"Guten Morgen zusammen", sagte Lehrerin Shu, eine strenge Frau in ihren Dreißigern, als sie ans Pult trat. Ihr Blick glitt über die 25 Schüler ihrer Klasse und innerlich schüttelte sie den Kopf. Es war nicht nötig, dass sich die Sonderschüler und die normalen Schüler vorstellten; sie konnte sie auf den ersten Blick unterscheiden. Sie hatten sich offensichtlich in zwei Gruppen aufgeteilt, getrennt durch eine leere Sitzreihe in der Mitte.
"Ich denke, die Sonderschüler unter euch kennen mich bereits, da ich seit zwei Jahren eure Klassenlehrerin bin. Aber wir haben heute zehn neue Gesichter hier, also möchte ich mich noch einmal vorstellen, bevor wir dann zu euren Vorstellungen kommen. Einer nach dem anderen, bitte. Seht mich nicht so an", sagte Lehrerin Shu in scharfem Tonfall. "Ihr solltet lernen, Freundschaften untereinander zu schließen, verstanden?"
Von den Schülern kam widerwilliges Gemurmel und halbherziges Brummen.
Lehrerin Shu nickte und schrieb 'Shu Bingnan' an die Tafel. "Mein Name ist Shu Bingnan, ich bin selbst Absolventin der S-High, daher kann man mich im Grunde als eure Vorgesetzte ansehen. Ich unterrichte fortgeschrittene Mathematik und Physik. Es freut mich, euch alle kennenzulernen."
Dann war es an den Schülern, sich vorzustellen.
Die Sonderschüler beschwerten sich. "Warum sollen wir uns überhaupt vorstellen, Frau Lehrerin?"
"Genau, wir kennen uns doch schon seit der Junior High", bekräftigten sie. "Das sollten wirklich nur die Schüler der normalen Klasse machen."
"Ruhe!", fuhr sie sie scharf an. "Wollt ihr, dass ich euch Punkte abziehe?"
Punktabzug war die effektivste Methode, um diese widerspenstigen Kinder zu beruhigen. Seit langem schon hatte die S-High ein solches System etabliert. Schüler, deren Punktestand eine bestimmte Grenze unterschritt, mussten damit rechnen, dass ihre Eltern informiert wurden. Und genau davor hatten diese jungen Damen und Herren die größte Angst. Wie erwartet, murrten sie zwar widerwillig, standen aber doch auf, als Lehrerin Shu sie einzeln aufruf.
Es war nicht bekannt, was für eine Absprache sie getroffen hatten, aber die Schüler begannen damit, ihre Winterferien anzugeben.
"Ich heiße Ling Fangfang. Im Winter war ich mit meiner Mutter in Paris, haben die Seine-Kreuzfahrt gemacht und den Schnee genossen, danach haben wir meine Tante in Venezuela besucht…"
"Ich heiße Qu Lanji. Vor einem Monat bin ich 16 geworden und mein Vater hat mir einen Sportwagen in limitierter Auflage geschenkt…"
"Ich heiße…"
Jing Xuehao hörte ihnen zu, angeekelt. Er musste sich stark zusammennehmen, um nicht über ihren offensichtlichen Hohn zu spotten. In seinem Herzen brodelte der Ärger. Das musste Absicht sein! Sie sprachen extra über ihren Reichtum, um die normalen Schüler einzuschüchtern!
"Als Nächster ist Guang Li dran", rief Lehrerin Shu.
"J-Ja, Frau Lehrerin!", rief Guang Li erschrocken und hob den Kopf.
Jing Xuehao entspannte sich ein wenig, denn er war nicht der erste normale Schüler, der aufgerufen wurde. Wie erwartet, drehten alle Sonderschüler gleichzeitig ihre Köpfe und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf Guang Li.
Guang Li stand nervös auf. "Ha-Hallo zusammen, mein Nam-name ist Kuang-äh, Entschuldigung, ich habe mir auf die Zunge gebissen. Ich bin Guang Li."
Unterdrücktes Kichern hallte durch den Klassenraum und Jing Xuehao vergrub sein Gesicht in den Händen. Er war zwar nicht derjenige, der ausgelacht wurde, aber die Peinlichkeit übertrug sich dennoch. Er konnte nicht ausstehen, wie ungeschickt und beschämend Guang Li war! Jetzt würden die Sonderschüler sicher denken, dass sie alle ebenso streberhaft seien wie Guang Li!
"Erzählen Sie uns ein bisschen über sich, Guang Li", ermunterte Lehrerin Shu ihn.
"Ähm, ich...", Guang Lis Brille beschlug wegen seiner heftigen Atmung. "Ich war in den Winterferien nirgends..."
