Für einen Moment sah Ero der Freundin nach, wie sie sich vorsichtig zu ihrem Quartier aufmachte. Dabei hing die stumme Frage zwischen ihnen, wieso er ihr nicht half.
Ihr zierlicher Körper machte sie jedem Mann unterlegen. Außerdem wäre sie seine Verlobte, wenn es nach seinem Vater, Marno und ja sogar ihm ginge. Er müsste sie also vor jedem und allem beschützte. In ihm brannte sogar das Verlangen sie von allem fernzuhalten, was ihr schaden könnte. Genauso wusste er, dass Alina es nicht wollen würde, genau, wie sie ihn nie anders sehen würde.
In ihm sah sie nur einen Freund, nicht den Jungen, der schon seit Jahren heimlich in sie verliebt war.
Dabei hatte er schon ein Geschenk anfertigen lassen, falls er es jemals wagen sollte, sie ernsthaft zu fragen.
Ob sie einen verzogenen adeligen Sohn zu ihrem Ehemann erwählen könnte.
Und ein Teil genoss sogar die kleinen Neckereien zwischen ihnen. Wenn sie so wie heute vor ihn trat. Wütend über sein fernbleiben, verschwitzt vom harten Kampf aber auch stolz auf ihre Fähigkeiten.
Außerdem konnte Alina ein hinterhältiges Biest sein. Sie wusste, wie sie ihre Unterlegenheit ausgleichen konnte. Ob durch Alkohol oder wie gestern in einer anderen Ablenkung.
Doch sollte sie wirklich in Schwierigkeiten geraten, wäre er für sie da.
Obwohl ihm dies eher unwahrscheinlich erschien. Alina könnte eine bessere Kämpferin sein, als sie es vorgab. Immerhin hatte sie es in ihrer Kindheit einem arroganten Bübchen oft genug gezeigt. Seit ihrem letzten ernsthaften Kampf vergingen Jahre. Jetzt fehlte ihr das Training, um ihr einstiges Können zurückzugewinnen.
Ero hob zuerst die obere Stange an und legte sie neben sich. Danach die Zweite, bis der Eingang zur Koppel offen lag. Kurz darauf trieb er die Pferde hinein. Dabei störte noch nicht einmal, dass sie noch immer ihre Last trugen. Er würde sie ihnen später abnehmen.
Nur die beiden Anführer, ihre große Beute behielt er bei sich.
Die Schule besaß mehrere Koppeln. Einige für ihre eigenen Pferde, eine weitere für Gastpferde. So wurden Probleme vorgebeugt, die ein fremdes Pferd in der Gruppe hervorrufen könnte.
„Hey Junge!", rief einer der Räuber, noch während Ero das Gatter wieder verschloss.
Der Dicke kam ihm dabei so nah, dass er Ero seinen stinkenden Atem ins Gesicht blies.
Mit Handwedeln versuchte er den fauligen Gestank zu vertreiben, ohne dass es half. Mit Grauen dachte er daran, was dieser Typ wohl vorgehabt hätte, wäre seine hübsche Freundin wirklich nur eine kleine Tänzerin, nicht die elegante Kopfgeldjägerin, mit der er aufwuchs.
Ein Schicksal, das er weder ihr noch einem anderen Mädchen wünschte.
Das Problem war auch nicht diese Schwabbelbacke, sondern der zweite Anführer. Dieser groß gewachsene Typ, den selbst Ero nur unter Waffengewalt dazu brachte zu laufen.
Er hätte Alina Probleme bereiten können, wenn sie es nicht auf andere Art geschafft hätte, ihn zu überwältigen.
„Was hältst du von einem Vorschlag?" Kaum war der Gestank verflogen, öffnete der Dicke auch schon wieder seinen Mund.
Ero musste sich ganz besonders beherrschen, die erweckte Aufmerksamkeit aufrecht zu halten, obwohl ihm nach so vielen anderen Dingen eher der Sinn stand. Wie diesem Fettkloß seine Lippen zusammenzunähen.
