'Verdammt!'
Das war der einzige Gedanke in Sunnys Kopf, als er ungeschickt nach hinten fiel und die Zange mit einem lauten "Klack" direkt vor seinem Gesicht zuschnappen ließ. Die gezackten, chitinhaltigen Klingen waren so nah, dass er deutlich sehen konnte, wie Schlammstücke an ihrer Oberfläche klebten.
Sunny landete auf dem Rücken und wich dem unerwarteten Schlag nur knapp aus. Das Gute daran war, dass er es schaffte, nicht verletzt oder sogar getötet zu werden. Das Schlechte war, dass er am Boden lag und nicht in der Lage war, schnell Abstand zwischen sich und seinem Angreifer herzustellen. Die überdimensionale Zange schwebte immer noch bedrohlich über ihm.
Eben als Sunny diese Erkenntnis dämmerte, rollte er sich verzweifelt zur Seite. Im nächsten Moment stürzte die Zange nach unten und ließ den Schlamm leicht beben. Hätte er nicht so schnell reagiert, wäre Sunnys Brustkorb von diesem Schlag zertrümmert worden.
Er wollte sich gerade aufrichten, als die Zange zur Seite ausholte. Zum Glück war Sunny vorbereitet: Statt den Angriff abzuwehren oder ihm auszuweichen, ging er mit der Bewegung mit, ließ die Zange auf seine ausgestreckten Hände prallen und federte so den Schlag ab.
Während seine Arme vor Schmerz aufschrien, nutzte Sunny die Wucht des Schlages, um sich vom Boden abzustoßen und durch die Luft zu fliegen. Auf diese Weise würde er zumindest aus der Reichweite der Zange kommen.
Er könnte vielleicht nicht gelernt haben, wie man kämpft, aber eines wusste er sehr gut: wie man fällt!
Anstatt sich das Genick zu brechen oder durch die Landung die Luft aus den Lungen gepresst zu bekommen, spannte er seinen Körper an und rollte geschickt ab, bevor er in einiger Entfernung vom lauernden Monster zum Stehen kam.
"Das nehme ich zurück!", dachte Sunny, sich an seine sarkastische Kritik an den Kampfrollen von Hero erinnernd. "Rollen ist ein wesentlicher Bestandteil jeder respektablen Monster-Kampftechnik!"
Dann richtete er den Blick nach vorne, um die Situation einzuschätzen.
Vor ihm hatte sich der Angreifer endlich gezeigt. Er wühlte sich aus dem Schlamm, warf einen riesigen Schatten auf den knienden Sunny. Seine winzigen Augen funkelten vor Wut, Hunger und Bosheit.
Es handelte sich um eines der Zangenmonster, die er schon so lange beobachtet hatte. Die riesige Kreatur überragte ihn mit einer Höhe von fast drei Metern, bewegte ihre Mandibeln und stieß ein schrilles, durchdringendes Kreischen aus.
"Warum frisst du den riesigen Kadaver nicht mit den anderen, du verdammter Krebs?!"
Doch die Antwort auf Sunnys empörten Ausruf lag nahe. Das Monster schien in schlechter Verfassung zu sein: Die Hälfte seiner acht sensenartigen Beine war zerbrochen, und es gab Risse in seinem dicken Panzer, aus denen dickflüssiges, azurblaues Blut quoll. Zudem fehlte ihm einer seiner beiden Zangenarme, der augenscheinlich an der Schulter abgerissen worden war.
Wäre es nicht in solch erbärmlichem Zustand gewesen, hätte die Kreatur keinen Grund gehabt, sich im Schlamm zu verstecken, um leicht Beute zu ergattern. Es hätte den anderen Monstern folgen und sich am Festmahl beteiligen können. Sunny hatte einfach das Pech, direkt in deren Hinterhalt zu geraten.
Er hatte sich zu sehr auf die Aufklärungsfähigkeit seines Schattens verlassen und dabei vergessen, dass er nicht bedeutend aufmerksamer war als ein erwachter Mensch. Zudem war er schwerelos und lautlos - deswegen hatte das Monster auch nicht reagiert, als der Schatten eine Minute zuvor über seine Falle hinweggegangen war.
Andererseits konnte Sunny sich auch glücklich schätzen - nach der gleichen Logik hätte er dem plötzlichen Angriff der Kreatur nicht ausweichen können, wenn diese nicht verkrüppelt und verlangsamt gewesen wäre.
Doch das Grübeln über sein Glück konnte auf später warten - im Moment hatte Sunny eine viel wichtigere Aufgabe. Nämlich zu versuchen, zu überleben.
"Komm zurück!", befahl er dem Schatten und sprang zur Seite.
Im nächsten Augenblick wurde der Platz, den er gerade noch eingenommen hatte, von dem Monster zerrissen. Seine schwere Zange krachte gegen eine Korallensäule und schleuderte karmesinrote Splitter in alle Richtungen.
Sunny fing sich und setzte seine Bewegung fort. Er hoffte, dass die massige, stark gepanzerte und verwundete Kreatur nicht mit seiner Geschwindigkeit mithalten konnte, aber leider war sie überraschend flink. Seine sensenartigen Beine durchbohrten den Schlamm hinter ihm, und die Zange flog schon wieder durch die Luft, jeden Moment bereit, den jungen Mann zu enthaupten.
