Ren Zexi rieb sich die Augen, setzte sich träge auf und gähnte. Eine Weile dachte er, dass sein Vater ihn geweckt hatte. Doch als er Lu Yizhous Gesicht sah, klärte sich sein Kopf schlagartig. Erinnerungen strömten wie Wellen in seinen Kopf und ließen seine Wangen wütend erröten.
Dummer Ren Zexi! Wie kannst du einfach so vor einem Fremden einschlafen?!
"Es tut mir leid, Onkel Lu...", murmelte er zitternd und senkte den Blick, unfähig, den Mut zu fassen, Lu Yizhou anzuschauen, aus Angst dort Verachtung oder Abscheu zu erkennen, ähnlich wie bei Onkel Ren.
"Boss?" fragte Ah Shen. "Ist etwas nicht in Ordnung?"
Lu Yizhou seufzte erneut und stieg aus dem Wagen.
Ren Zexi sah ihm nach, panisch und verwirrt. War das das Ende? Würde Lu Yizhou ihn zurücklassen? Wollte er nichts mehr mit ihm zu tun haben?
Entgegen seiner Befürchtungen drehte sich Lu Yizhou um und reichte ihm die Hand. "Wie lange willst du noch sitzen bleiben? Wir sind angekommen."
Erst jetzt bemerkte Ren Zexi, dass das Auto vor einem riesigen... Schloss angehalten hatte. Ja, ein Schloss. Wie sonst könnte er ein so großes, luxuriöses Gebäude beschreiben? Er stand mit offenem Mund da, und als er wieder zu sich kam, hatte seine Hand ein Eigenleben entwickelt und lag auf Lu Yizhous warmer Handfläche.
Erneut wurde er in die Umarmung des Mannes gezogen.
Ren Zexi presste verlegen die Lippen zusammen. Er war schon fünf Jahre alt, es gab keinen Grund, ihn wie ein Kleinkind zu halten... Doch aus irgendeinem Grund entschied er sich, nichts zu sagen, legte seinen Arm um Lu Yizhous Nacken und ließ sich von der Umgebung verzaubern, die direkt aus einem Märchen zu stammen schien.
"Willkommen zurück, Meister." Eine Reihe von Dienern verbeugte sich synchron, ihre Blicke gesenkt.
"Willkommen zurück, Meister. Ihr Mittagessen wird gerade vorbereitet. Möchten Sie in der Zwischenzeit ein Bad nehmen?" fragte der Oberbutler An Kequ höflich und zuvorkommend. Er war ein eleganter Mann mittleren Alters, der noch recht jung und charismatisch aussah.
Sein Blick fiel dann auf den schüchternen Ren Zexi in Lu Yizhous Armen. Überraschung war nicht einmal ausreichend, um seine Gefühle zu beschreiben. "Das ist..."
"Ren Zexi." Lu Yizhou überlegte einen Moment und fügte hinzu. "Er wird von nun an hier bei mir leben."
"Oh je..." An Kequs Augen weiteten sich. Er sah hin und her zwischen Ren Zexi und Lu Yizhou, und bemerkte, wie Ren Zexi sich voller Vertrauen und Abhängigkeit an Lu Yizhou klammerte, während Lu Yizhou, der normalerweise Menschen, die sich ihm auf fünf Meter näherten, verabscheute, Ren Zexi fest an sich zog.
Das... Könnte das der uneheliche Sohn von Meister Lu sein?!
Das muss es sein!
"Junger Meister." Butler An änderte sofort seinen Tonfall, seine Augen glänzten vor Freude. "Darf ich mich vorstellen, mein bescheidener Name ist An Kequ, ihr könnt mich Butler An nennen. Seid ihr hungrig? Habt ihr Wünsche bezüglich des Essens?"
Ren Zexi war verdutzt und sah fragend zu Lu Yizhou. Junger Meister...? Bezog sich das auf ihn? Er war sogar so freundlich, zu fragen, was er essen wollte? "Onkel Lu, ich...""Was ist los?"
