Catherines Sicht
Die Sonne stach mir in die Augen, und ich setzte mich langsam im Bett auf, um festzustellen, dass ich mich in einem ungewohnten Zimmer befand.
Die Kleider, die verstreut auf dem Boden lagen, waren jene, die ich beim letzten Abend des Paarungsrituals getragen hatte.
Der gestrige Tag war von einem Paarungsritual im Schattenwald geprägt gewesen.
Es war eine Tradition unter den in New Jersey lebenden Werwölfen, alljährlich im Schattenwald ein Paarungsritual abzuhalten.
Dabei brachten der Alpha und die Luna jedes Rudels ihre noch ungebundenen Werwölfe dorthin, auf der Suche nach Gefährten während des Rituals.
Fand jemand natürlich keinen, wartete das Ritual im kommenden Jahr erneut auf ihn.
Als das Ritual begann, schlenderte ich mit einem Getränk herum, ohne den Wunsch zu verspüren, meinen Gefährten zu finden.
Ihr fragt euch sicher, wieso – ich war nämlich ohne Wolf.
Während ich mit einem Glas Himbeersaft in der Hand umherwanderte, beobachtete ich, wie meine Stiefmutter Elena Anderson unter einem Baum am Rand des Platzes mit meiner Stiefschwester Gina Wyatt sprach.
Obwohl ich keinen Wolf besaß, war mein Hörvermögen herausragend.
So konnte ich ihr Gespräch auch aus einiger Entfernung mithören.
Auch wenn Gina ihre Stimme senkte, konnte ich sie noch verstehen.
Sie lästerten über meine Mutter.
Wut kochte in mir hoch. Wie konnte sie es nur wagen!
Nachdem sie ihr Gespräch beendet hatten, hielt ich Gina auf, als sie alleine war, und forderte sie auf, sich bei meiner Mutter zu entschuldigen.
Offenbar ignorierte sie meine Warnung und mit einem dreisten Gesicht, als ob es hieße "na und?", übergoss ich sie mit Beerensaft und musste lächeln, als sie schreiend davonrannte.
Doch meine Stiefmutter war wütend und rief mit der stimme einer Luna: "Catherine! Finde sofort deine Schwester!"
Ich konnte Lunas Befehl nicht missachten, obwohl ich es nicht wollte, also suchte ich Gina.
"Gina! Wo bist du?" Ich war nun am Rand des Schattenwaldes, ein Stück entfernt vom Festplatz. Wenn ich weiter vorwärts gehen würde, käme ich trufe in den Wald hinein. Ich glaubte nicht, dass Gina unbedacht mitten in der Nacht in den Wald laufen würde.
Ich bemühte mich, das Gelächter der Menge auszublenden, um zu hören, ob ich Ginas Schritte wahrnehmen konnte.
Plötzlich nahm ich einen Vanilleduft wahr.
Ich hatte schon viele Düfte gerochen, doch ich schwor, keiner war so anziehend wie dieser.
Ich folgte dem Duft und versuchte, seiner Quelle näherzukommen. Als ich an einen Baum herantrat, sprang plötzlich ein großer Mann hinter dem Baum hervor.
Sofort traf mich eine starke Welle von Vanilleduft. Obwohl ich das Gesicht des Mannes im dämmrigen Licht nicht erkennen konnte, wusste ich, dass er kein Mitglied meines Rudels war.
"Wer bist du?" fragte ich vorsichtig. Seine Atmung war schwer, und ich hatte das Gefühl, dass er mich im Dunkeln anstarrte. In einer solchen Situation wagte ich es nicht, unüberlegt zu handeln.
Plötzlich sprang er auf mich zu und hielt mich in seinen Armen. Er war so stark, dass ich mich nicht befreien konnte.
Genau in dem Moment, als ich um Hilfe schreien wollte, überkam mich ein seltsames Gefühl. Mein Bewusstsein schien von einer anderen Person in Beschlag genommen zu sein. Ich konnte nicht mehr klar denken und wurde schließlich ohnmächtig.Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem fremden Zimmer.
Ich schob die Decke beiseite, stieg aus dem Bett und sammelte meine Kleidung auf. An der Stuhllehne neben mir hing die Anzugsjacke eines Mannes. Was zum Teufel? Ich warf sie wütend aufs Bett. Hatte dieser Kerl einfach so die Flucht ergriffen?
'War er mein Gefährte? Warum spüre ich jetzt nichts?'
