'ELIA
Als der Schatten des Mannes auf sie herabfiel, erstarrte Elia, überzeugt davon, dem Tod gegenüberzustehen. Doch plötzlich schlug ein massiver Körper vor ihr auf den Boden, und ein Gebrüll, das meilenweit widerhallte, betäubte ihre Ohren.
Ein gewaltiger Schatten erhob sich direkt vor ihr und sprang dann nach vorn, dem Angreifer entgegen. Elia erkannte, dass der König gesprungen war, um sich zwischen sie und den Mann zu stellen. Beide wälzten sich im Kampf, fauchten und knurrten, bewegten sich so schnell, dass Elias Augen ihr Streiche spielten und sie silbernes Fell und ein schwarzes Maul im Staub mit einem massiven, sandfarbenen Fell und einer goldenen Mähne kämpfen sahen.
Der Lärm war entsetzlich, ein Knurren, das ihre Rippen erbeben ließ, und blutrünstiges Fauchen.
Dann endete es so abrupt, wie es begonnen hatte. Der Mann, der sie angegriffen hatte, lag auf dem Rücken, seine Hände umklammerten das Handgelenk des Königs, der seinen Hals niederdrückte. Er brüllte seine Worte, und Elia hörte darin das Tier.
"Du wirst den Ritus NICHT brechen! Du wirst unser Volk nicht entehren!"
Einen Moment lang wand sich der Mann unter der Hand des Königs. Dann stieß er ein leises Geräusch aus, und sein Körper erschlaffte. Es erinnerte Elia so an die Schlaffheit des zuvor toten Körpers, dass sie sich fragte, ob er gestorben war. Aber nein. Kaum hatte er nachgelassen, ließ der König von seinem Hals ab und richtete sich auf, blieb allerdings über ihm stehen.
Langsam erhob sich der Mann, seine Augen voller Wut, doch er sah dem König nicht ins Gesicht und machte keine Anstalten, auf sie zuzugehen. Mit gesenktem Haupt und gebeugten Schultern stand er da, während der König Anweisungen knurrte und der Mann sich verneigte. Dann drehte er sich um und kehrte zu seinem Platz im Kreis zurück.
Das Publikum war vollkommen still.
Dann drehte sich der König um und musterte sie, sein Brustkorb hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Sie wartete, doch er sagte nichts. Stattdessen ging er auf sie zu, das Kinn so tief, dass der Schatten seiner markanten Kieferlinie über den dickem Pelzkragen seiner Weste fiel. Sein Haar war ihm im Gerangel ins Gesicht gefallen, und er blickte sie daraus an, wie ein Löwe im Gras. Sein graziler, rollender Schritt erinnerte sie an ein Raubtier, das sich an seine Beute anschlich. Obwohl der Waldboden mit Ästen und Blättern übersät war, gab er keinen Laut von sich.
"Wh-er bist du?" stammelte Elia und wich zurück, ihre Hände erhoben. Schritt für Schritt folgte er ihr, bis sie hart gegen den Baum hinter ihr stieß - und hielt nicht inne, bis sie sich Auge in Auge gegenüberstanden und er über ihr aufragte, so breit, dass seine Schultern und Brust eine Mauer vor ihr bildeten. Sie konnte die Wärme seiner Haut in der kühlen Nachtluft spüren.
"Ich bin der König." Seine Stimme war dunkel und rau. Hinter ihm erhob sich ein Chor aus heiserem Jubel, Heulen und zustimmendem Tschilpen der Zuschauer. "Und du bist?"
"Elia", hauchte sie.
"Elia", knurrte er und neigte sich näher, sodass sie den Duft von Kiefern, Regen und das Moschusartige eines deutlich männlichen Wesens bei sich spürte. Sein Blick fiel auf ihren Hals, und plötzlich lehnte er sich vor und strich mit der Nase ganz sanft über ihr Schlüsselbein und atmete tief ein. Ihre Haut kribbelte dort, wo er sie berührte. Reflexartig legte sie ihre Hände auf seine Brust, um ihn davon abzuhalten, noch näher zu kommen. Als sie ihn berührte, erstarrte er wie ein gejagtes Tier. Dann richtete er sich auf und begegnete ihren Blick vorsichtig. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, doch seine Augen glühten wild und versetzten ihr einen Adrenalinstoß in den Bauch - und ein Kribbeln in Regionen, an die sie normalerweise nicht dachte.
"Elia", raunte er erneut.
"Ja?"
"Ich bin Reth." Er sprach den Namen mit einem seltsamen, kehligen Rollen aus, das sie an ein Grollen erinnerte. "Ich bin der König der Tiere. Ich bin der Clanführer der Anima. Und ich bin der Alpha aller." Bei dieser letzten Bemerkung erhoben sich hinter ihm mehrere Knurrgeräusche, aber er ignorierte sie. Elia schluckte und wollte den Mund öffnen, doch er beugte sich vor, bis das Stoppeln an seinem Kinn ihre Wange rieben und sagte: "Und du wirst meine Gefährtin sein."
Der Wald hinter ihm brach in Aufruhr aus.'