Ich saß wieder auf der Lichtung, die mir in den letzten Wochen vertraut geworden war. Der Boden unter mir war kalt, die Luft frisch, aber ich hatte kein Auge für meine Umgebung. Mein Blick war starr auf meine ausgestreckte Hand gerichtet.
Heute würde es funktionieren.
Ich hatte es satt, immer wieder zu scheitern. Tag für Tag hatte ich trainiert, konzentriert, meditiert – und doch war da nichts. Keine Flamme, kein Funke, nur Stille. Doch heute fühlte es sich anders an. Irgendetwas war anders.
Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Ich versuchte, das Feuer zu spüren, nicht als etwas, das außerhalb von mir existierte, sondern als etwas, das in mir schlummerte, darauf wartete, entfacht zu werden.
Hitze.
Ganz schwach, ein leichtes Kribbeln in meiner Handfläche. Mein Herz schlug schneller. Ich hielt den Atem an, fokussierte mich auf dieses Gefühl, ließ es sich ausbreiten.
Dann – ein winziges, zitterndes Flämmchen erschien in meiner Hand.
Es war nicht größer als die Flamme einer Kerze, kaum mehr als ein Hauch von Licht und Wärme. Aber es war da.
Mein Atem stockte.
Ich hatte es geschafft.
Für einen Moment konnte ich es nicht glauben. Ich, der in seinem früheren Leben über Leben und Tod entschieden hatte, der einen Körper aus Stahl und eine Seele aus Eis besessen hatte – ich freute mich über eine kleine Flamme in meiner Hand.
Ein leises Lachen entkam mir.
„Hätte mir das jemand früher gesagt, ich hätte es nicht geglaubt."
Ich starrte auf das Feuer in meiner Hand, als sei es das Wertvollste auf der Welt. Mein erstes Zeichen von Erfolg. Mein erster Schritt.
Doch kaum war der Moment vergangen, flackerte die Flamme und verlosch.
Ich runzelte die Stirn. Das konnte kein Zufall sein. Ich versuchte es erneut. Und wieder. Jedes Mal erschien die Flamme für ein paar Sekunden, bevor sie wieder erlosch.
Ich biss die Zähne zusammen. Das war noch nicht genug.
Wieder versuchte ich es. Konzentrierte mich auf das Feuer, auf seine Wärme. Wieder flackerte eine kleine Flamme auf, dieses Mal etwas stabiler. Doch nach wenigen Sekunden spürte ich, wie mein Körper schwer wurde. Ein unangenehmer Schwindel breitete sich in meinem Kopf aus.
Müde.
Ich schnappte nach Luft. Es fühlte sich an, als hätte mein Körper all seine Kraft in diese winzige Flamme gesteckt. Ich ließ mich auf den Boden sinken und starrte in den Himmel.
Ich musste lachen.
Nicht, weil ich gescheitert war. Sondern weil ich wusste, dass ich Fortschritte machte.
Mit einem letzten Blick auf meine Hand, die sich so leer anfühlte, schloss ich die Augen.
Am nächsten Tag
Ich fühlte mich erholt. Die Müdigkeit vom Vortag war verschwunden. Heute war ein neuer Tag, eine neue Chance.
Kaum war ich auf der Lichtung angekommen, begann ich erneut. Ich streckte die Hand aus, fokussierte mich – und die Flamme erschien sofort.
Größer als gestern. Stärker.
Ich spürte, wie sich ein triumphierendes Grinsen auf mein Gesicht schlich.
„Das ist es."
Ich experimentierte mit der Flamme, versuchte, sie in meiner Handfläche tanzen zu lassen, sie wachsen und schrumpfen zu lassen. Es war schwer, aber es funktionierte.
Dann kam der nächste Schritt.
Wasser.
Ich öffnete das Buch und blätterte zu den Kapiteln über die Wassermagie. Anders als Feuer sollte Wasser ruhig und fließend sein. Anstatt die Hitze zu entfesseln, musste ich lernen, die Strömung zu lenken.
Ich stand auf und schloss die Augen. Ich erinnerte mich an die Regentropfen, die in meinem früheren Leben gegen das Fenster geprasselt hatten. Ich stellte mir das kühle Gefühl von Wasser vor, das durch meine Finger glitt.
Ich hob die Hand.
Doch nichts passierte.
Ich wiederholte den Vorgang, konzentrierte mich auf jede Beschreibung aus dem Buch. Doch Wasser zu kontrollieren war anders als Feuer. Ich konnte die Hitze spüren, aber das Wasser… es entglitt mir.
Ich atmete tief ein.
Ich würde es lernen.
Feuer war nur der erste Schritt gewesen. Und jetzt war es an der Zeit, weiterzugehen.
Tage vergingen
Ich trainierte täglich, verbrachte Stunden auf der Lichtung, bis meine Finger schmerzten und mein Kopf vor Anstrengung pochte. Feuer war mittlerweile kein Problem mehr. Ich konnte es kontrollieren, wachsen lassen, löschen – wenn auch nur in begrenztem Maß.
Aber Wasser…
Wasser entglitt mir jedes Mal.
Ich hatte gelernt, dass Feuer eine aggressive Kraft war, etwas, das sich mit Leidenschaft entfesselte. Doch Wasser? Wasser war anders. Es war geduldig, ruhig, nachgiebig, aber gleichzeitig stark. Es ließ sich nicht erzwingen.
Und das war das Problem.
Ich war es gewohnt, mit Kraft alles zu erzwingen. Doch das funktionierte hier nicht.
Eines Abends, als ich erschöpft nach Hause zurückkehrte, erwarteten mich meine Eltern bereits.
„Wo warst du so lange?", fragte meine Mutter besorgt.
„Nur draußen. Ein bisschen frische Luft schnappen."
Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen, bevor sie seufzte. „Pass auf dich auf, ja? Ich weiß, du willst stark werden, aber… manchmal braucht es einfach Zeit."
Mein Vater grinste. „Oder willst du gleich der Erzmagier der Hauptstadt werden?"
Ich schüttelte leicht den Kopf und schmunzelte. „Nein… noch nicht."
Meine Mutter strich mir durch die Haare. „Du bist noch ein Kind, Luck. Du hast Zeit."
Zeit.
Ja.
Vielleicht musste ich aufhören, alles erzwingen zu wollen.
Eine Woche später
Ich saß wieder auf der Lichtung, doch dieses Mal war meine Herangehensweise anders. Ich konzentrierte mich nicht darauf, Wasser zu greifen oder es zu erzwingen.
Ich ließ es einfach fließen.
Ich atmete tief ein, spürte die Luft um mich herum, die Feuchtigkeit im Boden, die Kühle in meiner Hand.
Und dann…
Ein einzelner Wassertropfen schwebte über meiner Handfläche.
Mein Herz schlug schneller.
Noch einer. Dann zwei.
Plötzlich sammelten sich mehrere Tropfen, formten eine kleine, zitternde Kugel aus Wasser.
Es war nicht perfekt. Nicht stabil.
Aber es war ein Anfang.
Ich ließ die Kugel langsam in meiner Hand schweben, bevor sie sich auflöste und auf den Boden tropfte.
Ich lächelte.
„Ich hab's."
Feuer und Wasser.
Der erste Schritt war getan.