Jules Sicht
Der Lehrer, ein Mann von mindestens eins achtzig, sah zuerst aus, als sei er wie das Kaninchen vor der Schlange gefangen. Er blinzelte mich ein paar Mal an, bevor er herumstotterte. Als ich mich in der Klasse umsah, erwartete ich Zustimmung von den Schülern oder zumindest etwas Ähnliches, aber stattdessen schüttelten die meisten mit dem Kopf und verdrehten die Augen. Als unser Blick sich traf, gab Taylor, der am anderen Ende des Raums saß, mir ein kurzes Kopfschütteln.
Heute Morgen waren wir noch gemeinsam zur Schule gekommen und hatten nebeneinander gesessen, aber da der Lehrer alle aufgefordert hatte, vor diesem Test die Plätze zu wechseln, mussten wir weit auseinander sitzen.
Als mein Blick auf Malachi fiel, sah er aus, als könnte ihn nichts berühren. Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinem Gesicht, das ich am liebsten jetzt gleich ausgelöscht hätte.
Die Stimme des Lehrers riss mich aus meinen Gedanken. Er sagte etwas, während er auf meinen Test starrte. „Du bist der Neue, richtig?", fragte er schließlich, und meine Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Ich fragte mich, warum er das plötzlich fragte, da es überhaupt nichts mit dem zu tun hatte, was ich zuvor angemerkt hatte.
Er schien gar nicht auf meine Antwort zu warten. Er betrachtete mein Papier genauer, bevor er fortfuhr: „Jetzt verstehe ich, warum du verärgert bist. Du wirktest so begriffsstutzig, und ich habe mich gefragt warum, aber jetzt ergibt es Sinn. Dein Papier ist ja völlig leer."
Während er redete, brach die ganze Klasse in Gelächter aus. Schnell stieg mir die Scham ins Gesicht. Der Lehrer sammelte die Papiere der anderen Schüler ein, bevor er zurück nach vorne ging.
Als er einmal mehr hinter dem Pult stand, ordnete er die Papiere und legte sie in eine Mappe. Dabei schweifte sein Blick immer wieder zu mir herüber.
Nachdem er fertig war, sprach er erneut. „Mr. McCarthy, ich würde Ihnen raten, sich mit Ihren Problemen oder Anliegen an die Schulleitung zu wenden, anstatt das nächste Mal meinen Unterricht zu stören."
Mein Mund klappte vor Schock und Verwirrung auf. Ich hatte erwartet, dass er noch etwas sagen würde, aber er beendete die Stunde und war durch die Tür verschwunden, bevor ich blinzeln konnte.
Nachdem er gegangen war, starrte ich ungläubig zur Tür, als ob ich erwartete, dass er zurückkehren und mir eine vernünftige Erklärung dafür geben würde, warum bestimmte Schüler offenbar ungestraft in der Klasse schummeln konnten.
Als ich mich umsah, bemerkte ich, wie alle ihre Sachen einpackten und in Zweier- oder Dreiergruppen den Raum verließen. Nach einigen Sekunden ließ ich mich resigniert in meinen Stuhl zurückfallen.
Die anderen Schüler hielten mein Aufstehen und die Forderung nach einer Erklärung vom Lehrer nicht für beeindruckend oder cool – sie hielten es für dumm und machten keinen Hehl daraus.
„Mann, der Neue bettelt förmlich um Ärger."
„Auf jeden Fall. Er hat wohl eine Todessehnsucht. Vielleicht vermisst er ja einen weiteren Sprung ins Schwimmbecken?", sagte ein Freund zum anderen, während sie lachend an meinem Platz vorbeigingen und mich keines Blickes würdigten. Ich sank in meinem Sitz noch weiter zusammen, als könnte mich das auf magische Weise jetzt sofort aus dem Klassenzimmer verschwinden lassen.
Als Taylor zu meinem Platz kam, sah er mitleidig aus, während er darauf wartete, dass ich meine Sachen zusammenpackte. Als ich fertig war, gingen wir mit gesenktem Kopf gemeinsam aus der Klasse.
Josh gesellte sich fast sofort zu uns, und als Taylor ihm erzählte, was in der Klasse vorgefallen war, brach er in Lachen aus."Verdammt. Du hast mehr Mut, als ich erwartet habe, Junge. So mutig war bislang noch niemand," sagte er zu mir, und ich spürte ein wenig Stolz in mir aufsteigen bei diesen Worten.
"Es mag mutig sein, aber es ist trotzdem dumm. Er wird nur weiter unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen und sich ungewollt noch mehr Feinde machen," murmelte Taylor, und ich hörte sofort auf zu reden.
"Was meinst du damit? Jeder könnte denken, ich hätte mich unangebracht verhalten, aber ich weiß, dass ich nichts Falsches gesagt habe. Ich werde tatsächlich, wie der Lehrer gesagt hat, das an die Schulverwaltung melden und über meine Mobbing-Erfahrungen in der Schule berichten."
Diesmal sah Josh genauso entsetzt aus wie Taylor.
"Wenn du das tust, musst du wissen, dass du damit indirekt deine eigene Schulausschluss riskierst," sprach Taylor, und ich starrte ihn entgeistert an.
"Keiner schert sich darum, was die 'besonderen' Schüler tun, denn das ist die Regel der Schule. Die 'besonderen' Schüler stehen über dem Regelwerk, sie sind diejenigen, die die Regeln bestimmen. Deshalb musste der Lehrer bei Malachis Betrug wegsehen, das macht jeder Lehrer, weil er sonst seinen Job und möglicherweise sogar sein Leben riskiert."
Mir blieb vor Schreck der Mund offen stehen, als ich die beiden anblinzelte.
"Aber der Lehrer hat mich gebeten..."
Josh schüttelte langsam den Kopf. "Er hat das nur getan, weil er nichts anderes tun konnte. Er weiß auch, dass du von der Schule verwiesen wirst, wenn du dich über das Verhalten eines 'besonderen' Schülers beim Schulmanagement beschwerst."
Meine Lippen wurden schmal. "Was ist dieser ganze Rummel um Malachi? Wie ist er überhaupt zu einem 'besonderen' Schüler geworden?"
Taylor und Josh tauschten Blicke aus.
"Du weißt nicht, wer Malachi ist?" fragte Josh, und ich schüttelte den Kopf, während ich mich fragte, ob ich ihn eigentlich kennen sollte.
"Malachi ist ein Vampirprinz und der alleinige Erbe eines der vier großen Clans im Bundesstaat," erklärte Taylor, und meine Augen weiteten sich vor Schock.
Von den berühmten vier Clans im Bundesstaat hatte ich schon einmal flüchtig gehört; mein Vater hatte ein paar Mal über sie mit seinen Geschäftspartnern gesprochen.
Malachi ist also ein Prinz und der Erbe von etwas so Gewichtigem? Kein Wunder, dass er so ein Unsympath ist und dass die Menschen ihm buchstäblich den Boden unter den Füßen küssen.
"Wow," flüsterte ich und begann vorwärtszugehen. Ohne nachzudenken, bog ich plötzlich ab und rannte direkt in etwas hinein, was mich stolpern ließ.
Als ich von den Beinpaaren vor meinem Gesicht aufblickte, fiel mein Blick auf Blazes ausdrucksloses Gesicht, und ich hätte in diesem Moment fast einen Herzinfarkt bekommen.