„Was für einer?", fragte er wider seinem Wunsch.
„Mir gehört ein riesiger Schatz." In einem breiten Grinsen verzog er seine Fratze. Die Augen verengten sich zu einem verschwörerischen Blick, in Annahme, der Junge hätte den Köder geschluckt. „Er liegt versteckt. Aber wenn du mich losbindest, verrate ich dir den Platz. Was hältst du davon? Gold, Juwelen, genug um dreißig dieser billigen Flittchen zu bezahlen, wie der, der du hinterher hechelst."
Schon alleine die Beleidigung gegenüber Alina schrie danach, dass Ero seinem Vater bei diesem Kerl die leidige Pflicht abnahm, ihn richten zu müssen.
„Wo ist dein Schatz?", fragte er dennoch und wandte all seine Aufmerksamkeit auf den Dicken. Die Klinge seines Schwertes hob sich unter seinem Griff ein Stück nach oben, sodass sie im Licht der Sonne aufleuchtete. „Was soll ich mit einem Schatz, der womöglich im Nachbarland liegt. Dafür lohnt die Reise nicht einmal."
Für den Räuber erschien der Junge auf dessen Seite, sodass er fröhlich weiter plauderte.
„Oh, wie sich das lohnt", rief er. „Aber ihr müsst nicht so weit reisen. Ich habe die Wagen in der Nähe abgestellt, nicht einmal einen halben Tagesweg von dem Lager entfernt. Für weitere Informationen musst du mich losbinden."
Unter dem zürnenden Blick des anderen Räubers drehte er seinen verschwitzten Rücken Ero zu, mit der stummen Aufforderung, er möge ihn befreien.
Das Schwert fuhr wieder zurück in die Scheide.
„Ich weiß nichts, mit einem mickrigen Schatz anzufangen", rief er mit der erhabenen Stimme seiner Abstammung.
„Mein Schatz ist nicht mickrig", rief der verwirrte Mann. „Ganz sicher nicht. Ich habe Jahre gebraucht, ihn Idioten wie dem abzunehmen."
Das würde ein Spaß werden, die beiden zusammen in eine Zelle zu sperren. Der Dicke deutete direkt auf den großen Kerl neben sich.
„Deinen Schatz brauche ich ganz sicher nicht", sagte Ero, worauf der Mann neben ihm ein paar Schritte zurückwich.
Auf sein Zeichen hin trabte eine schöne Rappstute zu ihm. Seine Falira. Mit wenig Druck brachte er sein gehorsames Mädchen dazu sich zu drehen, dass beide gut ihr Brandzeichen auf den linken Hinterschenkel erkennen konnte. Die angedeutete Rose, die aus einem B entsprang.
Das Zeichen einer exquisiten Zuchtlinie. Kräftige Sprinter und edle Kutschtiere.
Die Zähne des Dicken rieben laut aufeinander, als er das Zeichen des Mannes erkannte, dem er bald im Gerichtsaal gegenüberstehen würde und dessen Richtblock auf ihn wartete.
„Ich stamme aus Miro und euch scheint mein Name entgangen zu sein. Meinen Vater werdet ihr sehr bald selbst begegnen."
„Verflixter Bastard!", schrie der Dicke auf. Sofort sprang er auf Ero zu.
Auch wenn seine Hände gefesselt waren, besaß er immer noch Zähne, die er beabsichtigte in seiner Wut dem Jungen ins Fleisch zu schlagen.
Ero stieß sich von seinem Ross ab und sprang nach rechts, wo er in einer Rolle auf dem Boden wegeilte. Noch ehe der Mann erahnte, was jetzt folgte, war der Junge auch schon wieder auf den Beinen und setzte zu einem kräftigen Sprung an.
Der Schlag mit seinem Ellenbogen mitten ins Gesicht dieses Typen fühlte sich so gut an.
Der Mann unter ihm keuchte auf. Er sank zu Boden und spuckte nicht nur Blut aus, sondern auch zwei seiner Zähne.
