Wenn sie schon vor dem Umzug zur Wei-Familie eine Prinzessin war, könnte man wohl besser sagen, dass sie wahrhaftig eine Prinzessin war, als sie noch einen Vater hatte.
Für sie gab es zu viele unzuverlässige Menschen und Dinge auf dieser Welt. Sogar ihre leibliche Mutter hatte ihr gesamtes Leben geplant, sodass sie sich fragte, auf wen sie sich stützen oder wem sie vertrauen konnte. Daher lebte sie nach ihrer Scheidung allein. Zu jenem Zeitpunkt begriff sie, dass der, der sie am meisten liebte, nicht etwa ihre Mutter war, sondern ihr Vater, den sie stets verachtet hatte, weil er hässlich, arm, dumm und unfähig war.
Ein Vater ist ein echter Vater, aber eine Mutter könnte jemand anderem angehören.
"Meine kleine Xinxin benimmt sich heute so brav." Tang Zhinian kneift sanft in das kleine Gesicht seiner Tochter. Seine rauen Finger vermitteln ein Gefühl von Aufrichtigkeit. Ein Lächeln bricht auf Tang Yuxins Gesicht durch. Ihre von Fältchen durchzogenen Augen sehen unglaublich schön aus, als sie die Tränen, die zu fallen drohten, mit aller Kraft zurückhält.
Sie würde nicht weinen, nein, sie würde nicht weinen.
Nun, da sie ihren Vater gesehen hat, wird sie in diesem Leben die kindliche Pietät zeigen, die sie im letzten Leben versäumt hat. Die Fehler, die sie in diesem Leben gemacht hat, wird sie in diesem Leben wiedergutmachen. Den Menschen, gegenüber denen sie sich schuldig fühlt, wird sie selbst ihre Schulden begleichen.
Tang Zhinian ist zufrieden. Seine Tochter war heute außergewöhnlich folgsam und war bei Essen nicht wählerisch; sie verspeiste eine ganze Schüssel Eier. Früher lehnte sie so vieles ab: Sie wollte keine Eier essen, die zu weich oder zu fest waren, keine ohne Sojasauce, nichts, was gebrochen war. Die sorgfältig gedämpften Eier von heute waren zwar immer noch etwas zerbrochen, aber glücklicherweise beschwerte sie sich nicht und aß sie komplett auf.
Erst, nachdem Tang Zhinian die kleinen Füße seiner Tochter mit seinen eigenen Ärmeln sauber gewischt hatte, fand er ihre Schuhe und half ihr hinein. Obwohl er, Tang Zhinian, kaum etwas besaß und von morgens bis abends überwiegend mit der Arbeit auf dem Hof beschäftigt war, gab er alles, was er hatte, um sie aufzuziehen. Andere Kinder trugen selbstgemachte Kleidung, mitunter flickig – ein alltäglicher Anblick in dieser kargen Zeit.
Tang Zhinian jedoch ließ seine Tochter niemals flickige Kleidung tragen. Er kaufte ihre Kleidung in der Stadt und sparte an seiner eigenen Verpflegung, um für seine Tochter zu sorgen. Wie hart das Leben auch wurde, selbst wenn er hungern musste, würde er niemals zulassen, dass seine Tochter litt. Ungeachtet der Tatsache, dass andere ihre Söhne den Töchtern vorzogen, war seine Liebe zu seiner kleinen Yuxin unbestreitbar. Sogar ihren Namen hatte der Direktor der dörflichen Grundschule ausgesucht.
Als Tang Zhinian die Hand ausstreckte, um seine Tochter hochzuheben, schüttelte Tang Yuxin sanft seine große Hand ab. "Papa, Xinxin kann alleine laufen." Sie war immerhin erwachsen. In ihrem Inneren befand sich die Seele einer über Dreißigjährigen mit drei Jahrzehnten Lebenserfahrung. Sie konnte sich nicht von ihrem Vater tragen lassen, obwohl sie körperlich noch sehr jung war, sehr jung.
"Okay", schmunzelte Tang Zhinian und strich seiner Tochter über den Kopf, "Ist meine Xinxin schon größer geworden?"
Tang Yuxin begann, ihrem Vater nach draußen zu folgen, hinter Tang Zhinian in kleinen Schritten. Ihre Beine waren zu kurz, ihre Schritte zu klein, aber Tang Zhinian passte sein Tempo immer an, aus Angst sie könnte stürzen.
Draußen kneift Tang Yuxin die Augen zusammen gegen das Sonnenlicht und schützt sie mit ihrer kleinen Hand. Das warme Licht fällt wie Regentropfen auf ihr Gesicht und ihre zwiebelgleich zarten Fingerspitzen.