"Est, mein ergebener Gefolgsmann, bist du bereit?", fragte eine starke und gleichmäßige weibliche Stimme.
"Ja, Mylady Astrid", entgegnete Est und kniete wie ein Ritter auf einem Knie.
"Diese Prüfung wird schwer sein, deshalb gestatte ich dir, einige Helfer mitzubringen", sagte Astrid, die Göttin der Ritterlichkeit, mit einem sanften Blick. "Neben deinen beiden Gefährten wird ein weiterer Helfer auf dem Prüfungsgelände auf dich warten."
"Ich danke euch für eure Großzügigkeit, Mylady."
Die Göttin nickte und hob das Schwert in ihrer Hand an. Sie berührte damit leicht Ests Schultern, bevor sie es wieder in die Scheide steckte.
"Bestehe diese Prüfung und ich werde das Versprechen erfüllen, das ich deiner Familie viele Jahre vor deiner Geburt gegeben habe", versprach Astrid. "Fällst du jedoch durch, wird mein Versprechen hinfällig. Ist mir das deutlich?"
"Ja, Mylady", antwortete Est. "Ich werde euch nicht enttäuschen."
"Ich sehe nur das Ergebnis, Est, nicht den Weg dorthin."
"Ich verstehe."
"Es ist an der Zeit, dass du zurückkehrst", befahl Astrid. "Mögen die Chancen zu deinen Gunsten stehen."
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Als Est seine Augen öffnete, befand er sich im heiligen Raum des inneren Tempels. Dieser Raum war den treuen Anhängern der Göttin Astrid gewidmet.
Wieder auf den Beinen, öffnete sich die Tür und die Hohepriesterin trat ein, gefolgt von zwei Dienern.
"Habt ihr die Botschaft ihrer Exzellenz erhalten?", fragte die Hohepriesterin.
"Ja", antwortete Est.
"Gut. Kann ich sonst noch etwas für euch tun?"
"Ich muss zu den Prüfungsfeldern. Dürfte ich jemanden bitten, mich dorthin zu begleiten?"
"Das ist eine Kleinigkeit", antwortete die Hohepriesterin. "Meine Begleiter werden dich nach dem Frühstück dorthin geleiten. Deine Gefährten warten bereits im Speisesaal auf dich."
"Ich danke euch."
"Es ist meine Pflicht. Dank ist nicht nötig."
Est wurde von den beiden Dienern in den Umkleideraum geführt. Während er seine Kleidung anzog, dachte er über das Gespräch nach, das er mit der Göttin Astrid geführt hatte. Sie hatte ihm ausdrücklich gesagt, dass die Prüfung sehr schwer sei.
Er sollte sie bestehen, sobald er etwas älter war, aber die Umstände ließen nicht zu, dass die Göttin darauf wartete, bis er herangewachsen war. Die Bestienflut hatte alles durcheinander gebracht, und es musste etwas getan werden, um den Schutz des Königreichs wiederherzustellen.
Dazu musste Est die Prüfung bestehen, damit die Göttin Astrid dem Königreich Hellan ihren Segen erteilen konnte. Auch deshalb war ein Scheitern keine Option. Sein Vater und seine Mutter hatten ihm diese Mission anvertraut, und Est fühlte sich verpflichtet, sie zu erfüllen.
'Vater, Mutter, ich werde mein Bestes tun', dachte Est. 'Egal, was es kostet, ich werde es schaffen.'
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"Junger Meister, sind Sie sicher, dass Herr Herman und Frau Nana uns nicht bei der Prüfung helfen können?" fragte Isaac.
"Es gibt eine Altersbeschränkung für das Prüfungsgelände", antwortete Est. "Jeder über fünfzehn wird am Eintritt gehindert."
"Sagt auf uns, junger Meister", versicherte Ian. "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um dir zu helfen, diese Prüfung zu bewältigen."
Est war zehn Jahre alt, während Isaac und Ian beide elf waren. Die Zwillinge waren von klein auf darauf trainiert worden, Ests Gefolgsleute zu werden und ihm bedingungslos zu helfen.
"Danke", sagte Est mit einem Lächeln. "Ich verlasse mich auf euch."
"Ja, junger Meister!"
Die drei machten sich auf den Weg zu einer Höhle, die sie zum Prüfungsgelände führen sollte. Nach zehn Minuten Fußmarsch verließen sie die Höhle und befanden sich in einem Garten voller farbenprächtiger Blumen.Ein imposantes Tor aus Bronze stand hundert Meter von ihnen entfernt. Es war über zehn Meter hoch und mehrere Runen waren auf seiner Oberfläche eingraviert.
Est, Isaac und Ian richteten ihren Blick auf die Herde Ziegen, die gerade vor dem Bronzetor stand. Alle schauten mit Entschlossenheit nach oben, als seien sie Soldaten, die bereit waren, für ihr Mutterland in den Krieg zu ziehen.
Ein bekannter Junge mit roten Haaren saß auf dem Rücken der größten Ziege der Herde. Er trug einen Holzstab in der Hand und ein sorgloses Lächeln zierte sein Gesicht.
Als William die drei Jungen auf sich zukommen sah, winkte er ihnen zu.
"Was macht ihr hier?" schnaubte Ian. "Dieser Ort ist nur denen vorbehalten, die dem Pantheon des Mutes angehören."