„Wenn ich nur könnte", knurrte der Dicke und spuckte dabei ein weiteres Mal sein Blut aus. „Dann …"
Ero konnte das egal sein.
Er packte die Stricke der beiden und zog sie nach Lob seiner braven Stute hinter sich her.
***
Der Dicke wagte es nicht noch einmal, Ero anzugreifen. Selbst jetzt, wo er ihn in die Zellen sperrte, floss noch ein feines Rinnsal seinen Mundwinkel entlang. Und Ero schwor sich, würde dieser Kerl noch einmal seinen Mund aufmachen, um ihn oder Alina zu beleidigen, würde er beide Männer in eine Zelle sperren.
Dieser große Schweigsame brannte darauf, den Mann in die Finger zu bekommen, mit dem er sich beinah verbündet hätte. Der ihn ausnehmen wollte und am Tod seiner Kameraden Schuld trug.
So löste er beiden hinter der verschlossenen Zellentür ihre Fesseln. Jeder in einem Bereich für sich, getrennt durch eine leere Zelle.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, hörte er das Gewitter von Stimmen. Beschimpfungen wüster Art. Jeder gegen jeden.
Ero achtete nicht darauf, er wollte es nicht hören, sondern zog sich zurück. Immerhin lag eine weitere Aufgabe vor ihm, bei der er sich wohl so einsam fühlen würde, wie seine Freundin bei ihrem Auftrag.
Er musste die Last von den Pferden nehmen und diese dann ins Lager bringen. Später sollte der alte Marno selbst aussortieren, was er für den Unterricht behalten wollte.
Ero kam gerade an den Koppeln an, als sein Name vom Brunnen aus gerufen wurde. Es war Delio, der zu ihm eilte.
Wenn man das denn eilen nennen konnte.
Über seine Schultern trug Delio ein Stück Holz, an dessen Enden zwei Einkerbungen waren. Genau passend für die Henkel von zwei Eimern, die er jeweils rechts und links darüber trug.
Der schmächtige Junge trug schwer unter seiner erdrückenden Last. Bei jedem seiner Schritte schwappte ein kleiner Schluck Wasser über die Ränder der Eimer und tränkte dabei den trockenen Boden. Sodass man seine Spur gut zum Brunnen zurückverfolgen konnte.
Am Rand der Eimer hingen insgesamt drei Schöpfkellen, die unter seinen Bewegungen hin und her schwangen. Eine viel zu starke Bewegung würde ausreichen, sie herunterfallen zu lassen.
Erst nachdem Delio zu ihm gekommen war, ließ er seine Last unsanft auf den Boden sinken. Unter seiner Hast schwappte ein großer Schluck des Wassers über den Rand zu seinen Füßen.
„Marno ruft ‚Hol die Schwerter!' und ich muss die Schwerter holen; Marno sagt ‚Hol Wasser!' und ich muss Wasser holen", beschwerte sich der Junge keuchend vor Anstrengung.
„Diese Ehre hatte ich früher." Man konnte es nicht einmal einen Aufmunterungsversuch nennen. Eros Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er genoss es diese Aufgabe jetzt an andere weiter zu geben.
„Ich weiß!" Delio nickte, während Eros Lächeln in Verwirrung zersprang.
„Woher?"
„Alina!", lautete die knappe Antwort. „Sie hat öfters erwähnt, dass dich Marno extra als Laufburschen hielt, weil du so ein richtig kleines verzogenes, reiches und verwöhntes Bürschchen warst." Er machte eine kurze Pause, in die er dann in schallendes Gelächter losbrach. „Nun ja, ich sage dir lieber nicht, wie sie dich sonst genannt hat."
„Ich kann es mir denken", schnaubte Ero auf.
Alina war ein süßes Mädchen, das einige Dinge in ein richtiges Biest verwandeln konnten, darunter auch Eros Name. Manchmal fragte er sich, wieso er sie überall wo jemand schlecht über seine Kameradin sprach, wie auch vor den beiden Räubern verteidigte.
