Im Inneren der rollenden Kutsche konnte Mallory nicht umhin, die Wetteränderung zu bemerken, seitdem sie das Schloss verlassen hatten. Das eine Moment tanzten Sonnenstrahlen zwischen den Wolken hindurch, und im nächsten wurden die flauschigen Wolken dunkel.
Ihr Blick wanderte von den sich verdunkelnden Himmeln zu Hadeons Spiegelbild im Fenster, und sie bemerkte einen starken Unterschied in seinem Verhalten seitdem sie das Schloss verlassen hatten. Es erinnerte sie an das erste Mal, als sie ihn von oben auf dem Schafott gesehen hatte. Er wirkte unheimlich ruhig, und der Wind wehte durch seine Haarsträhnen, die weicher zu sein schienen als ihre eigenen! Lag es am Blut?
Mallory hatte von Vampiren gehört, diese trügerischen Kreaturen, deren Worte süßer als Honig und sanft wie eine Federsteichung das Gemüt streicheln sollten. Aber Hadeon? Seine Worte waren eher wie eine Kaktus-Bürste an der Haut.
Und dieser Mann erwartete Dankbarkeit dafür, dass man von Dornen gestreift wurde! Als würde er einen verschlingen lassen, wenn man ihm nicht folgte. Mallory schleuderte seinem Spiegelbild einen durchdringenden Blick zu.
"Ich weiß, ich bin unwiderstehlich, aber wenn du mich so anstarrst, könntest du permanente Stirnfalten bekommen", bemerkte Hadeon, dessen Stimme vor Sarkasmus triefte, während er sich in seinem Sitz zurücklehnte.
Mallory wandte schnell ihren Blick vom Fenster ab und tat so, als wäre sie von ihrer Umgebung gefesselt. Sie antwortete: "Ich habe nur die Aussicht bewundert."
"Ah, du nennst mich eine Aussicht, ja?" Hadeon lachte düster, seine Augen funkelten amüsiert. "Nun, ich bin tatsächlich ein ziemliches Schauspiel – ein Fenster zu deiner strahlenden Zukunft und dein Ticket, um am Leben zu bleiben. Mit mir wirst du der großartigste Diener, den die Geschichte je gesehen hat, oder zumindest bis du zu alt und runzlig bist, um noch nützlich zu sein."
Hat er ihre Vorfahren auch so geärgert? Großmutter, du glückliche Frau! Sie ist gestorben, ohne sich mit Hadeon auseinandersetzen zu müssen, dachte Mallory insgeheim. Dann fragte sie misstrauisch: "Woher weißt du überhaupt, dass ich in deine Richtung geschaut habe?", sicher, dass sein Blick zuvor außerhalb der Kutsche verweilt hatte.
Ein Grinsen spielte um Hadeons Lippen, als er antwortete: "Weil ich dich im Auge habe. Aber ich muss sagen, du machst mir Sorgen, Äffchen. Erst hast du versucht, mich im Schlaf zu berühren, und jetzt starrst du mich an", schüttelte er mit gespielter Missbilligung den Kopf.
Mallorys Augen verengten sich unmerklich, als sie entgegnete: "Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht einfach halluziniert habt, Meister Hades?"
Mit einem schelmischen Lächeln wich Hadeon ihrer Frage aus und sagte: "Wäre es jemand anderes gewesen, hätte er die Gelegenheit ergriffen und sie nach seinem Geschmack manipuliert. Bin ich nicht nur ein Leuchtfeuer des guten Willens? Außerdem", zog er seine Worte hin, "weißt du, wie die Menschen dein Verhalten nennen würden?"
Du bist ein Leuchtfeuer der Gerissenheit, sagte Mallory in Gedanken. Kaum in der Lage, ihren Sarkasmus zu zügeln, fragte sie: "Sich davor zu hüten, dass man ihnen den Hals umdreht?"
"So nah dran", schnalzte Hadeon mit der Zunge, ein böses Funkeln in den Augen. Dann antwortete er: "Man nennt sie Stalker."
Die Frechheit dieser Person, ihr Dinge zu unterstellen, die weit entfernt von ihr und ihm nah waren… Mallory starrte ihn weiter an, bis sie ihn sagen hörte,
"Du brauchst dich nicht zu schämen, deine Bewunderung für mich zu zeigen, Äffchen", schnurrte Hadeon. "Schließlich ist es nur natürlich, Größe zu verehren." Er schenkte Mallory ein selbstgefälliges Lächeln, als würde er ihr die Erlaubnis geben, sich in seinem Ruhm zu sonnen. Unterdessen kämpfte Mallory gegen den Drang, mit den Augen zu rollen, und atmete stattdessen tief und beruhigend ein.Nach einer Minute fragte Mallory ihn: "Wer ist Lady Chevalier?"
