Asher und die Zwillinge kamen auf dem Greville-Anwesen an. Sie waren beide von dem riesigen Herrenhaus beeindruckt. Auf dem Weg zum Herrenhaus durchquerten sie die Ländereien der Familie Greville, vorbei an zahlreichen Gärten und weiteren Attraktionen, die eine Atmosphäre von Ruhe und Gelassenheit schufen. Trotz der Weitläufigkeit des Anwesens fiel ihnen auf, dass die Sicherheitsmaßnahmen strikt waren und kein Eindringen zuließen.
Die ganze Zeit hatte Livia den Mund offen stehen. Das kleine Mädchen rutschte auf ihrem Sitz herum, hielt die Knie angewinkelt und starrte gebannt auf alles, was an ihnen vorbeizog, als sie sich dem Herrenhaus näherten. Es schien, als hätte sie Ashers Anwesenheit vollkommen vergessen. Auch Lucas war begeistert von den Eindrücken, doch er hielt sich zurück und blickte einfach nur stillschweigend aus dem Fenster.
Irgendwann kehrte Livia in die Realität zurück und wurde sich ihrer eigenen Reaktionen bewusst. Sie errötete und begann nervös mit ihren Fingern zu spielen. 'Oh Gott, jetzt halten sie mich sicher für ein ungezogenes Mädchen...', schossen die Gedanken durch ihren Kopf, ohne dass sie bemerkte, dass der Wagen angehalten hatte und sie ihr Ziel erreicht hatten.
Am Herrenhaus angekommen, stieg Asher mit Lucas aus, während die verlegene Livia in Emmy's Obhut blieb. Lucas war froh zu sehen, dass seine Schwester so viel Gefühl zeigte. Lucas hatte zwar alles für ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen getan, aber das Fehlen elterlicher Figuren und seine langen Abwesenheiten hatten ihre Gefühle stark abgestumpft.
Früher war sie sehr lebhaft gewesen, doch der frühe Tod ihrer Mutter und ihre Erkrankung an einer unbekannten Krankheit im Alter von sechs Jahren hatten sie sehr mitgenommen. Sie konnte nur noch zu Hause bleiben, und da sie tagelang nicht wusste, wo Lucas war, quälten sie oft Gedanken an den Verlust ihres einzigen Bruders und an ihre Einsamkeit. Sie war jedoch nicht einmal in der Lage, aufzustehen und Lucas zu unterstützen.
"Emmy, lass sie beide baden und zieh ihnen saubere Kleidung an. Weise ein Dienstmädchen für sie ab und sage ihr, sie soll sie so behandeln, als ob sie mich selbst bedienen würde", gab Asher Anweisungen, bevor er in sein Zimmer ging und die Zwillinge bei Emmy zurückließ, die sie in die Gästezimmer im ersten Stock führte.
Viele Bedienstete waren überrascht, die Zwillinge und ihre auffallende Augenfarbe zu sehen. Manche Gedanken schwirrten ihnen durch den Kopf, doch niemand sprach sie aus. Sie waren versierte Arbeiter und wussten, dass unbedachte Äußerungen gefährlich sein könnten. Emmy wies zwei Dienstmädchen an, sich um die Zwillinge zu kümmern und sie ermahnte sie, die Zwillinge aufmerksam zu behandeln und keine Unhöflichkeiten zu dulden.
Lucas und Livia trugen schmutzige weiße T-Shirts und schwarze Shorts und auch ihre Erscheinung war ungepflegt. Livias Haare waren verstrubbelt und Lucas hatte viele kleine Wunden an Bauch und Rücken. Es gab zwar einige Narben, aber solange sie nicht durch einen mana-verstärkten Angriff entstanden waren, konnten sie mit speziellen Tränken geheilt werden.
Die Dienstmädchen brachten sie in ein riesiges, rundes Bad und gaben ihnen neue Unterwäsche, sodass sie sich ordentlich waschen konnten. Lucas war es zwar ein wenig peinlich, von anderen in Unterwäsche gewaschen zu werden, aber er beschwerte sich nicht. Livia dagegen staunte mit offenem Mund über die große Wanne, während das Dienstmädchen ihre Haare wusch.Sie konnte immer noch nicht glauben, was mit ihr und Lucas geschehen war. Sie hatte Angst, an diesem neuen Ort zu sein, der so groß und schön war, sogar besser als ihr Traumschloss, aber ihre unschuldige Aufregung siegte über ihre Ängste.
"Woow!" Sie öffnete ihren Mund beim Anblick des luxuriösen Bades.
Ein Teil des Shampoos fiel in ihren Mund und sie machte ein komisches Gesicht, was Lucas und das andere Mädchen, das ihn wusch, zum Kichern brachte. Als Livia ihre Reaktion sah, wurde sie erneut verlegen. Heute war ihr Gesicht so oft rot geworden wie in ihrem ganzen Leben nicht mehr.
Nach einem ausgiebigen Bad waren ihre Gesichter wieder klarer zu erkennen. Fürs Erste bekamen sie die alten Kleider von Asher und seinen Schwestern zum Anziehen. Asher hatte ihnen bereits gesagt, dass er sie nach dem heutigen Tag zum Einkaufen mitnehmen würde. Obwohl die Kleider alt waren, kamen sie den Zwillingen immer noch zu weich und zu teuer vor. Es war Sommerzeit in Soran.
Asher kam aus seinem Zimmer und zog sich bequemere Kleidung an. Er rief die Zwillinge nach unten, um ihnen eine kleine Führung durch das Haus zu geben, damit sie sich mit ihrer neuen Umgebung vertraut machen konnten. Er sah, wie die Kinder mit Emmy herunterkamen.