"Hast du irgendwas zu sagen, jetzt, wo du zu uns gestoßen bist?", warf ein Sonderschüler scherzend ein. Sein Satz wurde von mehreren Buh-Rufen begleitet, doch der naive Guang Li nahm ihn ernst.
"Ich bin so dankbar und überglücklich!" Er verbeugte sich tief. "Ich hoffe, ich komme gut mit euch allen aus!"
"Pfft—" Ein Gelächter brach bei den Spezialschülern aus. "Hahahaha! Schaut ihn an, er ist so verdammt unschuldig!"
Jing Xuehao ballte so fest die Fäuste, dass sein ganzer Körper leicht zitterte. Worüber lachten sie? War das so komisch?! Was war so lustig?!
Lehrerin Shu schlug mit der Handfläche auf das Pult. "Ruhe jetzt! Du Minshen, du verlierst einen Punkt wegen Fluchens."
"Aber Lehrerin! Das war doch nicht absichtlich!!!"
Die Lehrerin ignorierte ihn und fuhr fort: "Der Nächste: Huang Zhihe."
Im Nu verebbte das Getöse, als einer der Jungen, den Jing Xuehao zuvor gesehen hatte, aufstand. Mit einem Lächeln winkte er lässig, sogar in Richtung der Normalos, was die Mädchen erröten ließ. "Hallo zusammen, ich bin Huang Zhihe und dieses Jahr 17 Jahre alt. Bitte passt von nun an auf mich auf. Ich weiß, dass einige mit dem neuen System nicht zufrieden sind, aber sicher fühlen sich auch die Normalos unwohl. Ich hoffe wirklich, dass sich jeder gut verstehen wird. Schließlich sind wir ein Jahr lang in derselben Klasse, nicht wahr?"
Die Spezialschüler sahen sich an und änderten sofort ihre Meinung.
"Nun, wenn der junge Meister Huang das sagt..."
"Na gut, wir werden uns mit ihnen verstehen..."
"Danke, danke!" Huang Zhihe strahlte und zwinkerte charmant. "Ach ja, noch was: Ich war letztes Jahr Klassensprecher, also zögert nicht, mich um Hilfe zu bitten!"
Die Stimmung lockerte sich und Lachen war auf allen Gesichtern zu sehen. "Okay, okay, Klassensprecher!"
"Es lebe der Sonnenkaiser!"
"Genug davon!" tadelte Huang Zhihe lachend.
"Gut, danke für die nette Vorstellung, Mitschüler Huang." Lehrer Shu nickte zustimmend. "Wir sollten dich dieses Jahr wieder zum Klassensprecher machen."
Daraufhin folgten Jubelrufe. Danach verlief die Vorstellung reibungslos. Durch Huang Zhihe versuchten die Spezialschüler nicht mehr, Spott zu üben, aber Jing Xuehao konnte sich trotzdem nicht freuen.
"Der Nächste, Jing Xuehao."
Sofort setzte Jing Xuehao ein Lächeln auf, das er unzählige Male vor dem Spiegel geübt hatte, stand auf und sagte mit höflichem und zuvorkommendem Ton: "Hallo, alle miteinander. Mein Name ist Jing Xuehao. Ich weiß, ich bin ein Schüler der Normalo-Klasse, aber ich hoffe wirklich, dass ich gut mit euch allen auskommen werde."
Lehrer Shu nickte und zeigte zum ersten Mal ein dünnes Lächeln. "Klassenkamerad Jing hier ist seit zwei Jahren der Erstplatzierte der Normalo-Klasse. Er ist einer der talentiertesten Schüler, die die S-High in diesem Jahr hat. Wendet euch an ihn, wenn ihr Schwierigkeiten beim Lernen habt. Nicht wahr, Klassenkamerad Jing?"
Durch das Lob von Lehrerin Shu stieg Jing Xuehaos Selbstvertrauen und er spürte, wie die Blicke der Leute sich in Ehrfurcht und Neugier wandelten. "Natürlich." Er strahlte und richtete seinen Rücken noch mehr auf. "Es würde mich sehr freuen, meinen zukünftigen Mitschülern zu helfen!"
Siehst du, so sollte ein Spitzenreiter sein!
Der Direktor hatte sogar das alberne Statussystem abgeschafft, was bedeutete, dass auch er der Benotung mehr Bedeutung beimisst als allem anderen. Wenn es um Noten ging, war Jing Xuehao überzeugt, dass er der Beste sein würde im Vergleich zu all diesen sorglosen reichen Schülern, die nur wussten, wie sie das Geld ihrer Eltern ausgaben!
"Letztendlich", sagte Lehrerin Shu und ihr Gesicht entspannte sich sogleich. Es war offensichtlich, wie sehr sie diesen Schüler mochte. "Ren Zexi."