Aber Ero musste zugeben, dass er es zwar hasste, doch genauso auch liebte. Ohne diese ganzen Streitereien wäre ihre Freundschaft nicht das, was sie war.
Ero griff zu einer der Schöpfkellen. Er füllte sie mit dem kühlen Brunnenwasser und nahm diese an seinen Mund. Es war einfach nur ein schönes Gefühl, wie das kühle Wasser an diesem heißen Tag in seinen Mund stürzte. Damit legte sich ein lindernder Film über den brennenden Durst in seiner Kehle.
Eine weitere Kelle mit Brunnenwasser nahm er diesmal nicht an die Lippen, er stürzte sie über seinen Kopf. Das kühle Wasser benässte sein struppiges Haar und lief von da aus auf seine Schultern, die nackte Brust entlang, bis es von seiner schmutzigen Hose aufgesogen wurde.
„Wundervoll!", rief er genießend. „Du kommst genau richtig."
„Und du weißt, dass wir einen weiteren Eimer am Brunnen haben, solltest du dich nach einer Dusche sehnen, kannst du diesen nutzen", ermahnte Delio den Freund streng.
Wieder wollte Ero eine Schöpfkelle voll Wasser nehmen. Doch diesmal stellte sich Delio in den Weg.
Mit einem verschmitzten Grinsen stand er vor ihm.
„Oder frag Alina. Vielleicht kannst du zu ihr in die Badewanne steigen." Lüstern wirkte der Kerl beim Gedanken an die hübsche Blondine, die alleine in ihrer kleinen Hütte saß. Dabei zeigte er offensichtlich, wie bildlich er es sich vorstellte.
„So ist es richtig!" Ero schnaubte auf. „In der Nähe der Herzensdame so charmant wie möglich und hinter ihrem Rücken solche Worte."
„Komm schon Ero!", forderte Delio ihn auf. „Jetzt sei ehrlich, selbst du würdest dich gerne in solch einer Situation zu ihr schleichen."
„Nein!", sagte er und musste sich insgeheim eingestehen, dass seine wahre Antwort eine andere wäre.
Sein Anstand verbat ihn, an solch eine Möglichkeit zu denken. Außerdem sah er in Alina nicht nur das körperlich anziehende Mädchen, sondern charakterlich faszinierte sie ihn. Selbst wenn sie es liebte, ihn zu necken.
„Ach ich bitte dich! Nenn mir den Jungen hier, der nicht gerne ihre ganze Aufmerksamkeit hätte!"
„Marno!", warf Ero vollen Ernstes ein. Immerhin wusste er um das Buhlen der Jungs, um die schöne Tochter ihres Lehrers. Einige versuchten, sie mit kleinen Geschenken zu bezirzen. Zu seinem Glück fasste sie das bisher nicht als sehr ernst auf.
„Der ist auch ihr Vater", warf Delio schmollend ein.
Leider nicht, fügte Ero stumm an.
Er kannte als einer der wenigen die Wahrheit. Keiner der Schüler erfuhr sonst davon, das Marno nicht ihr richtiger Vater war. Nicht einmal beide Könige wussten davon. Es würde zu viele Fragen aufwerfen. Ein Kind, das zur gleichen Zeit an der Grenze Miros auftauchte, wie der Krieg mit den Amazonen dauerte.
Ero wurde auch anvertraut, dass ihre beiden Eltern schon lange tot waren.
Der Amazonenkrieg – so nannte der Volksmund die Zeit, in der Nette herrschte, bis zu ihrem ehrenvollen Tod. Viele Gerüchte rankten sich darum, vielleicht von den Amazonen verbreitet.
Über beide Geschwister Nette und Nerre sowie das Kind der Amazonenkönigin.
Ein blondes Mädchen, das zu dieser Zeit einsam und verlassen in Miro auftauchte. Das konnte seiner hübschen Gefährtin den schlanken Hals kosten.
