Adeline geriet in Panik und sprintete barfuß aus ihrem Schlafzimmer. Die Halskette war ihr unglaublich wertvoll. Sie war das letzte Geschenk ihrer Eltern. Die sanfte Berührung ihrer Mutter spürte sie noch, als diese ihr das Schmuckstück um den Hals gelegt hatte, gefolgt von einem liebevollen Klaps ihres Vaters auf den Kopf.
Adeline überlegte fieberhaft, was sie sagen könnte, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Dann fiel ihr sein Name wieder ein. Er hatte ihr seinen Namen genannt. Sie hatte den zauberhaften Namen vergessen, bis sie gezwungen war, ihn auszusprechen.
"Elias, bitte!"
Er hielt inne.
Ihr Herz machte einen Sprung. Zögerlich lächelte sie über das Treppengeländer hinweg, in der Hoffnung, dass er nicht so herzlos war. Langsam drehte er sich um, spielte dabei genüsslich mit der Kette auf seinem langen Zeigefinger.
Sie schluckte.
Mit eben diesem Finger hatte er intime Stellen ihres Körpers berührt, ihren unteren Rücken, als sie Walzer tanzten, und ihre Hand, als er sie über das Tanzparkett führte.
"Bitte?", wiederholte sie leiser.
Das Zimmer von Tante Eleanor und Viscount Marden lag auf der anderen Seite des großen Hauses. Leider hatten beide einen leichten Schlaf, und Adeline wollte kein Risiko eingehen. Sie konnte es sich nicht leisten.
Im nächsten Augenblick stand er wieder vor ihr. Der Atem stockte ihr. Ängstlich trat sie einen Schritt zurück, die Hände an die Brust gepresst. Er stand zu nah.
"Du hast mich fortgejagt", neckte er sie. "Und nun möchtest du, dass ich zurückkehre?"
"Ich... es war lediglich eine natürliche Reaktion. Welche Frau würde schon einen Fremden in ihr Zimmer lassen..."
"Ach, so bin ich jetzt ein Fremder? Obwohl ich deinen Körper gut kenne."
"Musst du so unverfroren sein?", entgegnete sie ungeduldig.
Sein Lächeln wurde weicher. "Es ist keine Unverfrorenheit. Es ist Ehrlichkeit, mein Liebling."
Adeline wich weiter zurück. Seine Worte wirkten geschickt, fast manipulativ. Charmant war er, das musste man ihm lassen, und er hatte durchaus Qualitäten, die einen werdenden Psychopathen vermuten ließen. Vielleicht war er bereits einer.
Als sie in seine blutrot gefärbten Augen blickte, überschlug sich ihr Magen. Er betrachtete sie, als wäre sie nur ein Stück Fleisch.
"Meine Halskette", flüsterte sie. "Bitte."
Elias hob die Hand neben sich. "Du meinst dieses kleine Ding?"
Sie nickte eifrig.
"Sie gehört jetzt mir." Er schloss seine Hand um sie.
Elias sah, wie die Hoffnung aus ihrem Gesicht schwand. Ihre Unterlippe bebte. Ein rührender Anblick. Wollte sie etwa weinen? Hoffentlich nicht, mit Tränen kam er schlecht zurecht.
"Du bist ein großer Tyrann und, und –"
"Hier, Liebling", sagte er und hob seine Hand zu ihr.
Adeline belebte sofort wieder. Sie streckte die Hand aus. Sekunden später umklammerte er ihr Handgelenk. Sie hatte einen harten Aufprall erwartet, doch überraschenderweise war seine Berührung sanft. Er behandelte sie wie Porzellan.
"Ich habe nicht gesagt, dass du sie zurückbekommen kannst."
"Bitte gib sie mir", flehte sie. "Sie war von Anfang an mein."
Elias musterte ihren unglücklichen Blick. Ihre Stimmung änderte sich schlagartig. Sie musste in diesem Moment eine Flut an Emotionen unterdrücken.
"Wie ich bereits sagte, was wirst du mir dafür geben?" fragte er."Mein Dank?"
"Wozu brauche ich etwas so Sinnloses, liebste Adeline?", fragte er.
