 40
-- Schwertkämpfer-Berufsklasse Stufe 40
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William kratzte sich am Kopf. Er konnte sich nicht entscheiden. Das Problem mit dem Multi-Klassen-System war, dass es viel Zeit in Anspruch nahm, eine Berufsklasse zu maximieren.
Die Wolfsflut war ein "spezielles Ereignis", das nicht oft stattfand. William wusste, dass es nicht leicht war, ein Jahrtausend-Biest zu töten. Hätte das Biest, dem er gegenüberstand, nicht bereits geschwächt gewesen wäre, hätte er keine Chance gehabt, es zu töten.
Nach Bestienfluten suchen? Das wäre eine sehr törichte Idee.
Obwohl die Menschen von Lont überraschend stark waren, wollte er nicht, dass eine weitere Bestienflut in ihre Richtung zog.
"Eins nach dem anderen", seufzte William. "Ich muss nichts überstürzen. Eine Berufsklasse in meinem aktuellen Alter zu maximieren, ist schon ein Erfolg."
Plötzlich dachte William an seine Ex-Verlobte Rebecca. Es hieß, sie sei ein Genie, das nur einmal alle zweihundert Jahre geboren wurde. Wenn das junge Mädchen wüsste, dass er bereits ein ausgebildeter Eismagier war, was würde sie denken? Was würden ihre Mutter, Agatha, und ihre Meisterin, Eleanor, denken?
William lächelte amüsiert. "Das geht nicht, ich werde schon wieder selbstgefällig."
Er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen. Was er nun brauchte, war eine Entscheidung, welche Berufsklasse Vorrang haben sollte.
"Soll ich zum Eiszauberer aufsteigen oder eine der Grundberufsklassen wählen? Argh, Entscheidungen sind lästig!" William kratzte sich zum x-ten Mal am Kopf.
"Ich denke, ich sollte Mama Ella um Rat fragen. Vielleicht kann sie mir eine zweite Meinung geben."