Eva,
Ich zerrte an den Fesseln, meine Haut wurde vom Reiben wund. Mein Geist war in Aufruhr – Echoes von Stimmen, Bildern, Schreien und Knurren füllten ihn bis zum Rand. Es zerriss mich innerlich.
Die Dunkelheit umhüllte mich wie eine erdrückende Decke und zog mich tiefer in den Abgrund der Erinnerungen, die ich so verzweifelt zu verbergen versuchte. Ich spürte das kalte Metall der Nadeln, das Brennen der Chemikalien in meinen Adern. Jeder Nerv schien zerrissen zu werden, jeder Atemzug war ein Kampf, während ich versuchte zu ergründen, wo ich war – doch die Vergangenheit verschlang mich immer wieder. Ich wollte nur vergessen.
Ich war nicht mehr in jenem Labor. Ich war nicht länger ihr Versuchsobjekt. Doch mein Verstand kümmerte das nicht.
Meine Sicht verschwamm, meine Sinne überschwemmt vom Gespenst des Schmerzes. Die Fesseln verschlimmerten nur das Gefühl des Eingesperrtseins, wie eine Ratte im Käfig.
"Bitte, nicht noch mehr..."
Die Worte entkamen nie meinen Lippen, blieben in meiner Kehle stecken, während Schreie in meinem Kopf widerhallten. Ich ertrank im Leid der Vergangenheit, verlor mich in einem endlosen Kreislauf des Terrors und der Ohnmacht.
Ich wehrte mich. Ich ruckte noch heftiger. Die Bilder waren so lebendig. Mit jedem Blinzeln sah ich sie – jene gesichtslosen Gestalten in weißen Kitteln, kühl und gleichgültig, die mich behandelten wie ein Objekt, etwas zum Sezieren und Erforschen. Das Geräusch von Maschinen summt in meinen Ohren, der scharfe Stich von Skalpellen durchstach meine Haut.
Die Hitze stieg wieder in mir auf – ein Feuer, das durch meine Adern brannte und jeden Nerv durchzuckte. Sie verbrannten mich innerlich, genau wie zuvor. Ich wollte schreien, aufhören lassen, aber der Laut blieb in meiner Kehle stecken.
Und dann, plötzlich, eine Stimme.
"Prinzessin", murmelte er.
Ich wusste schon, wer er war, bevor ich ihn sah.
Er schlenderte herüber, dort, wo ich hilflos lag. Seine Haare nach hinten gebunden, reflektierte das Licht auf dem silbernen Schmuck, der seine Ohren zierte. Ich hatte von Anfang an keine Chance – er trug Silber. Ein Lykaner in Silber, das hätte nicht möglich sein sollen.
Verzweifelt suchte ich nach etwas, irgendetwas, um meine Fesseln zu sprengen.
"Kommst du da nicht raus?", fragte er und sein Blick glitt über meine bebende Gestalt.
Mein Mund war trocken, und Sprechen fast schmerzhaft. "Bitte..." krächzte ich.
"Bitte was?", fragte er.
"Lass mich gehen."
"Du weißt genauso gut wie ich, dass ich das nicht tun werde."
"Ich habe Angst", presste ich kaum hörbar heraus. Ich kämpfte gegen den Drang zu weinen an. Dies war ein Albtraum seit meiner Ankunft. Ich würde die Menschen in Silverpine in Gefahr bringen und den Verstand verlieren. Aber bevor das geschah, wollte ich zuerst etwas dagegen unternehmen.
Hades' Blick blieb unbewegt, als wäre er ein Fels ohne jegliches Gefühl. Seine Augen verdunkelten sich, und mein Herz machte einen furchterregenden Sprung. Etwas Ungeheuerliches spiegelte sich in seinem Blick, während er die Distanz zwischen uns verringerte. Der Anblick ließ es mich bis ins Mark kalt werden.
Als er nahe genug war, packte er mein Gesicht an den Wangen. Sein Griff stand im krassen Gegensatz zur Kälte seiner Miene. Er war heiß.
"Du hast Angst, Prinzessin?", seine Stimme war tief und spöttisch. Seine Finger pressten sich fester auf meine Wangen und zwangen mich, in diese eiskalten, unerbittlichen Augen zu blicken. "Jetzt schon?"