Nach einem ausgiebigen Bad und dem Wechseln ihrer Kleidung war ihre geerbte Attraktivität bereits zu sehen. Lucas hatte die Gesichtszüge seines Vaters Ivar geerbt, und er sah auch so aus wie Lucas, als er jung war. Asher hatte verschiedene Bilder von Ivar im Familienalbum gesehen, und er konnte die Ähnlichkeiten bereits erkennen. Auch Livia sah in ihrem weißen Kapuzenpulli und ihrer Hose sehr niedlich aus, und sie schien ganz nach ihrer Mutter zu kommen. Wenn man sie nur ansah, konnte man sich vorstellen, wie schön ihre Mutter war.
"Ihr seht beide gut aus. Wollt ihr eine Tour machen?" sagte Asher zu ihnen.
Livia fühlte sich immer noch ein wenig unwohl bei seinem gleichgültigen Blick, aber sie nickte trotzdem auf seine Frage hin. Sie hielt sich an Emmy fest, und ihre purpurroten Augen schienen sich von ihrem blassen Gesicht abzuheben. Emmy nahm Livia in den Arm, und obwohl Livia sagen wollte, dass sie gerne laufen würde, ließ sie sich von Emmy wie ein kleines Kind herumtragen. Aber ihre Wangen waren immer noch rot.
Lucas trug ein Marken-T-Shirt und eine Hose, die gut zu seinem Aussehen passten. Er und Livia folgten Asher, als er ihnen das Erdgeschoss zeigte. Er zeigte ihnen die große Küche mit den vielen Köchen, die die Gerichte für sie zubereiteten. Asher gab ihnen ein Zeichen, dass sie den Kindern ein paar Snacks geben sollten. Er führte sie in verschiedene Räume, von denen jeder seinen eigenen Zweck erfüllte. Es dauerte 20 Minuten, bis sie die verschiedenen Räume des Herrenhauses gesehen hatten.
"Dieses Haus ist riesig. Selbst der kleinste Raum ist größer als unser eigenes Haus!", staunte Livia, während sie es immer noch bewunderte. Lucas lächelte sie nur an. Er sorgte sich etwas um ihre Gesundheit, da sie ihren Körper stark beanspruchte, aber er hielt sie nicht davon ab.
"Folgt Emmy, sie wird euch eure Zimmer zeigen und einige Dienstmädchen beauftragen, sich um Livia zu kümmern. Später werde ich euch meinen Eltern vorstellen", sagte Asher und tätschelte Lucas sanft den Kopf.
Die Zwillinge waren besorgt wegen der bevorstehenden Begegnung mit Ashers Eltern, aber da er versprochen hatte, sie bei sich aufzunehmen, beruhigten sie sich ein wenig. Lucas hatte nichts dagegen, unter Asher als Diener zu arbeiten, solange für seine Schwester gesorgt war.
"Ihr könnt euch noch ein wenig umsehen und dann schlafen gehen. Morgen treffen wir meine Eltern", sagte Asher und ließ die Zwillinge Richtung Übungsplatz ziehen.
Die Zwillinge folgten Emmy in ihre neuen Zimmer. Lucas wollte bei Livia bleiben, doch Emmy überzeugte ihn, dass er zwar die Nacht bei ihr verbringen könne, aber dennoch ein eigenes Zimmer haben sollte.
"Liv, geht es dir gut?", fragte Lucas besorgt, als er Ashers Worte hörte, dass sie bis Ende des Monats sterben würde. Auch wenn er nicht wusste, wie Asher das wissen konnte, glaubte er ihm dennoch.
"Mach dir keine Sorgen, ich bin nur etwas müde. Aber falls sie versuchen sollten, dich zu etwas Schlechtem zu zwingen, können wir immer noch versuchen, nach Hause zurückzukehren", Livia kannte ihren Zustand nur zu gut, wollte Lucas aber nicht damit belasten.
"Ich weiß, schlaf nur gut", sagte er, ließ Livia alleine zurück und begab sich in sein Zimmer, um zu schlafen.
Da Arthur und Sylvie heute beschäftigt waren und erst morgen nach Hause kommen würden, beschloss Asher, die Zwillinge lieber persönlich seinen Eltern vorzustellen. So hätte er mehr Freiraum und seine Aktionen würden unbemerkt bleiben, wenn die Aufmerksamkeit seiner Eltern auf die Zwillinge gelenkt war.
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"Amelia!", rief ein junger Mann einem hübschen Mädchen mit langen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen schwarzen Haaren zu.
"Ich habe unsere Flüge gebucht, aber möchtest du wirklich, dass die drei uns begleiten?", fragte der junge Mann das Mädchen.
"Damian, sie waren dieses Semester unsere Klassenkameraden. Kontakt zu Eva Williams und Elena Rothschild aufzubauen, klingt doch nicht übel, oder?", erläuterte Amelia.
"Du lädst sie zu Ashers Party ein. Ich bin mir nicht sicher, ob er sie mögen wird, wenn er Kevins Persönlichkeit kennt!", Damian kannte seinen besten Freund Asher gut genug, um zu wissen, dass dieser solche Personen nicht leiden konnte.
"Sein Bruder wird sie einfach ignorieren, so wie er auch mich ignoriert!", spottete Amelia, doch in ihrer Stimme schwang auch ein Hauch von Frustration mit.
"Er mag zwar kühl wirken, aber das bedeutet nicht, dass er dich hasst, Amelia", versuchte Damian sie zu trösten.
"Ja, ja... Du wirst deinen besten Freund so oder so unterstützen", entgegnete Amelia und ließ Damian ratlos zurück, der sich am Kopf kratzte und nicht wusste, was er darauf erwidern sollte.