"Bist du etwa ein Mädchen?", fragte William. "Warum bist du ständig so pissig? Hast du etwa deine Tage?"
"Du bist derjenige, der seine Tage hat!" erwiderte Ian wütend. Sein Gesicht färbte sich tiefrot, während er William hasserfüllt anstarrte.
"Ich verstehe nicht, warum du dich immer mit mir anlegst." William zuckte mit den Schultern. "Warte, sag bloß, du hast dich in mich verliebt? Tut mir leid, aber ich stehe nicht auf Jungs."
Schwarze Linien traten auf Ians Gesicht hervor, als er vorpreschte, um Williams selbstgefälliges Grinsen zu zermalmen.
Glücklicherweise hielten Isaac und Est ihn von beiden Seiten zurück, was ihn davon abhielt, sich mit dem selbstgefälligen Hirten zu prügeln.
"William, was tust du hier?" erkundigte sich Est. Auch wenn er die Antwort schon kannte, stellte er doch die Frage zur Bestätigung.
"Ich bin gekommen, weil mein Schutzgott mir aufgetragen hat, jemandem bei einem Test zu helfen", antwortete William. "Bist du etwa derjenige, der den Test absolvieren soll?"
"Ja", nickte Est. "Bist du wirklich hier, um mir zu helfen, den Test zu bestehen?"
"Ja. Doch da mich jemand beleidigt hat, bin ich nicht mehr in der Stimmung zu helfen", entgegnete William.
"Wir brauchen deine Hilfe nicht!", warf Ian ein. "Meine Schwes- mein Bruder und ich reichen aus, um dem jungen Herren zu helfen, den Test zu bestehen!"
"Soso?" William hob eine Augenbraue. "Ich habe gehört, dass dieser Test sehr schwer sein soll. Wenn ihr meine Hilfe wirklich nicht braucht, dann werde ich sie nicht aufzwingen. Abgesehen davon, will ich nicht im gleichen Team sein wie ein Junge, der seine Tage hat."
Ian wollte gerade auf Williams Bemerkung antworten, als er Ests Blick auf sich spürte. Der Blick ließ ihn erschaudern und die Worte, die er sagen wollte, blieben ihm im Hals stecken.
"Will, dieser Test ist wichtig für mich", sagte Est. "Ich wäre sehr glücklich, wenn du mir helfen könntest, ihn zu bestehen. Wäre es in Ordnung, wenn ich dich offiziell damit beauftrage, mir bei dieser Mission zu helfen? Ich werde eine angemessene Bezahlung vorbereiten, sobald wir den Test erfolgreich abgeschlossen haben."
"Klar", stimmte William bereitwillig zu.
Er würde Ests Angebot nicht ablehnen, denn für ihn waren das kostenlose Geschenke. Obwohl Ian ihm das Leben schwer machte, hatte er nicht die Absicht, Est den Test allein beginnen zu lassen. Der Test war auch für ihn wichtig, da es die Mission war, die Gavin ihm gegeben hatte, um seinen eigenen Engpass zu überwinden.
William war mehr als bereit, sich um den lästigen Ian zu kümmern, der in seinem früheren Leben scheinbar sein Todfeind gewesen war.
"Seid ihr alle bereit?" fragte William.
"Meeeeeeeh!", antworteten die Ziegen im Chor.
"Warte, dürfen die Ziegen auch das Testgelände betreten?", fragte Est. Er sah die Ziegen hoffnungsvoll an. Während des Kampfes hatten sie erstaunliche Kampffähigkeiten gezeigt, und wenn sie bei dem Test dabei wären, würden sich ihre Erfolgsaussichten definitiv erhöhen.
"Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden", sagte William grinsend. Dann klopfte er mit seinem Holzstab an das Bronzetor. Das Tor bebte einige Sekunden lang, bevor es sich weit öffnete. In der Mitte des Tores erschien ein silbernes Portal, das William an die Portale im Zyklus der Reinkarnation erinnerte.
"Nach Ihnen", machte William eine Geste, damit Est als Erster eintreten konnte.
"Ich sehe euch auf der anderen Seite", sagte Est, als er durch das Portal ging.
Isaac und Ian betraten ebenfalls das Portal. Letzterer vergaß dabei nicht, William einen hasserfüllten Blick zuzuwerfen, bevor er hindurchschritt.
"Was ist los mit ihm?" runzelte William die Stirn. Dann schüttelte er hilflos den Kopf, während er seine Mama Ella sanft streichelte und sie aufforderte, das Portal zu durchqueren.
Bald darauf betraten William und seine Herde das Portal. Im Inneren fühlte William sich aufgeregt. Er war sehr gespannt auf die Art von Test, der ihn erwarten würde. Er freute sich auch darauf, den Test abzuschließen, damit er die Gegenstände im Göttershop prüfen konnte.
Laut Gavin gab es im Shop mehrere Gegenstände zu kaufen, die es ihm ermöglichen würden, sehr seltene Berufsklassen zu erwerben. Mit einem solchen Anreiz war William darauf erpicht, den Test so schnell wie möglich zu beenden.
Er ahnte nicht, dass der Test auf den heiligen Stätten nicht nur für Est, sondern auch für ihn vorbereitet worden war.