Trotz der Schmerzen zwischen meinen Beinen kleidete ich mich an.
Dann stellte ich fest, dass der Obsidian-Anhänger, den mir meine Mutter geschenkt hatte, verschwunden war.
Nachdem ich überall im Zimmer erfolglos danach gesucht hatte, hörte ich ein Klopfen an der Tür.
Meine Stiefmutter und mein Vater kamen herein, als ich die Tür öffnete.
"Alpha Wyatt, deine Tochter hat die ganze Nacht mit einem Fremden herumgetrieben, während das gesamte Rudel sie gesucht hat. Wenn das andere erfahren, wird es zur Schande unseres Rudels!"
Elena setzte einen überraschten Gesichtsausdruck auf und keifte meinen Vater an. Dann warf sie mir einen finsteren Blick zu.
Elena schnaubte: "Catherine, ich hatte dich gebeten, gestern nach Gina zu suchen. Und was hast du getan? Du hast dich anscheinend hier amüsiert."
"Nein, das habe ich nicht!" erwiderte ich eilig.
"Schau dir die Knutschflecken an deinem Hals an. Willst du deinen Alpha wirklich noch täuschen?"
Unbewusst bedeckte ich meinen Hals. Der verdammte Kerl hatte zahlreiche Knutschflecken darauf hinterlassen.
"Catherine, ich bin so enttäuscht von dir." Troy warf einen Blick auf meinen Hals und dann auf das unordentliche Zimmer und schüttelte den Kopf.
Ich stammte aus dem Black Moon Rudel und mein Vater war der Alpha. Meine Mutter war Paisley Davis, die letzte Luna des Rudels, und sie starb, als ich drei Jahre alt war.
Um ehrlich zu sein, war mir bewusst, dass eine Luna für ein Wolfsrudel unverzichtbar war. Dennoch hatte mein Vater Elena schon zwei Monate nach dem Tod meiner Mutter geheiratet. Deshalb war es schwer für mich zu glauben, dass er wirklich um seine Gefährtin getrauert hatte.
Elena hatte es auf mich abgesehen, solange ich mich erinnern konnte. Offensichtlich hatte nicht jedes Rudel das Glück, eine nette Luna zu haben.
"Ich habe nicht herumgealbert." Ich beruhigte mich und sagte ruhig, "Auf dem Weg, um Gina zu suchen, traf ich auf einen Werwolf, und dann wurde mir schwarz vor Augen. Ich habe keine Ahnung, warum ich hier bin. Aber ich glaube, er könnte mein Gefährte sein."
"Dein Gefährte?" Elena spottete. "Unmöglich. Du lügst. Du wirst keinen Gefährten finden."
"Ich weiß, ich habe keinen Wolf in mir, aber viele Werwölfe wie ich haben ihre Gefährten gefunden. Stimmt's?" Ich versuchte geduldig zu sein, ungeachtet meines Unmuts über Elenas Verhalten.
Obwohl ich wütend war über das, was der Mann mir angetan hatte, verspürte ich gestern ein seltsames Gefühl. Doch ich wusste nicht, ob es das Gefühl zwischen Gefährten war.
Elena antwortete nicht auf meine Worte, sondern blickte stattdessen meinen Vater an.
"Als du geboren wurdest, hat eine Hexe ein Orakel über dich gesprochen und gesagt, dass du eine Werwölfin sein wirst, die niemals einen Gefährten finden wird", sagte Troy langsam und sah mich mitleidig an. Das war ein Schock für mich.
"Das kann nicht sein! Unmöglich! Wie kann ich keinen Gefährten haben?" sagte ich unwillkürlich.
Nun war ich noch verzweifelter als damals, als ich mit achtzehn Jahren herausfand, dass ich keinen Wolf in mir trug.
Mein Kopf war ein Wirrwarr, und ich konnte überhaupt nicht mehr klar denken. Werwölfe lebten alle in Rudeln, und jeder Werwolf ohne einen Gefährten würde für den Rest seines Lebens alleine bleiben.
"Würde dein Vater dich belügen?" spöttelte Elena. Dann sah sie meinen Vater an und sagte: "Liebling, ich weiß, du steckst in einem Dilemma. Aber die Ältesten des Rudels sind draußen, und wir müssen diese Situation angemessen handhaben."
"Catherine, ich werde nicht parteiisch sein, selbst wenn du meine Tochter bist." Troy atmete tief durch. Sein Gesicht wurde ernst, und in seinem Ton lagen Würde und Autorität.