"Es wird sich in der Zukunft als nützlich erweisen", täuschte sie vor.
"Das klingt nach etwas, das ein Trickbetrüger sagen würde."
Adeline fragte sich, ob er sadistisch sein könnte. Elias musste es genossen haben, sie zu quälen.
Sie konnte nicht länger draußen bleiben. Sie fror. Ihr Nachthemd bot keinen Schutz vor der nächtlichen Kühle, und die Temperatur war weiter gesunken, als er plötzlich vor ihr erschien.
"Ich weiß nicht, was ich getan habe, um deine Sticheleien zu verdienen, aber ich werde mich dafür entschuldigen. Also bitte... könntest du mich nicht einfach in Ruhe lassen?", bat sie düster.
Elias hob interessiert eine Augenbraue und diese kleine Bewegung fesselte sie in Sekunden. Er war so gutaussehend, dass sie den Blick nicht abwenden konnte. Egal, wie sehr Hass in ihrem Herzen schwelte, sie war von ihm hingerissen. Im Zwielicht der Nacht war er absolut atemberaubend.
"Meine liebe Adeline", säuselte er sanft. "Ich spiele nur mit dir."
"Aber es tut weh."
"Wirklich?"
Adeline nickte.
"Vergib mir", flüsterte er leise.
Adeline dachte, er würde sie wieder auf den Arm nehmen. Doch seine spielerische Miene war ernsten Zügen gewichen.
"Du hast eine eigenartige Art, mir zu sagen, dass es dir leidtut", murmelte sie. "Einfach 'vergib mir' zu sagen, ist für eine Entschuldigung zu befehlend."
Ein Glucksen entkam ihm. Das tiefe, satte Geräusch brachte ihre Zehen zum Kringeln. Selbst sein Lachen klang angenehm in ihren Ohren. Er war eine gefährliche Mixtur. Charmant, aber sadistisch.
Elias konnte jeden auf der Welt haben, wenn er wollte. Bei einem Mann mit diesem Aussehen war es ganz natürlich, dass man auf ihn reagierte.
"Das liegt daran, dass ich mich nicht entschuldigen werde."
Adeline zog sofort die Stirn kraus. Hatte ihm denn niemand Manieren beigebracht? Was war mit dem Benehmen eines Gentlemans geschehen?
"Haben wir das nicht bereits geklärt?", erinnerte er sie.
Adeline hatte genug von seiner Maskerade. Sie ballte ihr Kleid in der Faust und trat zurück. "Wenn du weiterhin vorhast, mich so zu hänseln, dann gute Nacht."
"Adeline—"
"Ich sagte gute Nacht", schnitt sie ihm ab.
Elias' Lächeln blieb. Sein kleines Opfer hatte also auch diese Seite? Er war beeindruckt. Adeline war nicht so züchtig, wie sie dargestellt wurde.
Ohne auf seine Erwiderung zu warten, drehte sie sich auf dem Absatz. Ihr Kleid wirbelte um sie herum und flatterte im Wind, als sie zurück in ihr Zimmer marschierte. Sie drehte sich sofort um und verriegelte das Fenster.
Mit einem Fingerschnippen könnte Elias es aufbrechen, doch ihretwegen tat er es nicht. Er beobachtete, wie sie zu ihrem Bett stürmte und sich in das sichere Nest ihrer Decken verkroch. Wie ein schmollendes Kind kehrte sie ihm den Rücken zu. Wunderschöne Locken aus goldgesponnenem Haar flossen über ihre schmalen Schultern herab, ein köstlicher Duft verfolgte ihren Abgang.
Elias schüttelte den Kopf, nicht aus Enttäuschung oder Ärger, sondern aus reiner Belustigung. Sie war so liebenswert süß, dass er sie am liebsten zerdrückt hätte. Da ihr Gespräch nun unweigerlich vorbei war, beschloss er zu gehen.
Jetzt, da sie gereizt worden war, hatte sie keine andere Wahl, als am zweiten Tag des Balls teilzunehmen.
Das war von Anfang an sein Plan.
Sobald sie einen Fuß in sein Schloss setzte, würde sie nicht mehr entkommen können.