Sunny duckte sich, wich der Zange aus und konnte endlich einen Moment durchatmen. Seine Augen huschten umher und suchten verzweifelt nach etwas, das er als Waffe benutzen konnte. Beinahe sofort entdeckte er einen langen, glatten, scharfen Knochen, der von einer unbekannten Kreatur zurückgelassen worden war und aus dem Schlamm ragte. Während er sich in Bewegung hielt, bückte er sich, ergriff den Knochen und zog ihn mit einem kräftigen Ruck heraus.
Der Knochen war fast eineinhalb Meter lang und endete in einer schmalen, scharfen Spitze. Es war fast wie ein Speer. Das Problem war jedoch, dass Sunnys Angriffsreichweite trotz der zusätzlichen Länge dieses improvisierten Speers immer noch geringer war als die des Monsters. Er bezweifelte auch, dass dieser den harten Panzer durchbohren konnte.
Kurzum, er musste nahe herankommen und auf einen der Risse in der Rüstung der Kreatur zielen. Doch das wagte er nicht. Bei der geringen Entfernung könnten das Monster ihn allein mithilfe seines Gewichts und seines massigen Körpers zu Brei pressen.
Eine verrückte Idee kam Sunny in den Sinn.
Ein wenig schockiert konnte er sich nicht entscheiden, ob sie aus Kühnheit oder Dummheit entstanden war. Jedenfalls war er nicht verrückt genug, um sie wirklich in Betracht zu ziehen.
In diesem Moment holte die Zange erneut aus. Dieses Mal konnte Sunny etwas zu spät ausweichen, und ein scharfer Schmerz durchbohrte sein linkes Bein. Es wurde von der Kante der Zange gestreift. Der Schutz des Puppenspielers hielt Stand und verhinderte, dass das Monster Blut vergoss, aber die Wucht des Aufpralls schleuderte Sunny zu Boden.
Es blieb keine Zeit zur Erholung.
Als sich seine Augen weit öffneten, verstand Sunny, dass es Zeit war, verrückt zu werden. Anstatt auszuweichen, blieb er stehen und ließ das Monster ihn mit der Zange am Oberkörper packen.
Sofort senkte ein schrecklicher Druck sich auf seine Rippen. Sunny hatte das Gefühl, dass er zerschmettert würde, aber seine Rüstung, die er durch den Sieg über den erwachten Tyrannen erhalten hatte, hielt dem erdrückenden Biss der Zange des Monsters stand. Jeder Muskel seines Körpers spannte sich an, um den Moment hinauszuzögern, in dem seine Eingeweide zermalmt würden.
Im nächsten Augenblick fiel Sunnys Schatten von oben herab und umhüllte den Schutz des Puppenspielers. Durch die verstärkten Schutzeigenschaften der Rüstung konnte er der pulverisierenden Umarmung der Zange besser widerstehen.
Sunny und das Monster schienen in einer Pattsituation zu sein. Der junge Mann konnte sich nicht aus dem Griff des Monsters befreien, während das Monster ihn nicht töten konnte, indem es ihn mit seiner Zange in zwei Teile schnitt.
Sie starrten sich gegenseitig an. Dann entflammte ein wahnsinniges Feuer in den Augen der Kreatur. Es schnalzte mit den Mandibeln und hob Sunny in die Luft, um ihn näher an seinen Kiefer zu bringen, offensichtlich mit der Absicht, ihm den Kopf abzubeißen.
"Warum versuchen alle, mich zu fressen?! Bin ich wirklich so lecker?!"
Sunny wehrte sich nicht, als das Ungeheuer ihn nahe an seine Kiefer heranführte. Er wusste, dass er nur eine Chance hatte zu überleben.
Im letzten Moment ließ Sunny den Schatten vom Schutz des Puppenspielers auf den scharfen Knochen fließen, den er noch immer in der Hand hielt. Dann sammelte er all seine Kraft, beugte sich vor und stieß den Knochen mit aller Macht nach vorne.
Von seiner Hand geführt, schoss der dunkle Knochenspeer nach vorne und durchbohrte das winzige Auge der Kreatur und drang tief ein. Das andere Auge des Monsters verengte sich.
Vor Schmerz in seinen Rippen die Zähne zusammenbeißend, verdrehte Sunny den Knochen, um dem Gehirn der Kreatur so viel Schaden wie möglich zuzufügen.
Einige Sekunden lang geschah nichts. Dann spürte er, wie der Druck auf seinen Körper nachließ.
Die Zange öffnete sich und ließ Sunny zu Boden fallen. Als er auf den Schlamm fiel, stürzte auch das Ungeheuer nieder. Der Knochenspeer ragte noch immer aus seinem Kopf, gebadet in den Strömen der azurblauen Flüssigkeit.
Sunny stöhnte und rang keuchend und schmerzerfüllt nach Luft.
[Du hast ein erwachtes Tier getötet, die Panzerfresserin.]
[Du hast eine Erinnerung erhalten: Azurblaue Klinge.]
[Dein Schatten wird stärker.]