"Kann ich...?" Ren Zexis Augen glänzten von Tränen. Seit er aufgewacht war, schien alles zu schön, um wahr zu sein, und er fürchtete, dass alles nur ein Traum war.
Lu Yizhou erinnerte sich an die Misshandlungen, die das Kind kürzlich erlitten hatte, seufzte und milderte seinen Ton. "Natürlich. Von heute an ist dies dein Zuhause. Du kannst hier machen, was immer du willst." Er nickte dem Butler zu. "Wenn du Hilfe brauchst, kannst du ihn um alles bitten."
Ren Zexis Lippen zitterten und er vergrub seinen Kopf in Lu Yizhous Nacken, schluchzend. "Onkel Lu... Onkel Lu..." Seine Brust fühlte sich so voll an, als würde sie platzen. Er konnte nicht einmal einen Satz formieren, um seine Dankbarkeit auszudrücken.
Butler An verdeckte sein Lächeln mit der Hand, doch die Rundung seiner Augen verriet ihn.
Lu Yizhou sah hilflos auf. "So ein Heulsuse."
[Wie alt ist er noch mal? Drei?]
[666: Gastgeber, Ren Zexi ist bereits fünf! Er wird im Herbst seinen sechsten Geburtstag feiern, also vergiss das nicht! Du musst eine große Party für ihn schmeißen! Oh, warte… 666 wird dich rechtzeitig daran erinnern.]
[Er ist schon fünf?] Lu Yizhou prüfte das Gewicht des Kindes in seinen Armen. Zu leicht. Er sagte zu Butler An: "Bereite das Mittagessen für zwei vor."
Butler An verneigte sich lächelnd. "Ja, Meister."
"... und lass ihn baden," fügte er hinzu.
"Meister..." erinnerte Butler An vorsichtig. "Es scheint, als wolle der junge Meister sich noch nicht von Ihnen trennen. Wie wäre es, wenn Sie ihn zum Baden mitnehmen?"
Lu Yizhou runzelte die Stirn.
"Ah, nein... es ist in Ordnung," sagte Ren Zexi und rieb sein Gesicht verwirrt. "Ich kann selbst baden. Es gibt keinen Grund, Onkel Lu zu belästigen."
Selbst ein Blinder könnte sehen, dass er es nicht so meinte, wie er es sagte. Lu Yizhou war fast bereit, so zu tun, als wüsste er von nichts, und ihn dem Diener zu überlassen, als 666 unaufhörlich zu klagen begann.
[666: Rücksichtsloser, kaltherziger Gastgeber! Wie kannst du ein Kind an einem fremden Ort wie diesem allein lassen? Die einzige Person, der er vertraut, bist du, und du willst ihn wegschicken?! Was ist, wenn er aufgrund von mangelnder Zuneigung künftig Probleme bekommt?! Ein Kind ist verletzlich und sensibel, Gastgeber! Du bist so begriffsstutzig! Kein Wunder, dass du immer noch Single bist!]
Ren Zexi betrachtete Lu Yizhous zunehmend düsteres Gesicht und zitterte, während ihm die Farbe aus dem Gesicht wich. Wie... Wie konnte er seine Position so schnell vergessen?!
Sein Onkel hatte ihm immer wieder eingeschärft, dass nach dem Verlust seiner Eltern niemand ihn mehr verwöhnen würde, daher sollte er nicht hochmütig sein, nur weil Onkel Lu ihm ein klein wenig Güte zeigte! Er sollte nichts als selbstverständlich annehmen!
"Nein... es tut mir leid, Onkel Lu, ich..."
"Gut."
Lu Yizhou fügte sich seinem Schicksal. Lieber vorsichtig als nachsichtig, er wollte nicht alles noch einmal durchmachen. „Dann bereite das Bad vor.""Wie Ihr wünscht, Meister", sagte Butler An, verbeugte sich und entschuldigte sich.
"Onkel Lu...?" Ren Zexi blickte schockiert auf und verstand nicht, warum. Der Mann hatte offensichtlich widerwillig ausgesehen, also warum hatte er dann doch zugestimmt?