Die Stimmung im Raum wurde augenblicklich still und feierlich. Selbst der sonst so lebhafte Du Minshen blickte ernst nach vorne. Jing Xuehao zog erneut die Stirn kraus. Was war nur so besonders an diesem Jungen?
Ren Zexi stand auf und nickte knapp. Er machte nicht mal den Versuch, zu lächeln. "Hallo zusammen", sagte er mit seiner weichen, samtenen Stimme, die zwar nicht übermäßig tief und männlich, aber dennoch äußerst angenehm klang. "Ich bin Ren Zexi. Bitte seid mir in Zukunft wohlgesonnen." Danach setzte er sich wieder hin.
...Das war's schon? Keine ausführliche Vorstellung? Jing Xuehao wollte sehen, was Ren Zexi so ausgezeichnet machte, dass alle ihn in den höchsten Tönen lobten, doch mehr sagte er nicht?
Doch als wären alle seine knappen Manieren gewohnt, antworteten sie ihm enthusiastisch. "Bitte seien auch Sie mir wohlgesonnen, junger Meister Ren!"
"Für die Schüler der Normalklasse, die es vielleicht nicht wissen", fuhr Lehrerin Shu stolz fort. "Ren Zexi ist der Top-Schüler der Spezialklasse. Zudem ist er der Goldmedaillengewinner der Internationalen Olympiade in fortgeschrittener Physik des vergangenen Jahres." Als sie sich Ren Zexi zuwandte, wurde ihre Stimme noch sanfter. "Klassenkamerad Ren, erinnerst du dich noch an Professor Mu von der Peking-Universität, der neulich auf dich zukam? Er hat mich gebeten, dir auszurichten, dass er dich gern als Schüler aufnehmen würde, solltest du dich später in Peking bewerben. Wie denkst du darüber?"
"Woaaah!"
"Ein Professor aus Peking hat sich bereits unseren jungen Meister Ren ausgeguckt?"
"Er ist wirklich schnell auf den Beinen!"
"Glückwunsch, junger Meister Ren!"
Ren Zexi nickte als Antwort. Kein Anflug von Freude war auf seinem Gesicht zu erkennen, als ob er sich längst an den Strom an Aufmerksamkeit und Komplimenten gewöhnt hätte. "Ich werde es mir überlegen, Herr Lehrer."
Die ganze Klasse freute sich über diese Neuigkeit, selbst die Schüler der Normalklasse waren beeindruckt. Sie hatten also einen Olympiade-Goldmedaillengewinner in ihrer Klasse? Wie intelligent musste Ren Zexi sein, um von einem Professor einer so renommierten Universität aufgespürt zu werden, obwohl er erst im zweiten Jahr der Oberschule war?
Niemand merkte, dass bereits eine Gestalt in der Ecke wie erstarrt war. Es war niemand anderer als Jing Xuehao, der immer noch seinen Ohren nicht traute.
Die Freude, die er zuvor gespürt hatte, zersplitterte in tausend Stücke, und sein Stolz erlitt einen schweren Schlag. Er war immer davon überzeugt gewesen, dass keiner mit ihm in Noten konkurrieren könnte, aber nun... hatte er bereits verloren? Gab es etwa jemanden in der Spezialklasse, der klüger war als er? Nein, das konnte nicht sein... Es waren doch nur junge Meister, die ihr Leben lang verwöhnt worden waren, wie konnten sie so hart wie er lernen wollen?
Er würde dieses Ergebnis nicht akzeptieren, bevor sie nicht direkt gegeneinander angetreten waren!
Ren Zexi... Jing Xuehao starrte hitzig auf den Hinterkopf des Teenagers, das längst vergessene Gefühl des Wettbewerbs kehrte zurück. Niemand durfte besser sein als er! Er würde Ren Zexis Selbstgefühl zertreten und ihm zeigen, wie viel besser er war!
Genau. Er würde auf keinen Fall verlieren. Ren Zexi hatte einfach noch nicht den richtigen Gegner getroffen. Nun, da Jing Xuehao hier war, sollte er es sich bequem machen und sich mit seinem zweiten Platz zufriedengeben!
***
Der erste Schultag war stets eine Übergangszeit, und da es ein neues System gab, begnügte man sich in jeder Klasse damit, die Vorstellung des Lehrers zu hören und selbst eine Vorstellung zu machen. Die Glocke läutete, das Ende des heutigen Unterrichts signalisierend, und Ren Zexi zog sein Handy heraus, um Ah Shen eine Nachricht zu senden.
[Ren Zexi]: Ist Onkel Lu schon zu Hause?
Die Antwort kam binnen Sekunden.
