Chereads / Das Syndrom des mittleren Kindes / Chapter 6 - Kap. 6: Unterschiedliche Meinungen

Chapter 6 - Kap. 6: Unterschiedliche Meinungen

Der stressigste Teil des Schulalltags für Rika war immer der Heimweg.

Schon wieder leuchtete ihr Handy auf, und noch bevor sie es zur Hand nahm, wusste Rika, wer da anrief.

Mark müsste doch inzwischen begriffen haben, dass ich nicht mit ihm sprechen will. Aber gewiss wird er bald Suzie überreden, mich anzurufen.

Kaum hatte Rika diesen Gedanken zu Ende geführt, klingelte es schon.

Für Rika stand es außer Frage – sie würde das Telefon nicht abnehmen.

"Gehst du ran? Ist das dein Bruder, der dir sagt, er holt dich ab? Wann kommt er?"

Emily schoss diese Fragen schnell hintereinander ab.

Der Tag war endlich vorüber, und es war Zeit, heimzugehen. Normalerweise holte Mark Rika ab, aber heute hatte sie nicht die Absicht, mit ihm nach Hause zu fahren.

Allein bei dem Gedanken, mit ihrem Bruder auf engem Raum zusammen zu sein, packte Rika die Angst.

In Gedanken war ihr klar, dass sie Mark nicht fürchten sollte und dass er sie nur angegriffen hatte, weil seine Instinkte die Oberhand gewonnen hatten.

Es jedoch zu wissen und den eigenen Körper davon zu überzeugen, waren zwei paar Schuhe.

Es kommt überhaupt nicht infrage, dass ich hier auf Mark warte, um mich abzuholen. Aber ich möchte Emily oder Damian nicht beunruhigen.

Ihre Freunde wohnten auf der anderen Stadtseite, und Rika war sich bewusst, dass sie ihre Zeit für sich allein brauchten, wenn die Schule vorbei war.

Sie wollte nicht in ihre Pläne eingreifen, indem sie darauf bestand, dass sie sie nach Hause fuhren.

Und nein, es hatte nichts mit ihrem Gesichtsausdruck zu tun; deren Anwesenheit ließ Rika sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlen.

Häufig wurde sie übersehen, wenn sie mit ihren Freunden unterwegs war.

So sehr Rika ihre Freunde auch schätzte, gemeinsam etwas zu unternehmen, stand nicht auf ihrer Wunschliste. Lügen war momentan Rikas beste Option.

"Mark wird gleich hier sein. Ich warte auf ihn. Was ist mit euch? Geht ihr auch noch wohin?"

Damian hatte seine Tasche bereits in der Hand, und Emily war dabei, das Gleiche zu tun.

Rika stellte ihre Frage genau in dem Moment, als sie wusste, dass ihre Freunde sich auf den Weg machten. So musste sie nicht lange überreden, um sie zum Gehen zu bewegen.

"Du willst auf deinen Bruder warten? Rika, sollen wir bei dir bleiben-"

"Nein, ihr solltet gehen. Damian sieht schon ganz ungeduldig aus und ist scheinbar bereit zu gehen."

Rika konnte nicht wirklich sagen, ob Damian ungeduldig aussah oder nicht. Aber sie zweifelte daran, dass Damian ihr widersprechen würde.

Er schien ungeduldig zu sein, also war sich Rika recht sicher, dass er nicht hinter ihr zurückbleiben wollte. Und Damian würde Emily sicherlich mitnehmen.

Aus irgendeinem Grund war Damian nicht wohl dabei, wenn Rika und Emily Zeit miteinander verbrachten. Das war schon so, seit sie sich als Kinder kennenlernten.

Und Damian verhielt sich nur Rika gegenüber so. Sie war überzeugt, dass Damian sie nicht mochte, doch er tolerierte sie wegen Emily und seiner Familie.

Was für einen anderen Grund sollte er haben, seine 'Alpha-Freundin' Emily nicht bei Rika zu lassen? Es war ja nicht so, als würde Emily mit einem Beta wie Rika durchbrennen.Rika wartete darauf, dass Damian den Raum verließ. Doch er überraschte sie, zog einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder.

Er wirkte ernst, die Arme vor dem Gesicht verschränkt, und blickte Rika direkt in die Augen.

Sie war sich sicher, dass Damians Blick kurz über ihren Nacken streifte, bevor er wieder auf ihr Gesicht zurückkehrte.

Diese ganze Aufmerksamkeit ließ es Rika eiskalt den Rücken herunterlaufen, und sie spürte sofort ein Gefühl der Bedrohung.

Sie suchte hilfesuchend Emilys Blick, aber diese zuckte nur mit den Schultern und setzte sich neben ihren Freund.

"Nun, wir bleiben bei dir, bis dein Bruder ankommt. Ich hoffe, das ist kein Problem für dich."

Jetzt waren zwei Augenpaare auf Rika gerichtet, was ihre Nervosität verdoppelte.

Sie waren die Einzigen, die noch im Klassenzimmer waren, und Rika fühlte sich dumm, weil sie sich entschieden hatte, drinnen auf ihren Bruder zu warten.

Währenddessen klingelte ihr Telefon ununterbrochen. Es zeigte an, dass ihr Bruder an der Schule ankam und wollte, dass Rika herunterkam.

Und Mark, wie Rika ihn kannte, würde nicht auf sie warten. Er würde ohne sie gehen oder herkommen, um Rika persönlich herauszuholen.

Es hing nur davon ab, wie sehr sie ihn verärgert hatte. Und diesmal entschied er sich, Rika selbst zu holen.

Damit durchkreuzte er erfolgreich Rikas Pläne, ihrem Bruder zu entfliehen.

"Hey, komm raus zum Auto, wenn du fertig bist. Und warum gehst du eigentlich nicht ran... Verdammt! Warum stinkt es hier so? Wer zum Teufel hat diesen Ort mit seinen Pheromonen geflutet?"

Mark riss die Tür auf, und Rikas Herz setzte aus.

Sie fürchtete fast, dass die Tür unter der Wucht seines Auftretens brechen würde.

"Du solltest wirklich lernen, deine Kraft zu kontrollieren, Mark! Außerdem ist es nicht nötig, dass du gleich so ein Theater machst. Ich hatte ohnehin vor, dich unten zu treffen."

Rika versicherte ihrem Bruder, während sie ihre Tasche aufhob.

Nun, da ihr Bruder da war, gab es kein Entkommen mehr für Rika.

Das Unbequeme war der zornige und gereizte Ausdruck auf Marks Gesicht. Es schien, als könne er jeden Moment explodieren.

"Tsk, nimm das nächste Mal einfach ab und sag mir, ob es bei dir nach Pheromonen riecht. Es ist ein Glück, dass ich Suzie überredet habe, im Auto zu bleiben. Wenn sie jetzt im Krankenhaus liegen würde, wärst du schuld. Im Ernst, was ist los mit dir?"

Mark verstummte, sobald er das gesagt hatte.

Seine Worte schienen endlich in seinem Kopf anzukommen, und das ließ ihn zusammenzucken.

Rika wusste, dass ihr Bruder nur die Hälfte von dem ernst meinte, was er sagte, aber das machte den Stich in ihrem Herzen nicht weniger schmerzhaft.

"Wenn du so ein Problem mit mir hast, dann hol mich nächstes Mal nicht ab."

Rika stand auf und ging an ihren Freunden vorbei, als ihr Bruder ungeduldig gestikulierte.

Beide hatten den eigentlichen Grund vergessen, warum das Klassenzimmer in erster Linie zu einem 'Pheromonbad' geworden war.