Also hatte das silberhaarige Mädchen, Nephis, in ihrem ersten Albtraum auch einen Wahren Namen erhalten. Um seinen eigenen zu bekommen, musste Sunny sich mit dem Helden und dem Bergkönig auseinandersetzen, während er einen völlig nutzlosen Aspekt besaß - eine anscheinend unmögliche Aufgabe, die dem Zauber sehr zu gefallen schien.
'Ich frage mich, wie sie ihren bekommen hat.'
Die im Speisesaal schlafenden Akademiker wurden von diesem Erfolg schockiert. Sie starrten mit Staunen, Furcht und Bewunderung auf den Bildschirm. Als Sunny ihre aufgeregt geflüsterten Kommentare hörte, hatte er den kindischen Drang zu schreien: "Ich auch! Ich habe auch einen!".
Aber natürlich, er blieb ruhig.
Als er sich umblickte, bemerkte er, dass Caster unentwegt auf den Bildschirm starrte. Eine seltsame, düstere Miene lag auf dem Gesicht des verborgenen jungen Mannes. Aber das Komische daran war, dass Caster, soweit Sunny sagen konnte, nicht auf die Zeile mit dem Wahren Namen starrte.
Stattdessen starrte er auf die Zeile des Textes mit "Nephis", als würde der tatsächliche Name des Mädchens für ihn mehr Bedeutung haben als der vom Zauber vergebene.
'Interessant. Kennen sie sich?'
Warum sollte ein hochmütiges Vermächtnis jemanden kennen, der in einem Trainingsanzug der Polizeiacademy erscheint? Und wo war Nephis überhaupt?
Sunny schaute sich im Speisesaal um und bemerkte bald das silberhaarige Mädchen. Sie saß still in einer Ecke, eine Tasse Kaffee in den Händen. Sie schien sich nicht sehr für das Durcheinander zu interessieren und schien in Gedanken versunken zu sein. Ihre grauen Augen waren ernst und weit entfernt.
"Ein Schläfer mit einem Wahren Namen? Das ist unmöglich!"
"Technisch gesehen ist es möglich. Smile of Heaven hat ihren Wahren Namen in der Ersten Albtraum bekommen, soviel ich weiß. Aber ja, ich bin skeptisch..."
"Vielleicht hat sie uns in dem Interview belogen?"
"Bist du dumm? Wenn es so einfach wäre, die Administratoren zu täuschen, wäre der verrückte Perverse vom gestern einfach an erster Stelle!"
Sunnys Gesicht verzog sich. Verrückten Trottel, hm...
"Nun, warum fragen wir sie nicht selbst?"
Plötzlich war es totenstill in der Cafeteria. Bei diesen Vorschlägen hörten die Schlafenden auf zu reden und sahen sich zu Nephis um. Aber niemand schien den Mut zu haben, sie als Erster anzusprechen.
Schließlich, bemerking das sie beobachtet wurde, hob sie den Kopf und blickte mit Überraschung auf die Anderen.
"Hmm. Was nun?"
Selbst das blinde Mädchen, Cassia, drehte sich in Richtung ihrer Stimme.
Nach ein paar Momenten ging Caster plötzlich auf sie zu und verbeugte sich leicht.
"Dame Nephis. Ich bin Caster vom Han Li Clan. Wie ich sehe, ist dein Versuch gut verlaufen?"
Einen Dame? Warum spricht er sie so an? Und er musste sich vorstellen... also, sie kennen sich nicht? Interessant.
Nephis schien von der Frage ein wenig verdutzt. Nachdem sie darüber nachgedacht hatte, lächelte sie und zuckte mit den Schultern.
"Es ist wie es ist."
Caster erwiderte das Lächeln etwas unbeholfen.
"Ich sehe. Ich bin sehr froh, dass Sie unversehrt zurückgekehrt sind. Ähm...nicht dass ich an Ihren Fähigkeiten gezweifelt hätte."
Nephis nickte.
"Danke."
Danach kehrte sie zu ihrem Kaffee zurück, was ausdrücklich darauf hindeutet, dass das Gespräch vorbei war oder dass sie sich einfach nicht bewusst war, dass jeder auf sie schaute.