[Ah Shen]: Nicht yet. Heute gibt es eine Aktionärsversammlung, daher wird der Chef sich etwas verspäten. Wie sieht es bei dir aus, junger Meister? Soll ich dich zuerst abholen?
Ren Zexi hatte gerade zu tippen begonnen, als Huang Zhihe ihm einen Arm um die Schultern legte. "Hey, hey, wohin willst du? Heute ist doch der erste Schultag, also locker bleiben, okay? Lass uns mit allen Spaß haben! Sei doch nicht so ein Opa. Welcher Jugendliche bleibt denn jeden Tag nach der Schule zu Hause?!" Er schnaubte verächtlich. Huang Zhihe hatte keine Ahnung, dass der echte "Opa" Lu Yizhou war. Abgesehen von der Arbeit hatte der Mann überhaupt keine sozialen Aktivitäten. In den elf Jahren, die Ren Zexi ihn kannte, hatte Lu Yizhou seine Zeit immer zu Hause verbracht, meistens in der Bibliothek. Er las Bücher und trank heißes Wasser – nicht einmal Tee oder Kaffee. Wegen ihm wurde Ren Zexi unbewusst beeinflusst und wurde ebenfalls zu einem Stubenhocker.
"Ich gehe nicht."
"Ach komm! Sei nicht so! Nur ab und zu, okay? Bitte! Ich habe den anderen schon gesagt, dass du kommst!" Huang Zhihe zog ihn näher zu sich und flüsterte. "Zeig deinem besten Freund etwas Respekt, okay? Hier geht es um Leben und Tod!"
Ren Zexi zog eine Augenbraue hoch und schwankte. Heute wäre Lu Yizhou nicht zu Hause, also wäre er alleine, selbst wenn er zurückkäme. Er starrte eine Weile auf Huang Zhihes flehenden Blick und seufzte dann. "Gut. Aber nicht zu spät. Sobald es 21 Uhr ist, gehe ich nach Hause."
"Juhu!" Huang Zhihe rief den anderen zu. "Leute, er kommt!!!"
"Jaaa!!! Sonnenkaiser, du bist der Beste!!!"
"Nur du kannst den jungen Meister Ren umstimmen!"
"Oh mein Gott, das wird so aufregend, wenn der Prinz hier ist!"
Als Ren Zexi den Tumult hörte, trat er Huang Zhihe gegen das Schienbein und funkelte ihn an. "Du hast ihnen doch nichts versprochen, oder?"
Der große Teenager antwortete ihm nur mit einem unschuldigen Grinsen und schwang den Autoschlüssel an seinem Finger. "Auf geht's! Los!" Dann wandte er sich an die Schüler der Normalklasse, die sich ihnen nicht anschließen wollten. Insgesamt waren es vier, einer von ihnen war Jing Xuehao. "Ihr kommt wirklich nicht mit?"
"Nein." Jing Xuehao lächelte. "Ich war heute beschäftigt, also lasse ich es ausfallen." Wem wollte er etwas vormachen? Er wollte nicht der Sonderklasse beitreten, nur um ihnen auf Gedeih und Verderb zu folgen und ihren extravaganten Lebensstil, der für ihn unerreichbar war, mitzuerleben. Wer wusste schon, wohin sie ihn bringen würden? Was, wenn der Ort, an den sie gehen würden, viel mehr kostete als sein Taschengeld für einen Monat? Egal wie stolz Jing Xuehao war, er hatte immer noch einen guten Selbstbeherrschung.
Arbeite hart, spiele hart. Das war sein Motto. Er hatte Besseres zu tun, als sich diesen jungen Herrschaften anzuschließen!
Nachdem er sich verabschiedet hatte, verließ er das Schulgelände und holte sein Telefon heraus, das im Vergleich zu Smartphones hässlich und alt aussah. Mit diesem Telefon konnte er nur telefonieren und WeChat-Nachrichten verschicken. Es war eines der Dinge, die er mit seinem eigenen Geld gekauft hatte, und er war stolz darauf.
"Hallo, Bruder Tang?" sagte er, nachdem die Verbindung hergestellt war, aufgeregt. "Hast du heute Zeit, um über den Geschäftsplan zu sprechen, den wir später beim Wettbewerb einreichen müssen? Ich habe ein paar tolle Ideen, die ich mit dir teilen möchte!"
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[1] In China gibt es zwei sehr berühmte Universitäten: Peking und Tsinghua. Es ist sehr schwierig, dort aufgenommen zu werden.
A/N: Unser Protagonist ist wirklich ein harter Arbeiter, nicht wahr?~
Wir haben mehr als 50 PS, also wird es am Montag 2 Kapitel geben! Stimmt weiter ab, Leute, wenn wir vor Sonntag die 100 erreichen, bedeutet das 3 Kapitel!!!