Die Blumen standen in voller Blüte, auch wenn der starre Winterwind an den Blütenblättern zerrte. Die Sonne stand hoch am Horizont und tauchte die malerische Szenerie in weiches Licht. Schmetterlinge tanzten zwischen den Blumen, die sich sanft im Wind wiegten; eine ruhige Stimmung erfüllte die Luft.
So idyllisch dieser Ort auch sein mochte, die unschuldigen Opfer konnten sich nicht gegen die über ihnen aufziehenden Sturmwolken wappnen.
Lina und Everett schlenderten unbeholfen durch den Garten, während Kaden finster hinter ihnen herging. Der ganze Spaziergang hindurch sagte Kaden nichts, die Hände in den Taschen vergraben, die Augen wie ein Adler auf das Paar gerichtet.
„Ich habe gehört, du bist noch an der Uni", begann Everett zögerlich, entschlossen, das bedrückende Schweigen zu durchbrechen. Dennoch konnte er ein Zittern seiner Schultern nicht unterdrücken, eine Kälte kroch seinen Rücken hinauf, eine Gänsehaut bildete sich.
Allein die Nähe des mächtigen Erben DeHaven reichte aus, damit Everett um sein Leben fürchtete. Wer würde sich nicht vor einer Familie fürchten, die ihre Finger in jedes Geschäft gesteckt hatte? Sie besaßen Anteile an allem, was man sich nur vorstellen konnte, waren nur einen Schritt davon entfernt, ein beängstigendes Monopol zu bilden.
„Ja, ich studiere Geschichte", entgegnete Lina, doch ihre Aufmerksamkeit galt Kaden, der so tat, als würde er sie nicht sehen. Er hielt inne, um die Blumen zu betrachten, oder schaute in die Ferne, als würde er nicht ihr Date überwachen und ruinieren.
„Ach, ein nutzloser Abschluss in Geisteswissenschaften", lachte Everett leicht. „Bei dem Einfluss der Familie Yang hätte ich dich eher an einer renommierten Wirtschaftsfakultät deiner Uni erwartet."
Linias Lippen wurden schmal, aber sie verbarg ihr Missfallen. „Nicht jeder möchte ein Erbe nach Schema F sein."
Everett war von ihrer schnellen Beleidigung überrascht, so schnell, dass er fast gar nicht beleidigt war. Er hielt inne und betrachtete sie. Es hieß, die jüngste Tochter der Hauptfamilie Yang sei schwach und krank, weswegen sie nie in der High Society aufgetreten sei. Er hatte eine naive, leicht beeinflussbare Person mit zerbrechlichen Schultern und sanften Augen erwartet. Sie besaß die letztgenannten, aber nicht die erstgenannten.
„Offenbar habe ich dich beleidigt", sagte Everett, obwohl das seine Absicht gewesen war. Dieses Date führte zu nichts, doch vielleicht gab es einen Weg, es zu seinen Gunsten neu anzusetzen.
„Lass mich das wieder gutmachen", bot Everett eifrig an. „Beweise mir doch, wie nützlich ein Geschichtsstudium sein kann, indem du mich auf eine Museums-Tour begleitest."
Lina blinzelte. „Ich möchte dich sicher nicht mit meinem nutzlosen Abschluss langweilen."
Everett lachte bei ihren Worten. Im Grunde seines Herzens ein Masochist, ließ er sich dadurch nicht vor den Kopf stoßen. Je weniger sie an ihm interessiert war, desto mehr wollte er sie.
„Du weißt, du bist die Erste, die mich unverfroren ins Gesicht beleidigt hat.+++++ Nicht viele hätten den Mut dazu", gestand Everett.
Seine Familie stand der Familie Yang in nichts nach. Tatsächlich waren seine Familie und die Yangs seit Generationen eng befreundet.
Wegen der engen Beziehungen und Everetts hohem Ansehen in der Gesellschaft waren Frauen begierig darauf, sich mit ihm gutzustellen.
Alle bis auf Lina Yang, die nicht einmal eine Erbin war.+++++ Sie hatte jeden Grund, sich an das mächtigste Bein zu klammern, das sie finden konnte.+++++ Doch sie war unnahbar und verführerisch und fand alles außer ihm interessant.
„Hoffentlich spinnst du jetzt keine klischeehafte Liebesgeschichte zusammen", scherzte Lina. „Wo mein Desinteresse an dir erst Recht dein Interesse weckt."
Everett warf ihr eilends einen entschuldigenden Blick zu.
Lina schenkte ihm einen nachdenklichen Blick.+++++ Sie musste zugeben, dass Everett ein gut aussehender Mann war, mit einem gepflegten Erscheinungsbild, das ihn wie einen Angestellten wirken ließ.
Everett war der Typ Mann, dessen Hände nie mit Blut oder schmutzigem Geld befleckt waren. Er strahlte eine gewisse Beständigkeit aus, wie eine weiße Fahne der Gerechtigkeit.+++++ Schade nur, dass sie zu roten Flaggen hingezogen wurde.
„Das ist hier kein Roman", neckte Everett. „Sicherlich wird diese Art von Klischee nicht passieren."
Lina hob eine Augenbraue. „Nun, solange du dich an deine Worte hältst."
„Schade nur, dass er nicht gerade dafür bekannt ist, ein Mann des Wortes zu sein", kommentierte Kaden und ging an ihnen vorbei, als wäre er ein zufälliger Passant.