Sunny seufzte.
'Wie mysteriös.'
Er hatte eine Menge im Kopf. Aber nichts davon konnte ihn von der wichtigsten Sache ablenken ... dem Frühstück. Ein paar Sekunden später hatte er die merkwürdige Dynamik zwischen Caster und Nephis völlig vergessen und verschlang genüsslich sein Essen.
***
Der Klassenraum zum Überleben in der Wildnis war geräumig, geschmackvoll dekoriert ... und komplett leer. Sunny dachte sogar einen Moment, er wäre am falschen Ort, aber dann bemerkte er einen finster wirkenden Ausbilder hinter einem massiven Holztisch. Als dieser ihn bemerkte, kam er lebhaft auf.
"Komm rein, junger Mann!"
Er war ein heiterer alter Mann mit ungekämmten grauen Haaren und wild zuckenden buschigen Augenbrauen.
"Ich bin der Erwachte Julius. Du kannst mich Lehrer Julius nennen. Setz dich hin, setz dich hin! Wie ist dein Name?"
Sunny setzte sich gehorsam hin.
"Mein Name ist Sunless."
Julius zog die Augenbrauen hoch.
"Ah! Was für ein unheimlicher Name. Aber das ist gut, sehr gut. Schließlich haben wir eine Menge unheilvoller Dinge!"
Sunny schaute sich vorsichtig um.
"Ähhm ... Entschuldigung, Lehrer. Bin ich zu früh da?"
"Nein, nein... du bist genau rechtzeitig da."
"Sind die anderen Schüler spät dran?"
Der Ausbilder schnaufte verächtlich.
"Es kommt sonst niemand. Diese Schläger sind nur daran interessiert, ihre Fäuste und Schwerter zu schwingen. Nur wenige sind so clever wie du und kennen den wahren Wert des Wissens..."
Aha. Soviel zu der Unbeliebtheit dieses Kurses. Sunny seufzte innerlich und hoffte, dass er seine Entscheidung, die Kampftraining zu Gunsten dieses Kurses aufzugeben, nicht bereuen würde.
"Sag mal, junger Mann... warum hast du dich ausgerechnet für das Überleben in der Wildnis entschieden?"
Es hatte keinen Sinn den wahren Grund zu verheimlichen. Nicht dass Sunny dazu in der Lage gewesen wäre...
"Der Erwachte, der mich während des ersten Alptraums überwacht hatte, Meister Jet, empfahl mir, vor allem das zu studieren."
"Ein sehr kluger Rat! Dieser Meister weiß wirklich, was zählt...Moment. Hast du Jet gesagt?"
Seine Augen wurden weit.
"Seelenschnitterin Jet? Diese mörderische Wildbahn?! Hm. Wer hätte gedacht, dass eine Barbaram, wie sie, den Wert von komplexem Wissen kennen würde."
Seelenschnitterin? Sunnys Neugier war geweckt.
"Lehrer, kennen Sie Meister Jet?"
Julius hatte einen vorsichtigen Blick hinter sich geworfen, bevor er antwortete:
"Wer kennt die Seelenschnitterin nicht? Sie ist vielleicht nicht die mächtigste Erwachte da draußen, aber sie ist sicher eine der Gefürchtetsten. Das liegt daran, dass ihre Aspektfähigkeiten das Fleisch ignorieren und direkt auf die Seelenkerne abzielen. Was bedeutet, dass keine Rüstung, kein Schadenswiderstand und keine physische Schutz dagegen was machen können."
Er lehnte sich vor.
"Das einzig Gute ist, dass sie jung ist und wahrscheinlich nicht so bald, oder überhaupt jemals, eine Heilige werden wird. Ja, glücklicherweise ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals aufsteigt, sehr gering."
Sunny blinzelte.
"Wieso?"
Juliu schaute ihn an, als versuchte er zu begreifen, wie jemand so unwissend sein könnte.