Alina ist Nala, ging es Ero durch den Kopf. Davon war sein Vater überzeugt. Er sah in ihr diese kleine Amazonenprinzessin, die sich einst, wenn auch nur für kurz, in ihrer Gesellschaft befand. Und diese Überzeugung war es auch, weswegen der Richter beide gerne vor dem Traualtar gesehen hätte.
Ero entging, wie sich ein Lächeln auf seine Lippen schlich.
Das ist Schwachsinn!, sagte er sich. Alina war Alina und sicher nicht diese Nala. Wer wusste schon, ob die Amazonenprinzessin überhaupt noch am Leben war.
Er selbst erinnerte sich noch an die Tage vor all den Jahren. Mit der großen Amazone Marli. Sie behandelte ihn gut und dann war da dieses süße kleine Kind mit den honigfarbenen Locken, das ein Ebenbild ihrer stolzen Mutter hätte werden können. Der großen Amazonenkönigin Nette.
Um dieses Kind zu retten, nahm Marli ihn als ihre Geisel. So floh sie mit beiden Kindern. Erst begleitet von einigen Amazonen, die zurückblieben, um die Häscher von der Spur ihrer Kameradin abzubringen.
Erst nahe einem Wald hielt sie an.
Ero wollte stark sein, ganz der große Krieger, wie er es sich damals wünschte. Er durfte somit keine Angst zeigen. Nicht mal vor dem großen Kampfross, das ihn aus seinen flammenden Augen ansah.
Also nickte er, bei der Frage von Marli, ob er denn klarkäme. Immerhin konnte er reiten, sein Vater hatte es ihm beigebracht. Auf ihren gehorsamen und edlen Tieren.
Diese Bestie schaffte es, ihn kurz nach dem Aufsteigen vom Rücken zu werfen. Dann trabte das Ross fröhlich und ohne ihn davon. Somit blieb Ero alleine.
Ziellos streifte er nah der Landesgrenze umher. Drei Tage und drei Nächte. Erst danach traf er wieder auf einen Menschen. Einen Bauer, der ihn gleich als Sohn eines Adeligen erkannte.
Statt den Jungen sofort zur Burg Telja zu bringen, wo seine Mutter für seine unbeschadete Rückkehr betete, wurde bloß einer der Söhne losgeschickt. Ero durfte dafür seine Unterkunft dort mit undankbarer Feldarbeit ableisten.
Als ihn sein Vater letztendlich fünf Tage später abholte, hatte er nur ein Grinsen für die abenteuerliche Geschichte seines jungen Sohnes übrig. Zu allem Überfluss ließ er dem Bauern noch einen stattlichen Betrag dort.
Heute wusste er, wie gefährlich es für einen der Söhne des obersten Richters von Ylora werden konnte. Nicht erst, seit es ihnen Jos so furchtbar vorführte.
Er war dankbar von diesem Bauern aufgenommen worden zu sein, der sicher für seine Heimkunft sorgte.
Damals hatte er nur die unreifen Worte eines verzogenen Bengels für den guten Mann übrig, der ihn in seinen Augen so böse behandelte.
„Ist irgendetwas lustig?" Delio erkundete das Grinsen des Freundes.
„Nun ja, du hast Alina doch gesehen", lenkte er weg von seinen Gedanken. „Ich habe ihr mein Hemd nicht aus Spaß gegeben."
Delio horchte auf und vermutete vielleicht sogar, was jetzt kam würde sämtliche Hoffnung zerstören. Das Mädchen sei für Werben verloren. Beide hätten zueinandergefunden und noch Weiteres.
Da konnte ihn Ero beruhigen.
„Unsere hübsche Kopfgeldjägerin kam so von einem Auftrag zurück. Hätte ich ihr in der Not geholfen, vielleicht wäre ich zum richtigen Zeitpunkt auch dort gewesen. Ganz der ehrbare Junge, der ich nun mal bin, habe ich ihr mein Hemd überlassen."
„Ero, du bist ein Idiot!" Delio klopfte ihm mit festem Schlag auf den Rücken. „Solch eine Gelegenheit kommt kein zweites Mal."
