"Mama, warum darf Nyx ihn heiraten?"
Nyx wurde unsanft durch das Winseln vor der Tür geweckt. Sofort setzte sie sich erschrocken auf, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ihre Mutter Lisa und ihre jüngere Schwester Risa in ihr Zimmer marschierten, ohne auch nur anzuklopfen.
"Das war nicht unsere Entscheidung, Süße. Er hat es so gewollt." Lisas Blick fiel auf Nyx, und sofort verwandelte sich das süße Lächeln in ein Grinsen.
"Gut, du bist wach", schnauzte Lisa, sobald sie eintrat.
Sie warf ihr ein Kleid zu, das Nyx gerade noch auffing. Nyx starrte es an, und ein beunruhigendes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Ihre Mutter hatte ihr nie ein neues Kleid geschenkt - zumindest nicht ohne Hintergedanken. Das Beste war immer für Risa reserviert, und als Nyx das teure Kleid in ihrer Hand sah, wusste sie, dass zweifellos etwas Schlimmes passieren würde.
"Geh dich umziehen. Eine sehr wichtige Person wird uns heute besuchen, und du solltest dich besser von deiner besten Seite zeigen."
"Was ist das mit dem Heiraten?" fragte Nyx und sah Risa an. "Wen soll ich denn heiraten?"
"Das ist nicht fair", jammerte Risa weiter und ignorierte ihre ältere Schwester völlig. Sie schmollte und verschränkte ihre Arme.
"Ich weiß, Schätzchen", sagte Lisa und streichelte das Haar ihrer jüngeren Tochter. "Aber wenn wir sie verkauft haben, werden wir reich sein."
"Ihr wollt mich verkaufen?" fragte Nyx mit großen Augen, als sie vom Bett hüpfte. "Warum? An wen?"
Sie war gerade erst aufgewacht, und plötzlich wurde sie an einen unbekannten Mann zur Heirat verkauft. Tausende von Fragen schwirrten in Nyx' Kopf herum und verlangten nach einer Antwort, aber alles, was sie bekam, war Lisas finsterer Blick.
"Hör auf, so viele Fragen zu stellen!" bellte Lisa, und bevor Nyx reagieren konnte, hallte eine Ohrfeige durch den Raum, und ihre Wange brannte von dem Aufprall.
Verblüfft rührte sich Nyx nicht, und Lisa nutzte das aus, um sie in den Waschraum zu zerren. Nyx schrie und trat um sich, sobald sie wieder zu sich kam, aber es war nutzlos - sie wurde von Lisa und einer sehr widerwilligen Risa festgehalten. Bald darauf wurde sie in ein Kleid gezwungen und die Treppe hinuntergeführt, wobei ihre Mutter und ihre Schwester sie auf beiden Seiten flankierten.
Sie führten sie ins Wohnzimmer, wo die geheimnisvollen Gäste, von denen Lisa sprach, auf sie warteten. Das Wohnzimmer war ausnahmsweise voll besetzt, und ihrer Kleidung nach zu urteilen, handelte es sich um prominente Leute, denen ihre Familie nicht zu nahe treten konnte.
Ihr Vater, Andrew, war bereits mit den Gästen anwesend. Als er bemerkte, dass sie die Treppe hinunterkamen, räusperte er sich und hatte ein Lächeln im Gesicht. Nyx hatte ihn noch nie so strahlend in ihre Richtung lächeln sehen, und sofort bildete sich eine Gänsehaut auf ihrer Haut.
"Ah, da sind sie ja." Er streckte die Hände breit und einladend aus und wies mit einer Geste auf ihre Gäste. "Nyx!"
Sofort verbeugten sich Lisa und Risa und zogen Nyx mit sich nach unten.
Andrew fuhr fort: "Das ist dein zukünftiger Ehemann, Alpha Oberon."
Nyx fiel die Kinnlade herunter. Sie wurde mit dem Alpha verheiratet?!
Sie hob ihren Kopf und betrachtete den Mann, der vor ihr saß. Er kam ihr bekannt vor, und Nyx fragte sich, wo sie ihn wohl schon einmal gesehen hatte. Oberons Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er ihre Überraschung bemerkte.
"Sie ist perfekt!", rief die Frau neben ihm entzückt aus. "Du bist wunderschön, meine Liebe."
Nyx drehte sich um und sah sie an. Sie war schon etwas älter, aber selbst in ihrem Alter war ihre Schönheit noch gut erhalten. Sie fand schnell heraus, wer diese Frau war, und neigte den Kopf zu einem Knicks. Wenn das Alpha Oberon war, dann musste diese Frau seine Mutter Elena sein.
"Danke, Euer Majestät", sagte Nyx und errötete leicht. Sie war zwar immer noch verwirrt, aber die plötzliche Zuneigung ließ ihr die Hitze in die Wangen steigen. Es war so lange her, dass sie so offen gelobt worden war.
Risa hingegen verdrehte nur die Augen und schaute weg. Ihr Herz krampfte sich vor Eifersucht zusammen. Sie sollte einen Alpha heiraten, nicht ihre nutzlose Schwester!