"Weil sie eine problematische Persönlichkeit hat, natürlich! Wer würde einem psychopathischen Mörder helfen wollen, ein Heiliger zu werden? Man braucht ein Team von hervorragenden Kameraden und eine Menge Unterstützung, um den dritten Albtraum zu überwinden. Seelenschnitterin Jet ist nicht... Moment mal!"
Plötzlich runzelte Julius die Stirn und lehnte sich zurück.
"Warum rede ich überhaupt mit dir? Du bist zu jung, um solche Dinge zu wissen! Noch dazu bin ich nicht die Art von Person, die andere hinter ihrem Rücken schlecht macht."
'Ich würde widersprechen', dachte Sunny sarkastisch, sagte es aber nicht laut.
Er hatte bereits einige interessante Informationen von Lehrer Julius erhalten.
Vielleicht war es doch die richtige Entscheidung, den Kurs für das Überleben in der Wildnis zu wählen."
"Lassen Sie uns zu Ihrem Lehrplan zurückkehren. Was sind Ihre anderen Kurse?"
Sunny seufzte.
"Keine. In den nächsten vier Wochen werde ich mich voll und ganz auf das Überleben in der Wildnis konzentrieren."
Julius starrte ihn eine ganze Minute lang mit einem Gesichtsausdruck an, als könnte er seinen Ohren nicht trauen. Dann trat langsam ein aufgeregter Glanz in seinen Augen auf und schließlich grinste er.
"Wunderbar! Das ist wunderbar! Du bist ein kluger junger Mann! Mach dir keine Sorgen. In vier Wochen werde ich dich unsterblich machen...
***-
Sunnys Lektionen bei Lehrer Julius begannen ohne viel Spannung und freundlich, aber schon nach einer Stunde fühlte er sich, als würde sein Kopf platzen. Es gab so viele neue Informationen und sie waren alle so seltsam und kontraintuitiv für jemanden, der die abgesperrte, behütete Stadt nie verlassen hatte.
Ab und zu staunte Julius über Sunnys Wissenslücken und fehlende Erfahrung. Aber er hatte eine gute Einstellung und war enorm begeistert vom Unterrichten. Immer wenn Sunny stolperte, verlangsamte er geduldig und erlaubte seinem Schüler, wieder aufzuholen.
Der von Julius geplante Lehrplan war lächerlich. Es gab eine endlose Menge an theoretischem Wissen zu lernen, praktische Übungen in der virtuellen Realität und der realen Welt, zahlreiche Themen und seltsame Dinge zu untersuchen. Es gab sogar einige Lektionen, die ausschließlich dem Erlernen der Grundlagen einiger toten Sprachen des Traumreichs gewidmet waren!
'Warum muss ich neue Sprachen lernen?' dachte Sunny voller Selbstmitleid. 'Der Zauber übersetzt alles automatisch!'
Aber Julius ließ nicht locker.
"Der Zauber ist kein Übersetzer! Glaubst du, er hat die Zeit, die Feinigkeiten der menschlichen Sprache zu übersetzten? Nehmen wir an, du suchst Schutz in einer Ruine und findest eine Inschrift, auf der steht: "Vor dir droht der sichere Tod". In der Runensprache gibt es dreißig Wörter für Tod! Allein durch die Kenntnis der Runen kannst du abschätzen, welche Art von Gefahr droht!"
Am ersten Tag lernten sie bis kurz vor Sonnenuntergang. Erst dann ließ Julius Sunny gehen. geistig erschöpft und bedauernd, dass er das Mittag- und Abendessen verpasst hatte, beschloss Sunny, seinen Lehrer morgen sanft daran zu erinnern, wie wichtig die Mahlzeiten für die Aufrechterhaltung der Konzentration sind.
Nachdem er in sein Zimmer zurückgekehrt war, ließ er sich auf einen Stuhl fallen und starrte eine Weile gedankenverloren ins Leere. Dann, als würde er sich an etwas erinnern, wandte sich Sunny seinem Schatten zu.
Richtig. Er hatte noch eine Menge vor dem Abendessen zu erledigen.
Er betrachtete den Schatten ein paar Sekunden lang und grinste dann.
"Lass uns mal sehen, was du wirklich drauf hast...