Die Sonne lag noch hinter den Hügeln verborgen, aber der Palast von Valerious war bereits ein Zentrum hektischer Aktivität. Diener eilten durch die Hallen, trugen rote Banner und schmückten die Straßen mit Symbolen des Königreichs. Soldaten marschierten in geordneten Reihen und stellten sicher, dass alles für die bevorstehende Hinrichtung vorbereitet war. Ein Gefühl von Spannung und düsterer Erwartung lag in der Luft.
Valerious stand in seinem Thronsaal, den Blick finster und die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die Nachricht von der Flucht der Drachen und des blauhaarigen Mädchens nagte noch immer an seinem Stolz. Der Verlust hatte nicht nur seine Macht in Frage gestellt, sondern auch sein Ansehen geschwächt. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass jemand es wagte, ihn zu hintergehen – und dann auch noch Erfolg hatte.
Corvin trat ein, seine Haltung steif und förmlich, doch in seinen Augen lag eine Spur von Sorge. „Mein Lord, die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Die Menge versammelt sich bereits auf dem Platz. Es wird ein Spektakel werden, das niemand je vergessen wird."
Valerious drehte sich um, seine Stimme scharf. „Ein Spektakel allein wird nicht genügen, Corvin. Diese Hinrichtung soll eine Botschaft sein. Ein Symbol dafür, was mit Verrätern und jenen, die sich mit diesen Kreaturen verbünden, geschieht." Seine Stimme zischte vor Wut. „Das Mädchen mag entkommen sein, aber dieser Mann wird nicht so viel Glück haben."
„Natürlich, mein Lord." Corvin neigte den Kopf. „Soll ich die Wachen anweisen, ihn jetzt herauszuführen?"
Valerious nickte langsam. „Ja. Und stellt sicher, dass er auf dem Weg zum Schafott von der Menge gesehen wird. Ich will, dass jeder weiß, dass Verrat nicht ungestraft bleibt."
Corvin verschwand, und Valerious ging zum Fenster, von wo aus er den Platz überblicken konnte. Menschen strömten herbei, ihre Gesichter von Neugierde und dunkler Vorfreude erfüllt. Valerious verzog die Lippen zu einem kalten Lächeln. Heute würde er ihre Loyalität erneuern – auch wenn er dafür Blut vergießen musste.
Währenddessen, tief im Inneren des Palastes, wurde Lykan aus seiner Zelle geführt. Seine Hände waren gefesselt, seine Schritte schwer. Trotz der Gefahr und des unausweichlichen Schicksals hob er den Kopf und richtete seinen Blick entschlossen nach vorne. Die Wachen schubsten ihn grob, aber er ließ sich nicht unterkriegen.
Er spürte die Kälte des Steins unter seinen Füßen und die raue Enge der Fesseln an seinen Handgelenken. Die Gänge waren düster, nur von Fackeln schwach beleuchtet, und der schwere Geruch von Feuchtigkeit und Verzweiflung hing in der Luft. Doch Lykan ließ sich nicht beirren. Sein Blick war gerade, seine Haltung so aufrecht, wie es die Ketten erlaubten.
„Mach schneller, Verräter!" bellte einer der Wachen und stieß ihn mit dem Knauf seines Schwertes in den Rücken. Lykan stolperte, fing sich aber schnell wieder. Er drehte sich leicht zu dem Soldaten um und sprach ruhig: „Ihr könnt meinen Körper in Ketten legen, aber nicht meinen Geist."
Der Soldat knurrte, aber bevor er antworten konnte, hob der ranghöhere Wächter die Hand. „Kein Gerede. Bringt ihn einfach raus. Lord Valerious will, dass er pünktlich auf dem Schafott steht."
Lykan blieb stumm und richtete seine Aufmerksamkeit auf das, was vor ihm lag. Jeder Schritt brachte ihn näher an das Ende – oder an eine Möglichkeit. Irgendwo in seinem Inneren glomm ein Funken Hoffnung, klein und zerbrechlich. Vielleicht, nur vielleicht, war dies nicht das Ende.
