Sie erreichte die Eingangstür des Hauses, zog einen Schlüssel aus ihrer Tasche, aber obwohl sie es eine Weile probierte, passte der Schlüssel nicht einmal ins Schlüsselloch.
Mit einem "Klimpern" warf sie den Schlüssel in einen nahegelegenen Mülleimer und blieb dann einfach stehen, wartend. Sie wusste nicht, wie lange sie dort verharrte, so taub waren ihre Beine. Erst später vernahm sie schwache Schritte von hinten.
"Warum bist du hier?" Eine Frau mittleren Alters eilte herbei, als sie Tang Yuxin sah, packte sie am Arm und fragte: "Wer hat dich hergeschickt?"
"Das ist mein Haus", entgegnete Tang Yuxin und fixierte die Frau vor ihr mit einem spöttischen Ausdruck auf ihren rot geschminkten Lippen, "Mama, muss ich dir Bericht erstatten, wenn ich in mein eigenes Haus zurückkehre?"
"Du und Yong'an seid geschieden", zischte die Frau mittleren Alters, "Deine Schwester ist jetzt schwanger, hör auf, Unruhe zu stiften."
"Oh..." Tang Yuxin spielte mit ihren Fingern. Einer trug die tiefe Abdruckspur eines Rings. Sie hatte ihr halbes Leben in diesen Ring gesteckt, aber jetzt war er weg.
"Ich bin weniger als einen Monat von Zhang Yong'an geschieden und sie ist bereits schwanger?"
"Mama, deine Tochter ist genauso flott wie du."
Plötzlich drehte Tang Yuxin ihr Gesicht weg, als sie geohrfeigt wurde. Sie spürte einen brennenden Schmerz auf ihrer Wange und berührte sie, als sie langsam taub wurde.
"Tang Yuxin, wenn du es wagst, meiner Jiani auch nur ein Haar zu krümmen, werde ich dich nicht davonkommen lassen."
Es war eine Drohung, die Drohung einer Mutter an ihre eigene Tochter. Tang Yuxins Herz wurde kalt. Das war ihre Mutter, ihre leibliche Mutter.
Sie hatte es verdient. Ja, sie hatte es wirklich verdient...
Sie hatte zu sehr ihrer Mutter vertraut, aber ihre Mutter hatte sie ihr Leben lang ausgenutzt. Sie war allzu vertrauensvoll gegenüber Menschen, genauer gesagt, gegenüber diesen sogenannten Familienmitgliedern.
Und sie vertraute einem Mann zu sehr.
Hatte Tang Yuxin eine Familie?
Sie drehte sich um und ging Schritt für Schritt davon.
Der Nachtwind brachte eine solche Kälte mit sich, als wäre es schon früher Winter, dabei war es erst der Anfang des Herbstes. Der herbstliche Wind wirbelte über ein Land voller gefallener Blätter und trug ein wenig der Nachtverödung mit sich.
Und sie, sie hatte nirgendwo hinzugehen.
Sie hatte ihren Mann und ihr Haus verloren.
Sie hob den Kopf und atmete tief die kalte Luft ein. Plötzlich hielt sie inne, zog ein Handy aus ihrer Tasche und hielt es lang in der Hand, tätigte jedoch keinen Anruf.
Sie wollte sagen: "Papa, es tut mir leid."
Aber sie war zu beschämt, es auszusprechen.
Kalter Wind strömte unablässig von allen Seiten gegen ihren Nacken, was sie unwillkürlich zusammenzucken ließ. Ihre zusammengekniffenen Augen wurden von den Scheinwerfern eines näherkommenden Autos geblendet.
Sie wich schnell zur Seite, aber das Auto kam rasant und mit grellem Licht auf sie zu wie eine Rakete. Noch bevor sie reagieren konnte, hatte das Auto sie bereits erfasst.
Sie lag auf dem Boden, das Gesicht berührte den kalten Asphalt. Dann öffnete sie die Augen, die wie bodenlose schwarze Löcher erschienen, und zum ersten Mal sah sie die Motten unter der Straßenlaterne.
Die Motten schwärmten auf das Licht zu, immer wieder.
Genauso wie sie.
"Mr. Gu, hier bitte."
Die Tür des Krankenzimmers öffnete sich, ein Arzt ließ Gu Ning eilig eintreten. In diesem Moment war Gu Nings Gesicht so fahl, dass er einem blutleeren Geist glich. Einer seiner Arme war von seiner anderen Hand umfasst und deutlich geschwollen.
Beim Eintritt sah er eine Frau auf dem Krankenhausbett liegen, ihr ganzer Körper war blutüberströmt.