Lu Yizhou wollte gerade etwas erwidern, als sein Herz plötzlich unangenehm schnell schlug. Innerhalb eines kurzen Augenblicks war er außer Atem, und ein Kälteschauer kroch über seine Fingerspitzen.
[Systemnachricht: Warnung! Der Zustand des Gastgebers ist instabil! Bitte legen Sie umgehend eine Pause ein!]
[666: Aaaaaah!!! Gastgeber, was ist passiert?!]
[Ich bekomme schlecht Luft. Fühlt sich so eine Herzkrankheit an?]
Lu Yizhou setzte ihn plötzlich ab, was Ren Zexi verwirrte. Erst als der Mann die Hand hob, um das Dienstmädchen zu rufen, bemerkte Ren Zexi, dass dessen Gesichtsfarbe nicht gut aussah. Schockiert griff er nach Onkel Lus Hose. Seine Pupillen bebten vor Sorge und Angst. "Onkel Lu, geht es Ihnen nicht gut?"
Lu Yizhou schluckte die Pillen, die ihm das Dienstmädchen gereicht hatte, und schüttelte den Kopf. Sein Atem beruhigte sich allmählich. "Du bist zu schwer. Es ist so anstrengend, dich zu tragen."
"Herr..." Das Dienstmädchen wirkte besorgt.
Lu Yizhou winkte es beiseite und gab ihm ein Zeichen mit den Augen, nichts Unnötiges zu sagen.
"Oh... ist das so?" Ren Zexi war so beschämt, dass er hätte im Boden versinken können. "Entschuldigen Sie, Onkel Lu. Sie brauchen mich nicht mehr zu tragen. Ich werde alleine gehen..."
Lu Yizhou tätschelte ihm den Kopf. "Braver Junge."
Ren Zexis Gesicht erhellte sich sofort und strahlte über beide Ohren. Er hielt sich fest an Lu Yizhous Hand, als dieser ihn zum Aufzug brachte und die Taste für den fünften Stock drückte. Ren Zexi war von allem so überwältigt, dass er wie betäubt war. Er wusste nicht, wie lange es dauern würde, bis er sich an diesen Luxus gewöhnt hatte.
In seinem ehemaligen Zuhause konnte er den gesamten Raum vom Flur aus überblicken. Geschweige denn sein Zimmer, selbst sein Haus war kleiner als Lu Yizhous Vorzimmer.
"Onkel... Wo ist Ihre Familie? Sollte ich sie zuerst begrüßen?" Er erinnerte sich an ein Problem. Was, wenn der Rest von Lu Yizhous Familie ihn nicht mochte? Was sollte er dann tun?
"Ich lebe allein", antwortete der Mann. "Zusammen mit den Dienern. Aber keine Sorge, sie wohnen nicht im nämlichen Bereich."
"Sie leben alleine in diesem riesigen Anwesen?!" Ren Zexi platze damit heraus und war schockiert. Er konnte es sich nicht vorstellen. Würde Lu Yizhou sich nicht einsam fühlen in diesem riesigen Raum mitten in der Nacht?!
Ein Anwesen? Die Mundwinkel von Lu Yizhou hoben sich, aber sein Lächeln verschwand schnell wieder spurlos. "Du wirst dich bald daran gewöhnen."
Ren Zexi schüttelte verdutzt den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich jemals daran gewöhnen würde. Er glaubte, schon genug schockiert worden zu sein, aber als sie aus dem Aufzug in einen langen, glänzenden Flur traten und Lu Yizhous Zimmer betraten, konnte Ren Zexi nicht verhindern, dass ihm vor Staunen ein Schluckauf entfuhr.
Überall war es so… unglaublich!Er war geblendet von dem glatten Keramikboden, dem riesigen antiken Himmelbett mit dunkelblauer Matratze und dem deckenhohen Fenster, das eine Seite der Wand einnahm und den Blick auf den Garten voll grüner Pflanzen und Blumen freigab. Sogar eine Lounge-Bar gab es dort, mit einem Regal voller Weinflaschen, bei denen er schon seinen Vater hatte ins Schwärmen geraten sehen.