"Komm, setz dich zu mir", winkte Elena und klopfte auf den leeren Platz neben sich, und Nyx kam pflichtbewusst nach.
Zur gleichen Zeit räusperte sich einer der Männer, die mitgekommen waren. Der Adjutant sagte: "Sie wissen bereits, warum wir hier sind. Wir werden gleich zur Sache kommen."
Andrew nickte, die Hände eifrig ineinander verschränkt. "Bitte fahren Sie fort, Sir Demetrius."
"Wir wollen, dass Ihre Tochter so bald wie möglich mit unserem König verheiratet wird", sagte Demetrius, und sein Tonfall war von einer gewissen Endgültigkeit geprägt. "Deshalb werden die Hochzeitsriten morgen Abend beginnen."
Bei seinen Worten krampfte sich Nyx' Herz zusammen. Morgen? Sie hatte bis vor wenigen Minuten nicht einmal gewusst, dass sie einen Verlobten hatte. Wut kochte in ihr hoch, aber das waren keine Gefühle, die sie im Moment zeigen konnte, wenn sie ihr Leben behalten wollte.
"Wir werden im Palasthof getraut", fügte Oberon hinzu. Andrew nickte nur eifrig und ohne jedes Argument. "Also wird sie mit uns kommen."
Endlich konnte Nyx es nicht mehr zurückhalten. "Was?" "Jetzt?", fragte sie verblüfft.
Lisas Augen zuckten irritiert. Diese Göre sollte ihnen besser nicht das Geschäft vermasseln. Ihre Heirat würde ihnen einen Haufen Geld einbringen, und das war alles, wofür sie gut war.
"Ja", sagte Demetrius ruhig. "Du wirst Zeit brauchen, um dich vorzubereiten. Wir können uns keine Fehler leisten."
Überwältigt schüttelte Nyx den Kopf. Ihr Kopf pochte, und der Raum fühlte sich an, als würde er sich ihr verschließen. Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, stand sie auf und entfernte sich von Elena, wobei sie darauf achtete, auch die Reichweite ihrer giftigen Familie zu vermeiden.
"Ich... Bitte entschuldigen Sie mich", sagte sie seufzend und verließ schnell das Wohnzimmer.
Als Nyx in ihr Zimmer zurückkehrte, brach sie auf ihrem Bett zusammen. Tränen fielen ihr unkontrolliert aus den Augen, und sie griff planlos nach oben, um sie wegzuwischen, aber vergeblich.
Warum konnte Alpha Oberon nicht Risa heiraten? Nyx sah deutlich den Blick der Eifersucht in den Augen ihrer jüngeren Schwester.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihren Gedankengang, und sie schreckte auf und sah gerade noch rechtzeitig auf, um Elena hereinkommen zu sehen.
"Eure Majestät!" grüßte Nyx und stand eilig vom Bett auf. Dann erinnerte sie sich daran, wie sie das Wohnzimmer verlassen hatte, und ihre Hand tastete panisch nach ihrem Hals. "Ich... Es tut mir leid, Majestät, ich..."
"Was ist los, meine Liebe?" fragte Elena, woraufhin Nyx aufgrund ihres sanften Tons erschrocken die Augen weitete. "Du scheinst nicht glücklich zu sein."
Nyx schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht, warum ich jemanden heiraten soll, den ich nicht kenne", sagte Nyx, und ihre Stimme wurde noch leiser. "Selbst wenn diese Person unser Alpha ist, habe ich ihn noch nie getroffen."
"Du wirst eine gute Luna für das Rudel sein, Nyx", sagte Elena.
Sie ging hinüber und hielt sanft Nyx' Hände, was Nyx einen Schauer über den Rücken jagte. Es war nicht aus Angst oder Ekel, sondern eher aus Schock. Es war so lange her, dass Nyx eine warme, sanfte Berührung gespürt hatte.
"Aber ich weiß nicht einmal, wie man Luna ist."
"Ich werde dir alles beibringen, was du wissen musst, wenn du den Vorschlag annimmst", sagte Elena mit flehenden Augen.
Nyx biss sich auf die Lippe. "Bei allem Respekt, warum fragen Sie mich das, Eure Majestät? Ihr könnt mir einfach befehlen, ihn zu heiraten."
Elena lachte leise auf. "Ich möchte Euch diese Heirat nicht aufzwingen. Wollt Ihr Oberon heiraten? Das Rudel braucht eine Luna - es braucht dich."
Nyx blickte auf ihre Hände, die in Elenas Griff lagen, und ein leiser Seufzer entkam ihren Lippen. Gab es irgendetwas, was sie sagen konnte, um abzulehnen? Selbst wenn es ihr gelänge, diese Heirat zu verhindern, würden Andrew und Lisa ihr die Hölle heiß machen für das, was sie getan hatte.
Das war ihr Schicksal, und sie hatte keine Möglichkeit, es zu ändern.
"Ja, Eure Majestät", antwortete Nyx leise. "Ich werde ihn heiraten."