Ich schluckte und selbst mein eigener Speichel brannte wie Feuer in meiner Kehle.
"Aber wir haben gerade erst angefangen."
Mir wurde übel."`Diese Allianz wird dein Verhängnis sein. Ihr werdet den Rest eurer erbärmlichen Tage so verbringen, wie ich es für angemessen halte. Du kannst weder fliehen noch dich vor mir verbergen. Flucht ist sinnlos. Ich werde dein Schicksal sein."
Die Verachtung in seiner Stimme übertraf alles, zu dem ich imstande gewesen wäre. Ich sah es an dem tödlichen Glitzern in seinen Augen. Während er sprach, war sein Gesicht nicht mehr ausdruckslos, es hatte sich in etwas viel Finsteres verwandelt - roher Hass, der in der Luft um uns zu vibrieren schien.
"Warum?" brachte ich hervor. "Warum hasst du mich so sehr?"
Hades' Lippen kräuselten sich zu einem grausamen Lächeln, das mir Schauer über den Rücken jagte. Er beugte sich vor, sein Atem war heiß auf meiner Haut, als er flüsterte: "Es geht nicht um dich, Prinzessin. Es ging nie um dich. Es geht um deinen Vater."
Mein Herz machte einen Sprung. "Mein Vater?" Meine Stimme war schwach, kaum ein Flüstern, während sich das Entsetzen in mir zusammenzog.
Sein Griff um mein Gesicht wurde fester, gerade genug, um mich zusammenzucken zu lassen, aber nicht so fest, dass es blaue Flecken hinterließ. "Oh ja", sagte er, seine Stimme triefte vor Gift. "Dein geliebter Vater, der große Alpha von Silverpine. Er ist der Grund für all dies. Jeder Tropfen Schmerz, den du erduldest? Er ist ihm zu verdanken."
Ich versuchte, den Kopf zu schütteln, wollte die Wahrheit seiner Worte abstreiten, aber ich spürte, wie ihr Gewicht mich niederdrückte. Ich keuchte nach Luft, mein Verstand raste. Was konnte mein Vater dem Lykanerkönig angetan haben, um solch intense Hassgefühle zu entfachen und ihn dennoch zu einem Bündnis zu bewegen? Es gab so vieles, das ich nicht wusste. Etwas stimmte nicht.
Hades' Augen wurden schmaler, dunkel und berechnend. "Er hat vor langer Zeit eine Entscheidung getroffen. Und nun...zahlst du den Preis." Seine Lippen schwebten nur wenige Zentimeter von meinen entfernt, und seine Stimme senkte sich zu einem gefährlichen Murmeln. "Er dachte, er könnte sich vor der Vergangenheit verstecken. Aber vor der Vergangenheit kann man sich nicht verbergen, nicht wahr?"
Ich schluckte, meine Kehle war trocken und eng. "Was hat er getan?" Ich zwang die Worte hervor.
"Wieso sollte ich dich nicht im Ungewissen lassen?" spottete er. "So zerbrichst du dir den Kopf, Prinzessin, grübelst darüber nach, was genau geschehen ist. Ich möchte dich brechen sehen. Und ich werde jede Sekunde davon genießen."
Ich kniff die Augen zusammen und wünschte mir, ich könnte verschwinden, aus diesem Albtraum erwachen. Doch tief im Innern wusste ich, dass es kein Erwachen gab. Das war nun meine Realität. Eine Realität, geformt von der Dunkelheit der Vergangenheit meines Vaters und Hades' unersättlichem Durst nach Rache.
"Deshalb wolltest du mich," sagte ich, meine Unterlippe bebte. "Ich war der Tausch, um den Krieg nicht zu führen."
Er zeigte ein Grinsen, doch es war nichts als Reißzähne und scharfe Kanten. "Und er übergab dich einfach so."`Was von meinem zerbrechlichen Herzen noch übrig blieb, zersplitterte in jenem Augenblick. Diese Ehe unterschied sich von den anderen – sie sollte keine Allianzen schmieden, keine Bindungen stärken. Ich war keine Braut. Ich war ein Opfer, zur Schlachtbank geführt im Austausch für Frieden. Ich war ein einfach Handelsgut. Mein Vater konnte es nicht ertragen, seine Tochter quälen zu lassen wegen seiner eigenen Vergehen gegen den Lykanerkönig, also schickten sie mich.