Als sie schließlich die großen, eisernen Tore des Palastes erreichten, schlugen die Soldaten sie mit einem lauten Knarren auf. Die blendende Morgensonne brach durch die Dunkelheit der Gänge und zwang Lykan, die Augen zusammenzukneifen. Vor ihm breitete sich der Platz aus, überfüllt mit Menschen, die lautstark schrien und jubelten.
Ein langer Gang war durch die Menge freigemacht worden, gesäumt von Soldaten mit Speeren und Schilden. Am Ende des Ganges stand das Schafott, eine düstere Konstruktion aus dunklem Holz, die in der Sonne wie ein drohender Schatten wirkte.
Lykan atmete tief ein und ging weiter. Die Stimmen der Menge dröhnten in seinen Ohren, doch er ließ sich nicht beirren.
Als Lykan die letzten Schritte auf das Schafott machte, spürte er die Schwere der Situation in jeder Faser seines Körpers. Die Menge war laut, ihre Rufe verhöhnten ihn, doch in seinem Inneren blieb er ruhig, fast zu ruhig. Die Sonne brannte auf ihn herab, als wollte sie ihn endgültig zermürben, doch er hielt den Kopf hoch, entschlossen, sich dem Schicksal nicht zu beugen.
„Hier endet dein Weg, Verräter!" rief eine Stimme aus der Menge, die andere schlossen sich an, ihre Stimmen vereinten sich in einem wilden Chor. Lykan hörte es, doch er schenkte den Schreien keine Beachtung. Was hatte er zu verlieren?
Die Wachen stießen ihn grob vorwärts, und als er das Schafott erreichte, konnte er die kalte, raue Oberfläche des Holzes spüren, auf dem er bald liegen würde. Zwei Soldaten nahmen ihn in ihre Mitte und drückten ihn nieder, während der Henker, ein großer, finsterer Mann, die Axt hob. Lykan blickte auf den kühlen Stahl und dann hinauf in den blauen Himmel, der für ihn zu einem letzten, flimmernden Bild wurde.
Seine Gedanken flogen zu den Drachen, zu den verlorenen Kämpfen, zu allem, was er sich erkämpft hatte. Doch auch die Erinnerung an Froeis, die Augen, die ihn nie verlassen hatten, verwehrte ihm nicht den Blick auf die Realität. Niemand kam, um ihn zu retten.
„Du bist ein Narr, Lykan," flüsterte er sich selbst zu, als er den Blick senkte und die Axt sah, die nun mit tödlicher Präzision über seinem Hals schwang.
Im letzten Moment, als die Axt sich in die Luft hob und der Schrei des Henkers die Stille durchbrach, ertönte plötzlich ein gewaltiges Brüllen. Es war kein Geräusch, das man gewöhnlich hörte – es war tief und wild, eine Mischung aus Donner und Sturm. Die Menge verstummte, ihre Augen weiteten sich in Panik, als ein massiver, schneebedeckter Drache mit weißen und blauen Schuppen aus den Wolken herabstürzte.
Der Drache schoss durch die Luft, schneller als der Blick folgen konnte, und landete mit einem gewaltigen Krachen auf dem Boden. Seine mächtigen Klauen schlugen in den Boden, während er seine gewaltigen Flügel ausbreitete, die die Luft um ihn herum aufwirbelten. Der Drachenkopf senkte sich herab, seine schimmernden Augen funkelten wie Sterne im Schnee.
„Was zum..." stammelte Valerious, der in der Menge stand und nicht fassen konnte, was sich vor ihm abspielte.
Der Drache landete mit einem Ruck, der den Boden erbeben ließ, und seine riesigen, schimmernden Flügel fächerten sich mit einem gewaltigen Windstoß aus, der die Menge zurückschleuderte. Das Geräusch des Schlags hallte in der Luft wider, und der Schock durchzuckte alle, die Zeugen dieses unerklärlichen Ereignisses wurden. Der Drache drehte seinen Kopf und fixierte Lykan mit einem Blick, der gleichermaßen beruhigend wie furchteinflößend war.
