Chereads / Der Aufstieg der Drachen Band 1 / Chapter 27 - #27 Die Stimmen der Vergangenheit

Chapter 27 - #27 Die Stimmen der Vergangenheit

Die hohen Gipfel der Zyrrhalis-Berge lagen hinter ihnen, und die Landschaft hatte sich verändert. Sie waren in eine Region vorgedrungen, die von tiefen Tälern und dichten Wäldern durchzogen war, in denen selbst das Sonnenlicht kaum den Boden erreichte. Die Luft war schwer, und der Wind trug das leise Flüstern der Bäume mit sich – ein Geräusch, das sowohl beruhigend als auch unheimlich war.

Danny und Kael'thar hatten ihr Tempo verringert, erschöpft von den jüngsten Ereignissen. Doch es war nicht nur die körperliche Anstrengung, die an ihnen zehrte. Beide waren still, jeder von ihnen in seine Gedanken vertieft.

Kael'thar blieb schließlich stehen und drehte seinen Kopf leicht zur Seite. „Hörst du das?"

Danny lauschte. Es war ein kaum wahrnehmbares Murmeln, das aus den Tiefen des Waldes zu kommen schien. Die Worte waren unverständlich, doch sie schienen etwas in ihm zu berühren – etwas, das ihn zugleich anzog und warnte.

„Es sind die Stimmen," sagte Kael'thar leise. „Der alte Wald ist durchdrungen von Erinnerungen. Es heißt, dass er die Vergangenheit bewahrt und sie jenen zuflüstert, die bereit sind zuzuhören."

Danny schluckte und sah sich um. „Meinst du, das ist gefährlich?"

Kael'thar schüttelte den Kopf. „Nicht unbedingt. Aber die Stimmen können dich beeinflussen, dich zwingen, dich mit Dingen auseinanderzusetzen, die du lieber vergessen würdest. Für manche ist das heilsam. Für andere… nicht."

Danny nickte langsam. Er hatte sich seiner Vergangenheit in den letzten Monaten gestellt, doch er wusste, dass es noch viele ungelöste Fragen und Ängste gab, die tief in ihm schlummerten.

Die Flüsternden Bäume

Sie setzten ihren Weg vorsichtig fort, doch je tiefer sie in den Wald eindrangen, desto lauter wurden die Stimmen. Es war, als würde der Wald selbst lebendig werden, die Bäume sich bewegen und ihre Geheimnisse teilen.

Danny begann, einzelne Worte zu erkennen. „Versagen… Hoffnung… Verrat…" Die Stimmen schienen ihn zu rufen, als würden sie seine innersten Gedanken spiegeln.

Kael'thar beobachtete ihn aufmerksam. „Bleib bei dir, Danny. Die Stimmen sind ein Spiegel, nicht die Wahrheit. Sie zeigen dir nur, was bereits in dir ist."

Doch Danny konnte sich nicht abwenden. Die Worte wurden klarer, und plötzlich sah er Bilder vor seinem inneren Auge – Szenen aus seiner Kindheit und Jugend, die er längst vergessen oder verdrängt hatte.

Er sah sich selbst als Kind, wie er allein in seinem Zimmer saß, während draußen Kinder lachten und spielten. Seine Eltern waren da, doch sie waren abwesend, immer mit ihrer Arbeit beschäftigt. „Du bist stark, Danny," hörte er die Stimme seines Vaters sagen, doch die Worte fühlten sich hohl an.

Dann sah er sich als Teenager, wie er bei einem Fußballspiel eine entscheidende Chance verpasste. Die Worte seines Trainers hallten in seinem Kopf: „Du hast uns im Stich gelassen."

Er erinnerte sich an die Nächte, in denen er wachlag und sich fragte, ob er jemals gut genug sein würde – für seine Eltern, für seine Freunde, für sich selbst.

Konfrontation mit den Schatten

„Das reicht!" rief Danny und blieb stehen. Die Stimmen wurden lauter, als wollten sie ihn überwältigen, doch er ballte die Fäuste und atmete tief durch.

Kael'thar trat näher. „Du musst sie nicht bekämpfen, Danny. Lass sie zu. Akzeptiere, was sie dir zeigen. Nur so kannst du sie überwinden."

Danny schloss die Augen. Die Bilder seiner Vergangenheit verschwammen, doch eine Szene blieb klar. Es war der Moment, als er sich entschieden hatte, sein Leben zu ändern – der Moment, als er beschloss, an der Expedition teilzunehmen, die ihn schließlich ins Drachenreich führte.

„Ich bin nicht mehr der Junge, der ich einmal war," sagte Danny leise, aber bestimmt. „Ich habe Fehler gemacht, aber sie definieren mich nicht. Ich habe Angst gehabt, aber ich bin trotzdem weitergegangen."

Die Stimmen wurden leiser, und schließlich verstummten sie ganz. Der Wald schien stiller zu werden, als ob er seine Prüfung bestanden hätte.

Kael'thar nickte zufrieden. „Gut gemacht. Viele würden vor ihren eigenen Dämonen davonlaufen. Du hast ihnen ins Gesicht gesehen."

Danny lächelte schwach. „Es war an der Zeit."

Der Baum des Wissens

Nach weiteren Stunden erreichten sie eine Lichtung, in deren Mitte ein gigantischer Baum stand. Seine Äste erstreckten sich wie Arme in den Himmel, und seine Rinde schimmerte in einem silbrigen Licht.

„Das ist der Baum des Wissens," sagte Kael'thar ehrfürchtig. „Es heißt, dass er diejenigen belohnt, die sich den Stimmen des Waldes gestellt haben. Wenn wir Glück haben, könnte er uns Antworten geben."

Danny trat vorsichtig näher. „Wie… funktioniert das?"

„Du stellst eine Frage," erklärte Kael'thar. „Aber sei vorsichtig. Die Antwort wird dir nicht gefallen, wenn du nicht bereit bist, sie zu hören."

Danny zögerte. Es gab so viele Dinge, die er wissen wollte – über die Schatten, über das Drachenreich, über sich selbst. Doch schließlich fragte er:

„Wie können wir die Schatten endgültig besiegen?"

Der Baum begann zu leuchten, und seine Äste bewegten sich, als ob sie eine Antwort formten. Dann hörte Danny eine Stimme, die nicht von außen, sondern von tief in ihm selbst zu kommen schien:

„Die Schatten können nicht besiegt werden, solange sie in deinem Herzen existieren. Nur, wer die Dunkelheit in sich selbst akzeptiert, kann sie im Außen besiegen."

Danny spürte, wie die Worte in ihm nachhallten. Er blickte zu Kael'thar, der ihn mit einem nachdenklichen Ausdruck betrachtete.

„Das ist weise," sagte Kael'thar schließlich. „Und es bedeutet, dass unsere Reise noch lange nicht vorbei ist."

Danny nickte, entschlossener denn je. „Dann sollten wir keine Zeit verlieren."

Gemeinsam verließen sie die Lichtung und setzten ihren Weg fort, wissend, dass die größte Herausforderung noch vor ihnen lag. Doch diesmal fühlte Danny sich stärker – und bereit, die Dunkelheit zu konfrontieren, wo auch immer sie sich versteckte.