Als ich am nächsten Morgen den Wohnbereich betrete finde ich ihn verlassen vor.
Ich suche Daniel überall vergeblich.
Enttäuschung breitet sich in mir aus. Das heißt wohl ich bekomme keine Erklärung von ihm.
In der Küche will ich mir einen Kaffee machen, da sehe ich an die Maschine gelehnt einen Zettel.
Neugierig nehme ich ihn und beginne zu lesen.
Lilly, es tut mir leid das ich nicht da bin um mit dir über gestern Abend zu sprechen.
Das heißt aber nicht, dass ich es verschweigen will.
Wir wurden von einer unserer vielen Siedlungen um Hilfe gebeten.
Als Alpha ist es meine Pflicht mich um die dortige Bedrohung durch ausgestoßene Wölfe zu kümmern.
Jan und einige andere begleiten mich.
Leider kann ich nicht genau sagen wann ich wieder da bin.
Jakob wird dich zur Arbeit fahren und in meiner Abwesenheit für deine Sicherheit sorgen.
Bitte unterschätze die Gefahr nicht!
Ich kann es kaum erwarten wieder bei dir zu sein.
Daniel
Beruhigt und doch traurig trinke ich in Ruhe meinen Kaffee.
Es gibt also auch ausgestoßene Wölfe.
Mann, es ist frustrierend wie wenig ich über die Werwölfe weiß.
Ich nehme mir fest vor Jakob heute mal so richtig darüber auszuquetschen.
Aber zunächst einmal ist Arbeit angesagt.
Ich schnappe mir meine Tasche und beschließe vor dem Haus auf Jakob zu warten.
Die ersten Sonnenstrahlen genießend sitze ich auf der Treppe als Jakob in einem grünen Pikup angefahren kommt.
"Guten Morgen Jakob, sag mal, hat Daniel dir einen Hausschlüssel gegeben? Ich habe keinen gesehen. Es ist jetzt nicht verriegelt."
"Morgen Lilly, keine Sorge. Es ist nie abgeschlossen. Der einzige Raum in diesem Haus der abgeschlossen wird ist das Büro und wer weiß, vielleicht ja ab jetzt das Schlafzimmer." erwidert er und wackelt anzüglich mit den Augenbrauen.
"Jakob! Du bist unmöglich!" empöre ich mich und schlage ihm auf den Arm.
Er lacht nur und lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.
Beim Diner verabschieden wir uns und er verspricht mir mich nach meiner Schicht wieder abzuholen.
"Mach dir keine Sorgen, am Tag sollte dir hier in Moonville nichts geschehen. Es leben viele aus dem Rudel hier und James gehört auch zu uns." Es hat also immer jemand ein Auge auf dich."
Die Schicht im Maxine's verläuft ruhig. In den heute recht zahlreichen Pausen während niemand Bestellungen aufgibt, erfahre ich von James so einiges über Werwölfe.
Die Strukturen im Rudel, ihre Heilung, über ausgestoßene Wölfe und sogar etwas über mögliche Feinde wie Jäger oder diesen anderen Alpha Jack Malloy, der schon lange versucht Daniel zu schaden.
So langsam verstehe ich wieso Daniel so besorgt um meine Sicherheit ist.
Als meine Schicht zu Ende ist warte ich draußen an der frischen Luft auf Jakob.
Den weißen Transporter der die Straße entlang fährt beachte ich nicht, bis die Seitentür aufgeht und ich grob in den Wagen gezerrt werde.
"Hilfe, James" schreie ich und versuche mich mit aller Kraft zu wehren.
Aus dem Augenwinkel sehe ich noch wie James auf die Straße stürzt bevor ich ein Stechen im Arm wahrnehme und mir schwarz vor Augen wird.
Kälte ist das erste was ich wahrnehme als ich wieder zu mir komme.
Auf die Kälte folgt Schmerz. Mein ganzer Körper fühlt sich an als wäre er ein großes Haematom.
Meine Lider fühlen sich so schwer an. Als ich sie endlich öffnen kann versuche ich meine Umgebung zu erkennen.
Verzweiflung breitet sich in mir aus als mir bewusst wird was ich sehe.
Ein vergittertes Fenster oben in einer Wand lässt etwas Licht herein.
Graue schmutzige Steinwände, kein Fußboden nur die blanke Erde.
Eine vergitterte Tür mir gegenüber. Aber das schlimmste sind die in die Wände eingelassenen Ketten.
Ein Kerker - nicht nur diese Erkenntnis lässt mich am ganzen Körper zittern.
Mir ist kalt. Nur in meiner Unterwäsche, mit Schürfwunden und blauen Flecken am ganzen Körper kauere ich auf der Erde.
Lautlose Tränen rinnen über meine Wangen.
Ich darf nicht aufgeben.
Ich muss stark bleiben.
Daniel wird mich finden. Er wird mich befreien.
Immer und immer wieder sage ich mir diese Worte wie ein Mantra während ich mit meinen Armen meine Beine umschlinge um das letzte bisschen Wärme zu erhalten.
Mir ist klar das Schreien und Rufen nichts bringen würden, also versuche ich es erst gar nicht, sondern spare mir meine wenigen Kräfte.
Stunde um Stunde liege ich im Dreck.
Warte auf meine Rettung oder meinen Untergang.
Wer hat mir das nur angetan?
Werde ich es überhaupt erfahren? Oder lassen Sie mich hier einfach verdursten?
Erschöpfung lässt mich immer wieder meine Lider schließen.
Eiskaltes Wasser das über meinen geschundenen Körper rinnt reißt mich aus meiner Trance.
"Hast du so viel Spaß wie ich, kleine, schwache Luna?"
Oh mein Gott!
Diese Stimme kenne ich! Nein, das kann nicht sein. Das kann er Daniel doch nicht antun.
Er kann ihn doch nicht so hintergehen.
Aber genau so ist es.
Mit einem leeren Eimer in der Hand steht breitbeinig und mit einem diabolischen Grinsen kein anderer als Logan vor mir.
Daniels Beta, sein Stellvertreter.
Seine rechte Hand und Berater.
"Wie kannst du das nur tun? Du Verräter!" spucke ich ihm verächtlich entgegen.
Zur Antwort tritt er mir mit seinem schweren Stiefel in den Bauch.
Gepeinigt schreie ich auf und er reißt mich brutal an meinen Haaren hoch.
"Mal sehen ob du auch noch so eine große Klappe hast wenn ich mit dir fertig bin." sagt er während er mich mit Armen und Beinen an die Wand kettet.
Ich schreie erneut auf als er mir ins Gesicht schlägt.
"Wieso tust du das?" schluchze ich.
"Wieso ich das tue?" schreit er mich an.
"Weil er dafür verantwortlich ist das meine gesamte Familie starb, deshalb. Ich habe sehr lange an meiner Rache gearbeitet und als du auf der Bildfläche aufgetaucht bist wusste ich, jetzt ist die Zeit gekommen. Du wirst leiden damit er leidet."
"Du bist ja total krank." ist das letzte was ich erwidern kann bevor er seine Fäuste wiederholt in meinem Bauch treibt als wäre es ein Punchingball und sich mein Verstand in die rettende Bewußtlosigkeit flüchtet.
Was werde ich noch alles erleiden müssen?