Valerious stand wie gelähmt da, seine Augen geweitet und seine Miene eine Mischung aus Zorn und Überraschung. Die Wachen, die noch wenige Sekunden zuvor ihren Gefangenen festgehalten hatten, zogen sich erschrocken zurück. Der Drache ließ seine mächtigen Klauen nach unten gleiten, packte Lykan jedoch nicht mit roher Gewalt. Stattdessen zog er den Mann sanft, aber bestimmt von dem Schafott.
„Was... was ist das?" flüsterte Valerious, der die Szene kaum fassen konnte.
Der Drache hob Lykan in die Luft, wobei er mit einer eleganten Bewegung in die Wolken entschwand, und kaum hatte Lukan keinen boden unter den füßen viel er in Ohnmacht. Der Henker, der mit ungläubigem Blick auf die Szene starrte, senkte die Axt, die er in der Hand hielt, und ein nervöses Murmeln ging durch die Menge. Doch bevor irgendjemand reagieren konnte, war der Drache längst fort, und die Menschen standen nur noch in einer stummen Reihe. In der Verwirrung, die die Flucht des Drachen auslöste, hatte niemand den einfachen Bauern bemerkt, der plötzlich an Lykan's Stelle vor dem Schafott stand. Er war so unauffällig in die Menge geraten, dass er in dem Chaos und der Panik nicht bemerkt wurde. Der Henker, in seiner Verwirrung, drehte sich um und, ohne nachzudenken, führte er den tödlichen Schlag aus. Das scharfe Schwingen der Axt traf den ahnungslosen Mann, und der Kopf des Bauern rollte zu Boden, während der Körper in einem dumpfen Fall zusammenbrach. Blut spritzte aus seinem Hals und die Menschen massen ging in Panik auf.
„Nein! Was hast du getan?!" schrie Valerious, als er begriff, was geschehen war. Der Henker, blass und verwirrt, starrte auf das, was er in seiner Verwirrung getan hatte, und konnte sich nicht rühren.
„Du bist ein Narr," fauchte Valerious und drehte sich auf dem Absatz um, um sich dem Henker zuzuwenden. „Dein Versagen wird Konsequenzen haben!"
Mit einer schnellen Bewegung zerbrach er das Genick des Henkers mit einem jähen Griff, der den Mann zu Boden schleuderte. Kaum ist der Leblose Körper auf dem Boden, stürmt Valerious wieder ins Schloß und die Palast Tür fällt mit einem lauten Knall ins Schloss.
Minuten Später, in der Luft
Lykan erwachte in den kühlen, schneebedeckten Wolken, die die Welt unter ihm in ein silbernes Licht tauchten. Der Drache, der ihn gerettet hatte, flog in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Lüfte, und Lykan spürte den eisigen Wind in seinem Gesicht. Das Gefühl der Freiheit durchströmte ihn, doch etwas war merkwürdig an diesem Drachen, etwas, das er nicht sofort einordnen konnte.
Der Drache landete schließlich auf einer schneebedeckten Anhöhe, der kalte Wind ließ den Schnee wirbeln, während Lykan von seinen Klaue glitt. Der Drache drehte sich zu ihm, und Lykan konnte nun die Augen des Wesens klar erkennen – sie waren von einem leuchtenden Blau, fast wie der kalte Ozean, tief und undurchdringlich. Doch etwas an diesem Blick war bekannt. Etwas, das ihn erschauern ließ.
„Du..." begann Lykan, doch er stockte, als die Gestalt des Drachen plötzlich in eine menschliche Form überging. Inmitten des Schnees stand nun eine Frau, und hinter ihr erhebten sich acht schneeweiße Drachen. Doch Lykan war sprachlos.
„Froeis?"