„Würde es nach meinem Vater gehen, wären wir schon längst vermählt." Sein Mundwinkel zuckte.
Schon so lange wünschte er sich seine Arme um sie zu schlingen, ihr einfach nah zu sein. Nicht als Freund, sondern Geliebter.
Ein Wunsch, den er weder vor seiner Familie, noch den Jungs und schon gar nicht Alina bekunden würde. Besonders sie durfte nichts von seinen Gefühlen erfahren.
Vielleicht vermochte diese Wahrheit sogar, alles zwischen ihnen zu zerstören. Diese wundervolle Freundschaft, die sie sich all die Jahre bewahrten.
„Alina ist also in ihrem Quartier."
Delio nickte.
„Tür verschlossen, Vorhänge zugezogen." Ero kam nicht umher, das Bedauern aus seiner Stimme zu vernehmen.
„Du geh an deine Arbeit, ich schaue, ob sie mir schon verziehen hat."
Delio nahm wieder seine Last auf, kurz darauf verschwand er in Richtung der Trainingsplätze.
Ero kraulte noch eine Weile die Stirn seiner Stute. Dann kümmerte er sich um die Last der Räuberpferde. Erst danach lief er zu Alinas Quartier.
Das Mädchen war gut darin beraten, ihr Zimmer immer abzuschießen. Manche der Schüler traten scheu an sie heran oder deuteten nur hinter ihrem Rücken eine Faszination für die Tochter ihres Lehrers an. Doch ein paar reichte das nicht. Von denen ging durchaus eine gewisse Gefahr aus.
Dabei gab es an der Schule eine Regel, die über vielen anderen Leitsätzen des alten Marno stand. Jeder hatte die Pfoten von seiner Tochter zu lassen. Wer Alina zu aufdringlich wurde, der musste die Schule verlassen.
Ero erreichte ihre Tür. Ein zaghaftes Klopfen daran, auf das keine Reaktion kam.
Innerlich bereitete sich schon alles in ihm auf einen erneuten Wutanfall von ihr vor, heftiger sogar als der am letzten Tag. Dennoch konnte nichts ihn davor bewahren, dass er seine Lippen anfeuchtete.
Ein Grinsen schmückte sein hübsches Gesicht, dann rief er auch schon nach seiner Freundin.
***
Ihr Kopf lag auf dem metallenen Untergrund. Und auch wenn es nicht gemütlich war, holte sie ein kleiner Schlaf ein. Sodass sie das erste Klopfen kaum wahrnahm.
Unvorbereitet dagegen traf sie die laute Stimme.
Eindeutig Ero, auf eine recht ungenierte, sogar dreiste Art.
„Meine holde Verlobte ist doch nicht etwa schon zur Meermaid geworden?"
Alina schreckte aus ihrem Schlummer hinauf. Dabei vergaß sie ganz, wo sie sich befand. Nicht im warmen, weichen Bett, sondern der gefüllten Wanne.
Ihre Füße rutschten am glatten Boden aus. Ihre Hände ruderten in der Luft, hoffend etwas zu greifen während ihres Falles. Als Nächstes spürte sie den heftigen Schmerz im Hinterkopf. Sie schlug mit dem Hinterkopf auf dem Rand auf.
Ein Schrei löste sich noch aus ihrer Kehle, wurde aber sofort im Wasser erstickt, in das sie mit Schwung hineinglitt. Erst auf dem Boden kam sie zum Stoppen.
Kühles Wasser stürzte ihre Kehle hinab und entlud sich mit der Kraft einer splitternden Explosion in den Lungen des Mädchens.
Der Junge lauschte an der Tür. Er konnte zwar das Donnern eines Schlages hören aber ohne den zuzuordnen.
„Ist alles in Ordnung?", erkundigte er sich besorgt.
Alina stieß wieder an die Oberfläche hinauf, bis sie sich halb über den Rand gehievt hatte.
Wasser schwappte darüber, ergoss sich unter der Wanne und floss in den Raum.
