Mira joggte weiter in den inneren Bereich des Dunkelmondwaldes. Draußen wurde es dunkel, und der Name des Waldes begann Sinn zu ergeben. Obwohl das Blätterdach tagsüber den größten Teil des Lichts abhielt, schien es, als wäre der Wald am hellsten, wenn der Mond am Himmel stand. Auch wenn der Mond dunkel war, wirkte es so, als würde er den Wald erleuchten. Doch es war weder richtig hell noch dunkel, eher ein durchscheinendes Silber, das von Blättern und Boden zurückgeworfen wurde und dem Wald eine atmosphärische Zwielichtstimmung verlieh.
Die Schönheit des Waldes imponierte Mira, doch sie blieb wachsam, denn es herrschte eine beunruhigende Stille, als wäre der Wald vollkommen leblos. Über die Kreaturen hier wusste sie nur, dass sie flink waren und oft eine Affinität zur Dunkelheit hatten. Sie verlangsamte ihr Tempo und ging vorsichtig weiter. Der Wald erstreckte sich über Tausende Kilometer und in der letzten Stunde hatte sie sicherlich an die 100 Kilometer zurückgelegt. Die Nacht war vorgeschritten, Müdigkeit machte sich breit, und die ganze Atmosphäre des Ortes versetzte sie in Unruhe. Sie begann, nach einer Höhle oder einem ähnlichen Unterschlupf zu suchen, um dort zu schlafen.
Nach weiteren dreißig Minuten des Joggens fand sie schließlich eine Höhle. Als sie sich näherte, vernahm sie ein Knurren aus ihrem Inneren und erkannte, dass eine Kreatur darin war, die sie zu verjagen suchte. Mira wollte schon lange ihre Sense im Kampf erproben, und nun schien die Gelegenheit gekommen, ihre Kampffähigkeiten zu testen. Da sie sich noch nicht im Zentrum befand, wo vermutlich das Tier der Stufe 2 lauerte, musste dies ein Tier der Stufe 1 sein. Ob es ein Tier am oberen Ende von Stufe 1 oder am unteren Ende war, wusste sie nicht, aber sie fragte sich, ob es nicht sicherer wäre, wegzulaufen, statt um diese Höhle zu kämpfen.
Langsam näherte sie sich der Höhle und rief: "Verschwinde hier, Kreatur! Ich übernehme diesen Unterschlupf!"
Bald darauf hörte sie ein lautes Brüllen und entdeckte einen großen, zwei Meter langen schwarzen Bären mit einem silbernen 'O' auf dem Rücken.
"Oh, ein Mondbär, wie interessant! Du scheinst noch nicht ganz ausgewachsen zu sein, ich schätze, du bist ein magisches Tier der mittleren Stufe 1. Mal sehen, wie ich mich gegen dich schlage."
Mit ihrer Sense griff Mira den Mondbären an und hieb mit der Klinge nach unten. Der Bär wehrte den Schlag mit seinen Krallen ab, um dann mit seiner anderen Pranke nach ihr zu schlagen. Mira wirbelte die Sense so schnell sie konnte, um den Schlag abzuwehren, wurde aber durch das Gewicht der Sense doch getroffen. Der Schlag des Bären hätte ihr beinahe den Arm gebrochen, doch sie hielt den Schmerz aus und versetzte dem Bären mit dem anderen Ende der Sense einen Schlag unters Kinn. Das andere Ende traf den Kiefer des Bären und luxierte sein Maul, tötete ihn jedoch nicht. Beide zogen sich einige Meter zurück und musterten einander.
Mira war anscheinend nicht bewusst, dass Mondbären im Mondschein stärker werden. Auch wenn der Mond im Wald nicht sichtbar war, war sein Licht dennoch präsent. Dieser Mondbär war nachts viel stärker als tagsüber.
Sie stürmten erneut aufeinander zu, diesmal fegte der Bär über Miras Füße. Sie drehte die Sense in ihre Richtung und blockierte den Angriff, doch der Bär setzte nach und schlug mit seiner anderen Pranke nach ihrem Hals. Mira bekam einen kalten Ausdruck und wehrte mit dem anderen Ende der Sense ab, doch einige Krallen trafen sie und sie erlitt eine Wunde am Rücken. Sie war nicht schwerwiegend, musste aber später versorgt werden. Dieses Hin und Her dauerte etwa zehn Minuten an, bevor Mira die Pranken des Bären zurückschob und dann nach unten zum Bären stieß, den Schwung beibehielt und den Bären mit dem Stangenende seitlich am Kopf traf. Der Bär war kurz benommen, und das war alles, was Mira benötigte, um mit ihrer Sense auszuholen und den Bären zu enthaupten. Wie eine Henkerin kam die Sense herunter und trennte dem Bären den Kopf ab.