"Eine Frau", antwortete Hadeon und lächelte breit über Mallorys Gesichtsausdruck, die so aussah, als würde sie bald sein Alter erreichen. "Lady Chevalier ist eine der ursprünglichen reinblütigen Vampire. Eine alte Bekannte von mir."
"Wie viele reinblütige Vampire gibt es?" fragte Mallory.
Nachdenklich blickte Hadeon vor sich hin und antwortete: "Ein paar wenige. Vielleicht dreißig bis vierzig?" Mallory erschauderte bei dem Gedanken daran, dass so viele dieser Kreaturen im Verborgenen lauerten, durstig nach Blut. Er fügte hinzu: "Es lohnt sich nicht, über sie nachzudenken. Sie sind meist nutzlos und gehören in den Müll." Dann schaute er aus dem Fenster und murmelte: "Was für eine schöne Farbe."
Als Mallory gemeinsam mit Hadeon aus dem Fenster blickte, sah sie die tristen grauen Mauern des Herrenhauses, was bedeutete, dass sie bei Chevalier angekommen waren. Als die Kutsche am Eingang hielt, wurde sie durch das Geräusch von Barnby, der aus der Kutsche sprang, alarmiert, und gleichzeitig forderte Hadeon ihre Aufmerksamkeit.
"Nun, Affe, ich hoffe, du stellst keinen Unfug an, während du hier bist", mahnte Hadeon, während sich seine Augen leicht verengten. "Es liegt in deinem besten Interesse, aus Sicherheitsgründen immer in meiner Nähe zu bleiben. Verstanden?"
"Kristallklar", antwortete Mallory.
Sie stieg aus der Kutsche und nahm den Anblick des Anwesens in sich auf, bevor sie schnell Hadeon zum Eingang des Herrenhauses folgte. Dort sah sie eine schlanke Frau mit schmutzig-blondem Haar, zu einem Pferdeschwanz gebunden, und Lippen so rosa wie eine Rose. Neben ihr stand ein Mann mit brünettem Haar und roten Augen, die nicht dieselben Schattierungen wie die goldenen Augen Hadeons und der Frau hatten.
"Sieh mal, wer aus dem Grab zurück ist", kommentierte der Mann spöttisch lächelnd. "Und ich dachte, wir hätten dich zum letzten Mal gesehen."
"Definitiv nicht dein Selbstwertgefühl, das immer noch zu wünschen übriglässt", erwiderte Hadeon strahlend wie ein Blitz, und die Selbstgefälligkeit verschwand von den Lippen des Mannes. "Ich hatte nicht erwartet, dass du mich willkommen heißt, Royce. Hast du geweint, nachdem ich eingeschlafen war?"
"Das hättest du wohl gerne", entgegnete der Mann namens Royce, sein Lächeln erreichte jedoch nicht seine Lippen.
Mallory spürte die Spannung in der Luft und hörte dann die Frau, Lady Chevalier, mit ihrer samtigen Stimme sagen: "Du hast dich nicht verändert, Hades." Sie lächelte, und sie wirkte freundlicher.
"Veränderung ist etwas für Sterbliche, nicht für uns. Wären wir sterblich, wären wir wohl zu Heiligen geworden", bemerkte Hadeon mit einem subtilen Grinsen auf den Lippen. "Es ist schön, dich zu sehen, Rose."
"Wie wäre es, wenn wir hineingehen und uns bei einem Bluttee an einem gemütlicheren Ort niederlassen?" schlug Lady Chevalier vor. Dabei glitten ihre Augen kurz über Mallory.
Royce unterbrach sie, seine Stimme klang aufgeregt: "Entschuldigen Sie, Lady Chevalier, aber der Tee muss warten. Da Lord Hadeon nun aus dem Sarg ist, muss er in den Norden reisen, um dem derzeitigen König seine Pflichten zu versichern. Andernfalls wird er gezwungen sein, in den Sarg zurückzukehren."
Bei diesen Worten kicherte Hadeon, als hätte er den Vampir einen Witz machen hören.