Tränen sammelten sich in meinen Augen, drohten überzulaufen, doch ich weigerte mich, vor ihm zusammenzubrechen. Noch nicht. Ich schluckte den Klumpen in meinem Hals hinunter und presste die Worte heraus, obgleich jedes Silbe brannte wie Säure.
"Er hat mich aufgegeben... damit du mich foltern kannst", flüsterte ich, die Erkenntnis war so erdrückend, dass sie den letzten Funken meiner Kraft stahl. "Er hat mich geopfert... wegen etwas, das er getan hat. Und du..." – meine Stimme brach ab – "du bestrafst mich für seine Sünden."
Hades' Grinsen verbreiterte sich nur noch mehr, ein boshaftes Funkeln blitzte in seinen Augen auf. "Genau", zischte er, und seine Stimme tropfte vor Bosheit. "Dein Vater ist ein Feigling, der sich hinter seiner Macht und seinen Lügen versteckt. Aber niemand entkommt seinen Schulden für immer." Seine Finger strichen über meinen Kiefer, ein widerwärtiger Kontrast zwischen der Sanftheit seiner Berührung und der Härte seiner Worte. "Und jetzt musst du für seine Fehler geradestehen. Jeden. Einzigen."
Der Hass, der von ihm ausstrahlte, war greifbar, erstickte mich, während er fortfuhr. "Dein Vater ist seit fünf verflucht langen Jahren der Gegenstand meines Zorns."
Seine Hand schob sich zu meiner Kehle hinab und drückte gerade stark genug zu, dass ich nach Luft schnappte, mein Puls raste unter seinen Fingerkuppen. "Ich habe auf diesen Moment gewartet, Ellen. Auf jenen Tag, an dem ich sein Kind in meinen Händen halten würde." Er beugte sich vor, sein Atem heiß an meinem Ohr, als er flüsterte: "Damit ich sie zerquetschen kann."
Ein Schluchzen entriss sich meiner Kehle, bevor ich es zurückhalten konnte, mein Körper bebte unter der Gewalt des Schluchzes. Ich wollte kämpfen, schreien, doch es blieb keine Kraft. Die Wahrheit presste mich zusammen wie ein Schraubstock und quetschte das Leben aus mir. Es gab nie eine Chance, nach Silverpine zurückzukehren, mein Vater hatte nie geplant, dass ich zurückkommen würde. Die Mission, mich zu senden, um Hades zu töten, das Gift; alles nur ein kranker Scherz, weil er wusste, dass ich scheitern würde. Lachten sie wohl über meine Torheit? Verachteten sie mich derart?
Ich rang nach Luft, die Atmosphäre dick und schmerzhaft in meinen Lungen. Die Verzweiflung legte sich wie Ketten um mich und zog mich hinab in eine bodenlose Grube. Ich spürte sie – die Risse, die sich in mir bildeten, und wie sie sich ausbreiteten wie Bruchlinien im Glas. Ich zerbrach, und ich konnte es nicht verhindern.
Hades' Griff wurde ein wenig fester, eine Warnung, bevor er mich endlich freigab. Seine Augen waren kalt, ausdruckslos, als hätte der Hass in ihm jede Spur von Menschlichkeit verbrannt. Was hatte mein Vater getan?
"Weine jetzt nicht", seine Stimme war tief, fast wie ein Knurren. "Bewahre dir die Tränen für den Moment auf, in dem du sie wirklich brauchen wirst."
Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu schluchzen, und der Schmerz schoss durch mich hindurch, als mir bewusst wurde, dass es kein Entkommen gab, keine Erlösung. Ich war in diesem Alptraum gefangen, und niemand würde kommen, um mich zu retten. Nicht meine Familie. Niemand.
Ich war allein.
Und als Hades sich umdrehte und mich dort zurückließ, zerbrochen und zitternd in der Dunkelheit, die meine Welt geworden war, verschlang mich die Hoffnungslosigkeit ganz.