Erschöpft setzte sich Mira neben den Bären; sie musste nun ihre Wunden versorgen."Dieser Bär war wirklich stark. Er hat mir die Arme gebrochen und meinen Rücken aufgerissen, mein ganzer Körper schmerzt. Ich hätte nie gedacht, dass ein Mondbär mittleren Ranges so furchterregend sein könnte, und das war noch nicht einmal ein ausgewachsener. Was mache ich jetzt nur mit all dem Fleisch? Ich habe noch nicht zu Abend gegessen, also werde ich mich erst einmal satt essen und den Rest in Trockenfleisch und Proviant verwandeln, denn einen Ort zur Lagerung habe ich nicht."
Mira richtete sich ein Feuer her und begann, ihre Wunden zu versorgen. Sie verwendete Eisenhaut-Gras auf allen schmerzenden Stellen, gefolgt von Himmelsliniengras, einer heilkräftigen Pflanze. Zwar waren diese nicht besonders stark wirksam, aber als Sterbliche benötigte sie nichts Außergewöhnliches. Dann fing sie an, den Mondbären zuzubereiten. Mira wusste, dass die Bestien den Geruch des Fleisches wahrnehmen konnten, doch falls sie schwächer als der Mondbär waren, so würden sie in der Nacht nur dem Tod begegnen. Mira garte eine Bärenkeule und begann zu essen.
Sie seufzte tief und lächelte: "In diesem Leben habe ich noch kein Fleisch magischer Tiere verspeist. Es ist so viel köstlicher als das von gewöhnlichen Tieren, und ihre Energie trägt auch ein wenig zur Regeneration meiner eigenen Kräfte bei. Jetzt, da ich weiß, dass ich eine magische Kreatur des Ranges 1 töten kann, komme ich nicht mehr zu den normalen Tieren zurück."
Sie genoss die große Bärenkeule und machte sich dann daran, den Rest des Fleisches zu Rationen zu verarbeiten. Dieser riesige Bär würde viel ergeben. Mira verbrachte die nächsten Stunden damit, das ganze Tier zu garen. Das beste Stück vom Bärenfell behielt sie – ein wunderschönes Fell, definitiv besser als das eines gewöhnlichen Tieres. Nachdem sie alles geordnet hatte, versperrte sie den Eingangsbereich mit Büschen und Steinen und legte sich schlafen.
Am nächsten Morgen, das, was als Morgen durchgehen konnte, verließ sie die Höhle. Es schien kaum heller als in der vorherigen Nacht zu sein. Sie zuckte nur die Achseln, überprüfte ihr Gepäck und machte sich auf den Weg, tiefer in den Wald vordringend. Mira plante, weitere 600 Meilen zurückzulegen, um dann eine neue Höhle als vorübergehendes Zuhause zu finden.
Einen langen Atemzug nehmend, atmete sie aus und blickte in die Richtung, in die sie aufbrechen würde.
Mira setzte ihr Jogging in einem guten Tempo fort und begegnete dabei mehreren magischen Bestien niedrigen Ranges. Ein Nachthase, tatsächlich ein schwarzer Hase, extrem schnell und nicht aggressiv war auch dabei. Mira versuchte ihn zu fangen, doch er entkam sofort, als sie angriff. Dann traf sie auf eine Schattenkrähe, eine magische Bestie aber sehr gefährlich. Sie konnte sich in Schatten verstecken und dann unvermittelt angreifen. Beinahe wäre Mira von einem ihrer Überraschungsangriffe erwischt worden, doch im letzten Moment spürte sie die Gefahr. Sie wartete auf den nächsten Angriff und als dieser von hinten kam, schlug sie mit ihrer Sense zu und spaltete die Krähe in zwei Hälften.
Auch eine silberne Eule beobachtete sie, aber sie kannte deren Namen nicht. Sie schien nicht feindselig, blickte sie nur kurz an und flog weg. Mira zuckte mit den Schultern und setzte ihren Weg fort. Einen seltsamen silber-schwarzen Fuchs entdeckte sie ebenfalls, wusste aber auch nicht, wie er hieß. Zudem begegnete sie vielen Erdratten, ebenfalls magische Kreaturen, doch Mira hatte kein Interesse an ihnen und zog weiter.
Nach einem halben Tag Laufens entschied Mira, eine Pause zu machen. Sie war bereits etwa 300 Meilen weit gekommen. Selbst für sie war eine solche Strecke ermüdend und monoton. Sie holte ihre Bären-Proviant und etwas Wasser heraus. Während sie sich bereit für die Weiterreise machte, hörte sie in der Ferne einen Schrei. Es klang wie ein junges Mädchen und Mira beschloss nachzusehen, was geschehen war. Es war schon eine Weile her, seit sie in der Nähe eines anderen Menschen gewesen war. Sie machte sich auf den Weg zur Quelle des Schreis.