Er flog in Richtung des Geräusches, das ihn seit dem Morgen beschäftigt hatte. Die Landschaft unter ihm veränderte sich, als er sich durch Wälder und über Hügel bewegte. Schließlich fand er sich vor einer alten, verfallenen Festung wieder, die halb in den Wäldern verborgen lag.
Der Drache landete sanft auf einem freien Platz vor den Ruinen und näherte sich vorsichtig dem Eingang der Festung. Die Mauern waren brüchig und von der Zeit gezeichnet, und die Vegetation hatte sich ihren Weg durch die Ritzen gefunden. Ein Gefühl der Nervosität und Spannung durchzog Thalor, während er durch die düstere Passage der Festung schritt.
Das Brüllen, das er gehört hatte, kam aus dem Inneren der Festung. Thalor schlich sich weiter voran und fand schließlich eine große, halbdunkle Kammer. In der Mitte der Kammer, an einem Ort, der von Schatten und Staub umhüllt war, sah er eine Drachenfrau, die gefangen in Ketten lag. Sie war von beeindruckender Größe und hatte eine Aura von königlicher Würde, die selbst in ihrem Gefangenenzustand spürbar war.
Thalor hielt den Atem an, als er die Drachenfrau genauer betrachtete. Die Ähnlichkeit war unübersehbar – die Form ihrer Schuppen, die Farbe ihres Körpers, alles erinnerte ihn an seine eigene Mutter. Sein Herz schlug schneller, als er den Schritt in die Kammer wagte.
„Mutter?" Seine Stimme war tief und dröhnend, doch von einem feinen Zittern durchzogen.
Die Drachenfrau hob den Kopf und sah ihn mit erschöpften Augen an. Ihre Miene war zunächst neutral, doch als sie Thalor genauer ansah, schien ein Ausdruck von Erschrecken und Ungläubigkeit über ihr Gesicht zu ziehen. „Wer bist du?" fragte sie mit einer Stimme, die sowohl müde als auch durchdringend war. „Was willst du hier?"
Thalor trat näher, und die Emotionen in ihm stauten sich. „Ich bin Thalor. Dein Sohn. Du hast mich vor Jahren verstoßen, weil du dachtest, ich sei zu schwach."
Die Drachenfrau starrte ihn an, als ob sie ihn erst jetzt richtig erkannte. Ein Ausdruck der Überraschung und des Bedauerns breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Thalor? Das kann nicht sein. Du... du solltest schon längst tot sein. Du warst zu schwach."
Thalor zog sich zurück, und ein wütendes Knurren entkam seiner Kehle. „Zu schwach? Du hast mich verstoßen, weil du nicht wusste, wie man einen Drachen richtig aufzieht. Du hast mir die Chance genommen, stark zu werden. Nun bin ich hier, und du wirst für das zahlen, was du mir angetan hast."
Die Drachenfrau senkte ihren Kopf und ein Anflug von Reue erschien in ihren Augen. „Es tut mir leid, Thalor. Ich wusste nicht, dass ich dich falsch beurteilt habe. Du warst zu früh geschlüpft, und ich dachte, du würdest nicht überleben können. Ich habe dich verstoßen, weil ich dachte, es sei das Beste für dich."
Thalor kämpfte mit seinen Gefühlen, als er die Entschuldigung hörte. Der Zorn in ihm begann sich zu legen, und er konnte die Worte seiner Mutter nur schwer verarbeiten. „Wie kannst du dir sicher sein, dass es nicht meine Schuld war? Wie kannst du sicher sein, dass ich nicht hätte überleben können, wenn du mir die Chance gegeben hättest?"
Die Drachenfrau blickte auf und sah Thalor mit Tränen in den Augen an. „Ich habe einen Fehler gemacht, und ich kann ihn nicht rückgängig machen. Bitte vergib mir. Ich habe nicht verstanden, wie stark du wirklich sein könntest."
Thalor atmete tief durch und ließ die Wut in seinem Herzen nachlassen. Er wusste, dass er nicht nur für sich selbst kämpfen musste, sondern auch für die Zukunft, die er sich aufgebaut hatte. „Ich werde dir vergeben, aber ich möchte nicht, dass du weiterhin den Fehler machst, andere aufgrund von Vorurteilen zu beurteilen. Jeder hat das Potenzial, stärker zu werden, wenn man ihm die Chance gibt."
Die Drachenfrau nickte zustimmend und schloss die Augen. „Ich verstehe. Danke, Thalor."
Thalor betrachtete die Ketten, in denen seine Mutter gefangen war. „Ich werde dich befreien, aber ich möchte nicht, dass du weiterhin anderen das Leben schwer machst. Du musst lernen, aus deinen Fehlern zu lernen."
Mit einem mächtigen Hauch seiner Magie ließ Thalor die Ketten zerbrechen. Seine Mutter stand langsam auf, und Thalor half ihr behutsam.