Linias Lippen zuckten. Kaden hatte den schönen Moment zerstört. Und sie begann, ihr Vorhaben mit Everett zu überdenken. Vielleicht konnte sie Everett dazu benutzen, diese kindischen Blind Dates zu beenden.
„Das macht mir nichts aus", lachte Everett. „Mir ist nicht wichtig, was andere von mir halten, nur was du, Miss Yang, von mir hältst."
Lina nickte langsam, ihre Aufmerksamkeit zog jedoch Kaden auf sich.
Kaden schritt daher, als wäre das ganze Land ihm zu Dank verpflichtet. Vielleicht war es das auch, denn Ritan war nur so groß und wohlhabend, weil der zweite König von Ritan ein Biest auf dem Schlachtfeld gewesen war, Königreiche eroberte, Ländereien an sich riss und sie zu seinem riesigen Reich vereinte.Lina wurde klar, dass sie bereits viel zu lange geschwiegen hatte. "Wie bewundernswert von dir, so zu denken..."
Ihr Atem stockte, als Kaden innehielt und zurückblickte, der Sonnenuntergang machte eine malerische Kulisse hinter seinen Schultern aus.
Kaden schien in überirdischem Licht zu erstrahlen, sein durchdringender Blick fand den ihren. Als er bemerkte, dass er ihre Aufmerksamkeit hatte, zog sich ein überhebliches Lächeln über seine Lippen.
Kaden hielt ihren Blick gefangen, sein Blick wanderte zu ihren vollen Lippen und dann wieder in ihre Augen, und er spürte ein Kribbeln in seinem Unterbauch.
"Die Sonne geht unter, und ich möchte dich nicht von deinen gewissenhaften Studien ablenken", fügte Everett hinzu, während er bemerkte, dass ihre Aufmerksamkeit abgeschweift war. Das ärgerte ihn, denn er hatte gehofft, ihr näherzukommen.
Eine einflusslose Ehefrau an seiner Seite zu haben, wäre für seine Zukunft ideal. Everett benötigte keine machthungrige Frau, und genau deshalb traf er sich zu diesem Blind Date mit der jüngsten Tochter der Familie Yang.
Lina war nicht vorgesehen, eine gesellschaftliche Position oder Zukunftsaussichten zu haben, was sie zur perfekten Trophäenfrau machte.
Selbstverständlich war das nichts Schlechtes, denn es sollte keine Schande sein, eine Hausfrau zu sein, wenn es das war, was die Frau wollte. Alles war in Ordnung, solange sie nicht nach Macht strebte.
"Fräulein Yang?" sagte Everett.
Lina verspannte sich, als ihr bewusst wurde, dass sie Kaden schon viel zu lange angestarrt hatte. Und beide Männer hatten es bemerkt.
"Ja?" murmelte Lina, während sie ihren Blick hastig von Kaden abwandte.
Ihr Herz setzte aus. Er hatte sie dabei erwischt, wie sie wieder hinschaute. Ihr Gesicht wurde rot, und sie drehte sich zu Everett, wobei sie Kaden den Rücken zukehrte.
"Ich fürchte, ich kann Sie bei einem Besuch im Museum nicht unterhalten", sagte Lina.
Sie wollte das Porträt des Zweiten Königs nicht noch einmal sehen. Auch wenn es nur eine Zeichnung war, auch wenn seine Liebesgeschichte die schönste in der Geschichte war und jeder Gelehrte sie nur zu gern analysieren würde.
"Dann werde ich Sie stattdessen auf unserem Date unterhalten", trat Everett einen Schritt näher.
Die Brise frischte auf. Der Wind fegte wild an ihnen vorbei und ließ Linas Haare flattern. Das Sonnenlicht umspielte ihre Haut, und in diesem Moment war er von ihrer Schönheit hingerissen. Besonders von ihrem Blick, der so tragisch schön war, dass sein Herz schmerzte.
"Sie studieren Geschichte, und ich sammle zufälligerweise Antiquitäten als Hobby. Erlauben Sie mir, Ihnen zu zeigen, was Sie nicht in Lehrbüchern finden", bot Everett ihr an.
Es war eine verführerische Gelegenheit, aber Lina musste ablehnen, da sie realisierte, dass dieses Blind Date tatsächlich in einer unglücklichen Ehe enden könnte.
"Ich kann nicht, es tut mir leid..."
"Bitte, es ist keine Entschuldigung nötig", entgegnete Everett. Er griff in die Tasche seines Anzugs, zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie ihr.
"Wenn Sie es sich anders überlegen, Fräulein Yang, wissen Sie, wo Sie mich finden können", sagte Everett freundlich.
Lina blickte auf die Karte, die ihn als COO der Anwaltskanzlei seines Vaters auswies.
Lina war nicht naiv. Sie kannte Everett, wusste, dass er der begehrteste Junggeselle war und wie viele junge Damen der Gesellschaft ihm nachstellten. Diese Visitenkarte anzunehmen hieße, ihm wider Willen Hoffnung zu machen.
"Nun..." Lina stockte. Sie wollte ihn eigentlich nur benutzen, um keine weiteren Blind Dates mehr haben zu müssen, doch dieser Mann könnte sich wirklich in sie verlieben.
Everett schenkte ihr ein sanftes Lächeln. "Bitte, ich bestehe darauf. Sie haben mich wirklich fasziniert, Fräulein Yang. Von all den Frauen, die ich kennenlernen musste, haben allein Sie meine Aufmerksamkeit erregt."
"Ich habe nur—"
Kaden fluchte leise. "Hier stinkt's nach Verzweiflung."