Butler An trat aus dem Badezimmer und zog seine Handschuhe wieder an. "Das Wasser ist bereit, Herr, junger Herr. Das Handtuch und den Bademantel habe ich an den gewohnten Platz gelegt und den des jungen Herrn dazu."
Lu Yizhou nickte. "Gute Arbeit."
Butler An verneigte sich. "Ich bitte um Entschuldigung. Genießen Sie Ihr Bad. Das Mittagessen wird serviert, sobald Sie fertig sind."
"Auf geht's." Lu Yizhou betrat das neblige Bad, nachdem Butler An die Tür hinter sich geschlossen hatte. Ren Zexi kam zu sich und folgte ihm.
Eine undurchsichtige Schiebetür trennte den äußeren vom inneren Bereich des Badezimmers. Im inneren Bereich befand sich eine riesige Whirlpool-Badewanne, aus der weißer Nebel aus dem cremigen Wasser aufstieg, sowie eine Duschkabine, während sich im äußeren Bereich das Waschbecken und der Schrank befanden.
Lu Yizhou legte langsam seine Uhr, seine Krawatte und seine Jacke ab. Als er sich umdrehte, machte er Ren Zexi ein Zeichen. "Kannst du deine Kleidung nicht selbst ausziehen?"
"Ich kann!" Er begann sein Hemd aufzuknöpfen, mit gesenktem Kopf und konzentriert zusammengepressten Lippen. Ein erleichtertes Seufzen entwich ihm, als es ihm endlich gelang. "Onkel Lu, sieh mal..." Die Worte blieben ihm im Halse stecken.
Er hatte den nackten Körper seines Vaters schon unzählige Male gesehen. Ebenso wie die vieler anderer Männer, wenn sie gemeinsam ein öffentliches Badhaus besuchten. Wieso fühlte sich dann alles so anders an, wenn es um Lu Yizhou ging?
Inmitten des weißen Nebels, der die Szenerie vernebelte, lag Lu Yizhous nackter Körper in voller Gänze offen. Blasse Haut über kompakten Muskeln, breite Schultern, eine schlanke Taille, lange Beine...
Schönheit, das war der erste Gedanke, der Ren Zexi durch den Kopf schoss. Selbst sein kleiner Bruder war so rein und elegant, ganz anders als sein Vater.
Dann nahm Lu Yizhou seine Hand und half ihm, in den Whirlpool zu steigen. Das cremige Wasser roch erfrischend süß. Und es war warm. So bequem, dass Ren Zexi sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen konnte.
"Ist die Wassertemperatur angenehm?"
"Ja! Es ist so schön … Onkel Lu, es ist kein Wunder, dass du so schöne Haut hast." Ren Zexi grinste dämlich.
Lu Yizhou saß ihm gegenüber und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Wassernoppen rannen an seinen Wimpern, Wangen und Lippen herab, zeichneten sich auf seinem markanten Schlüsselbein ab und ließen seine Haut im Ganzen glitzern. Seine silbrigen Augen reflektierten das Licht, und seine Pupillen nahmen beinahe eine goldene Farbe an. Wie konnte jemand so gleißend und funkelnd sein? Es war als hätte er alles Licht, das das Universum zu bieten hatte, in sich eingesogen und zu seinem eigenen gemacht.
Tatsächlich war er überhaupt nicht feminin. Es gab an ihm nichts Zartes, doch würde ihn jeder, der ihn ansah, ohne Zweifel als schön bezeichnen.
Wie benommen platzte es aus Ren Zexi heraus. "Du bist so schön..."
———
A/N: Also, manche von euch zweifeln daran, dass Ren Zexi fünf Jahre alt ist und so etwas denkt. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich finde, dass das völlig normal ist *schwitz*. Er bewundert lediglich eine Schönheit, wenn er sie sieht und vergleicht sie mit seinem eigenen Vater. Es hat absolut nichts Sexuelles an sich, nur reine Bewunderung. Es tut mir leid, wenn meine Beschreibung irgendwie sexuell wirkte :'))