Der junge Mann erhob sich und griff nach dem Beutel mit dem Wein, den Kate widerwillig geteilt hatte. Er zog eine der Flaschen heraus, betrachtete das Etikett und kicherte, während er seine perlweißen Zähne entblößte. "Uff, was für ein starker Wein, den du hier hast. Willst du dich wirklich so betrinken, dass du dich nicht mehr erinnerst, hm?"
Mit geübter Leichtigkeit öffnete er zwei Flaschen Wein und reichte Kate eine davon als echter Gentleman. "Hier ist deiner. Ich schätze, du hast im Moment viele Gründe zu trinken. Du musst erschöpft sein von all dem, was dir zu schaffen macht. Trink dich mit mir volle Kanne und vergiss alles, ja?", schlug er vor.
Kate zögerte einen Augenblick. Mit einem fremden Mann sich zu betrinken, war schließlich nicht die sicherste Sache der Welt. Der Blick des Mannes vermittelte ihr jedoch eine beruhigende Sicherheit, als würde er ihr stumm versichern, dass alles gut sein wird. Zumindest für heute Nacht.
Entschlossen griff Kate nach der Flasche und nahm einen großen Schluck, ohne es sich zweimal zu überlegen. Sie verzog das Gesicht, als sie das Brennen des Alkohols in ihrer Kehle spürte. Aber das verging schnell, und bald war sie entspannt genug, um weiter zu trinken.
Diesmal genoss sie den süßen und würzigen Geschmack des Weins, der sich in ihrem Mund ausbreitete, bevor sie ihn schließlich herunterschluckte.
Der geheimnisvolle Mann hatte sie die ganze Zeit aufmerksam beobachtet. Als sie begann, sich in das Sofa zu sinken, meinte er leise: "Genau so. Wir sind hier, um zu entspannen und über unsere Probleme zu reden, wenn wir betrunken genug sind."
Nach dem Vorbild von Kate lehnte er sich auch zurück, bevor er die Hälfte seiner Flasche in einer geschmeidigen Bewegung hinunterstürzte. "Ahh... das bringt's, schön."
Kates Augen wanderten instinktiv über ihn und bewunderten, wie einladend sein ausgestreckter Hals aussah, hätte er ein paar Knutschflecken gehabt. Glücklicherweise bemerkte er es nicht. Entschlossen wehrte sie die erotischen Gedanken ab, die ihr in den Sinn kamen - sie war hier, um zu trinken und sich auszusprechen, nur das und nicht mehr. Sie trank erneut einen großen Schluck Wein.
Das war von Anfang an sowieso ihr Plan gewesen. Es war egal, ob dieser Mann da war oder nicht.
Sie starrte zur Decke, vertieft in ihre eigenen Gedanken, ohne den Mann wahrzunehmen, der ihr gegenüber saß, und ohne zu bemerken, wie fixiert sein intensiver Blick auf ihr lag. Es herrschte eine lange, verständnisvolle Stille zwischen ihnen, bis Kate schließlich den Mut aufbrachte zu fragen: "Wie heißt du?"
Der Mann grinste frech. "Hätte nie gedacht, dass die Chefredakteurin sich für mich interessieren würde. Willst du wirklich meinen Namen wissen?"
"Pah, vergiss es", machte Kate mit der Zunge ein Geräusch und sah weg. Sie hatte keine Lust mitzuspielen.
"Hey, sei nicht so verkrampft, ich mache nur Spaß", sagte der Mann. "Ich glaube nicht, dass du meinen Namen kennen musst. Das ist unnötig."
"Unnötig? Du kennst meinen Namen schon, und ich darf deinen nicht wissen?" Kate verdrehte die Augen. "Ich dachte, du wolltest, dass wir uns entspannen und über die Probleme des anderen reden. Aber du kannst mir nicht einmal deinen Namen nennen, wie soll ich dir dann vertrauen, dass du meine Probleme anhörst?"
"Du kannst mir alle deine Probleme erzählen, ohne meinen Namen zu kennen. Du brauchst nur jemanden, bei dem du dich auslassen kannst... Außerdem werden wir uns nach heute Abend nie wiedersehen. Anonymität hat etwas Schönes."
Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: "Es ist sogar besser, wenn du nicht weißt, wer ich bin. Denn das bedeutet, dass wir immer Fremde sein werden, und was kümmert es dich, was ein Fremder über dein Leben denkt?"
Kate schwieg einen Moment und dachte über das nach, was dieser geheimnisvolle Mann gerade gesagt hatte. Irgendwie stimmte sie ihm zu.
Es war besser, ihre Probleme einem völlig fremden zu erzählen. Denn alles, was sie jetzt brauchte, war jemand, der sich ihre Sorgen anhörte, genau in diesem Moment. Sie brauchte jemanden, der wusste, dass sie sich abgerackert hatte für Matt, dass sie als Ehefrau ihr Bestes getan hatte, um ihn trotz ihrer Unfruchtbarkeit glücklich zu machen. Und doch war das immer noch nicht genug.
Morgen würde sie wieder die selbstbewusste und tüchtige Chefredakteurin sein, die in der Öffentlichkeit und privat fast nie Schwäche zeigte. Sie würde wieder die unabhängige Frau Katherine Woods sein. Aber heute war die Mauer um sie herum zerbrochen, zusammen mit ihrem Herzen. Sie fühlte sich schrecklich verletzlich und wertlos.
Schließlich drehte Kate ihren Kopf zu dem geheimnisvollen Mann und forderte: "Versprich mir, dass du auch deine Geschichte erzählst, nachdem ich dir meine erzählt habe. Ich will nicht die Einzige sein, die schwach ist."
"Klar, ich brauche sowieso jemanden, der sich mein Leid anhört."
Kate nickte leicht. Sie hob ihr Glas und nahm einen großen Schluck von ihrem Wein, ihrem flüssigen Mut. Sie wartete, bis ihr Hals wieder brannte, und nahm das als Zeichen dafür, dass es an der Zeit war, den Schmerz, den sie tief in sich vergraben hatte, herauszuschütten. Der Mann vor ihr tat es ihr gleich.
"Tja, ich weiß nicht, wie ich mein Problem erklären soll", seufzte Kate. "Ich habe anderen nie von meinen Sorgen und Schmerzen erzählt, weil ich nicht schwach erscheinen wollte."
"Dann lass mich raten, was dein Problem ist", sagte der Mann, während er ihr in die Augen sah und tief in ihre Seele blickte. "Es wird dir nicht schwer fallen zu sprechen, wenn ich das Problem kenne, nicht wahr?"
"Raten?" Kate runzelte die Stirn. "Wie kannst du mein Problem erraten?"
"Ich kann, weil es so offensichtlich ist. Du bist wie ein offenes Buch, Katherine."
"Dann mach's."
Das Lächeln des Mannes wurde breiter, und als er sprach, tat er das mit einer Selbstsicherheit, als ob er die Wahrheit bereits kennte und nicht nur spekulierte. "Du bist mit einem nutzlosen Mann verheiratet, der sich weigert, einen Job zu finden, also musst du verrückte Überstunden machen, um seine Faulheit zu kompensieren, richtig?"
Kates Augen weiteten sich schlagartig. Vor Schreck hätte sie fast ihre Weinflasche fallen lassen.
"Wie... Wie hast du das gewusst?" konnte Kate gerade noch fragen. Sofort war sie wieder alarmiert. "Im Ernst, bist du mein Stalker oder was?"
"Heh, ich muss dich nicht einmal stalken, um das zu wissen." Der junge Mann streckte lässig einen Finger aus und deutete auf Kates Hand. "Dieser Ring sagt mir alles."