In einem Hustenanfall würgte sie das geschluckte Wasser aus ihrer Kehle heraus, ohne das Brennen zu lindern. Genau so sah es auch an ihrem Kopf aus.
„Au, au, au", drang es keuchend aus ihrer Kehle. „Nichts ist in Ordnung!", stieß sie kurz darauf energischer aus. „Ero du Idiot!"
Ihre Faust schlug klatschend auf der Wasseroberfläche auf.
„Mistkerl!", stieß sie ihm einen weiteren Fluch entgegen.
Meermaid, so hatte er es genannt. Tatsächlich konnte sie ihm damit das Gegenteil beweisen.
„Dann ist ja gut", rief er mit einer so ungerührten Stimme, dass es Alina fast egal war, hier nackt zu sitzen. Am liebsten wäre sie hinausgerannt, hätte diesen elenden Hund gepackt. Dann würde sie ihn hier hinein schleifen und im Wasser ertränken.
Verdient hätte er es, fand sie.
„Du lebst ja noch und ich dachte, ich müsste dir zu Hilfe eilen."
„Wie gut, dass du nicht solch ein Held bist!", giftete sie auch schon los.
Mit ihrer Hand näherte sie sich tastend der Wunde an ihrem Kopf. Ein Schmerz fuhr hinein, kaum das sie diese berührt hatte.
„Verdammt!", entfuhr es ihr.
Nahe der Wanne lag auf einem der Schränke ein großes Tuch. Es war eigentlich dazu gedacht, damit ihren Körper zu trocknen. Jetzt schlang sie es um sich. Ero bekam an diesem und den gestrigen Tag schon mehr zu sehen, sodass sie sich nicht scheute, ihre Tür aufzuschließen und diese einen Spalt zu öffnen.
„Einen solch netten Anblick hätte ich nicht erwartet!" Der Junge lachte sie an.
Normalerweise würde sie dafür auf ihre Art kontern. Stattdessen kehrte sie ihm den Rücken zu und ging durch das Zimmer in ihrem Schlafraum.
Ero trat vorsichtig ein.
„Ist alles in Ordnung?"
Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb dann auf der Wanne liegen. Auf dem dunklen Rand konnte man wenige Blutstropfen erkennen, wo ihr Kopf dagegen schlug.
„Was ist geschehen?", wollte er jetzt wissen. Drängender; besorgter. Es besaß einen ungewohnten Klang in ihren Ohren.
„Deine Begrüßung hat mir gezeigt, wie hart meine Badewanne ist." Sie wollte schon abwinken, was für eine Lappalie es sei, da schob Eros Hand eine Lage Tücher zu ihrer Schlafkammer fort.
Was sie sich durch diese dünne Lage sandfarbenen Stoffes schon andeutete, war eine wirklich besorgte Miene in den schönen Zügen des Jungen. Dabei erwartete sie bei Ero meist ein Grinsen, Lachen oder Lächeln.
Er sagte nichts weiter, setzte sich zu ihr und betupfte mit einem Tuch vorsichtig und fürsorglich die Wunde.
Der Schmerz erschien ihr in diesem Moment nebensächlich, der bei jeder Berührung einen Moment der donnernden Schläge aussetzte, nur kurz für ein eigentlich unangenehmes Brennen.
Doch das Einzige was sie spürte war eine Wärme ausgehend von ihrem Bauch, die sich bis in ihre Wangen vortastete.
Alina wagte es nicht, ihn so anzusehen. Ließ es einfach geschehen. Ruhig ohne etwas zu sagen, oder gar zu atmen. Ein Augenblick voller endloser Ruhe, bis einer von ihnen die erdrückende Stille durchbrach.
***
„Blumen für die Dame", rief Ero. Kein tut mir Lied oder Ähnliches, für seine ungenierten Worte.
Man konnte ihn von hier aus nicht sehen aber er müsste schon blind sein, um diesen großen Strauß nicht bemerkt zu haben.
„Von wem hast du den?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Vielleicht ist er von Delio."
Ero brach, aus für sie unerfindlichen Gründen, in Lachen aus.
„Von dem sicher nicht!", zeigte er sich überzeugt.
Nur Alina zweifelte.
„Wieso nicht? Er ist doch immer ganz charmant."
„Glaub mir", sagte er mit ungewohntem Ernst. „Keiner der Schüler würde auf die Idee kommen dich mit Blumen zu überraschen, außer man stößt sie mit ihrer Nase darauf. Delio ist da keine Ausnahme."
So ganz stimmte das nicht. Sie hatte von dem ein oder anderen ihrer Schüler schon Präsente bekommen. Das musste sie Ero aber nicht unter die Nase binden.
„Mein Vater schickt dir öfters Geschenke", überlegte der Junge laut. „Kleinigkeiten, aber auch Blumen. Ich weiß noch von einem Mal, als ein paar Boten, dein ganzes Zimmer damit dekoriert haben. Vielleicht hat sich Marno daran ein Vorbild genommen und das ist die sparsame Ausführung davon."
Jetzt war es Alina, die sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
„Der doch nicht!", war sie überzeugt. „Wann kommt mein Vater auf die Idee, mich mit etwas zu überraschen? Außer es sind neue Aufträge."
„Alina!", wurde ihr fröhliches Plaudern vom heutigen schuleigenen Laufburschen unterbrochen. „Marno will, dass du zu ihm kommst."
Delio wartete noch nicht einmal auf Reaktion von ihr. Kein Klopfen an die Tür oder Ähnliches, er trottete weiter seines Weges.
„Was will der schon wieder?", rief sie nahe an einer Lautstärke, die vielleicht sogar Delio vernommen haben könnte.
Sie nahm Ero das Tuch aus den Händen und studierte für einen Moment das Blut daran.
Obwohl ihr der Schädel donnerte, hatte sie keine schwere Verletzung davon getragen, die versorgt werden musste. Die Blutung stoppte schon, sodass sie vorsichtig ihr Haar auswaschen konnte.
Ero blieb bei ihr, zuerst in Sorge, später eher aus Neugier, wann sie ihn denn herausschmeißen würde. Alina fand, dass er das gerne haben konnte.
Zuerst ging sie an ihren Kleiderschrank.
Ihr blieb wirklich nur noch dieses eine einzige Kleid für ihre Auftritte und dieses wurde heute kaputtgemacht. Das hieß, sie musste sich sehr bald wieder Neue kaufen.
Für den Alltag in der Schule, solange sie nicht trainierte, genügte ihr ein normales Kleid. Das, was sie jetzt herausnahm, war von einem dunklen Braunton und reichte ihr bis zum Knöchel.
Sie würde sich nicht umziehen, solange der Junge noch da war.
Ihre rechte Hand griff nach seinem Hemd, das Kleid hing über ihrem rechten Arm. So bepackt trat sie vor ihren Vorhang.
„Jetzt verschwinde schon endlich!", rief sie Ero zu. Zur gleichen Zeit schmiss sie das Hemd zu ihm, das er mit Leichtigkeit auffing.
„Ich warte draußen", sagte Ero. „Falls Marno nichts Wichtiges will, gönn dir einfach ein paar Tage Pause. Wie wäre das? Wir satteln morgen unsere Pferde und besuchen meinen Vater. Ich kauf dir als Entschädigung ein paar Kleider für deinen Tanz."
„Damit du dich vor der Strafe drücken kannst?!", rief sie herausfordernd. „Vergiss es!"
„Schade." Der Junge lachte. Kurz darauf verließ er ohne ein weiteres Wort ihr Häuschen.
Alina schlüpfte in ihr Kleid. Das Haar fiel ihr nass auf Schultern und Rücken, wo es den Stoff durchtränkte. In der Hitze würde alles schnell trocknen und ihr noch kurz eine angenehme Kühlung verschaffen.
Später konnte sie es frisieren aber jetzt war erst einmal Marno wichtig. Und Alina konnte sich so früh nach einem Auftrag nichts vorstellen, das ihrer Anwesenheit bedurfte.