Ich rannte den menschenleeren Gehweg entlang und huschte immer wieder aus den Schatten hervor. Wir lebten in einem mittleren Einkommensviertel von Lupin City. Ja, genau das hast du vermutlich vermutet: Es wurde nach den Wölfen benannt, die hier ihr Zuhause haben.
Die meisten Menschen dachten wohl, es sei nach der Blume benannt worden, aber die Gestaltwandler wussten es besser. Es sollte uns alle daran erinnern, wer in der Stadt das Sagen hatte.
Ein Hundebellen in der Nähe ließ mich gut einen Fuß in die Luft springen. Tief durchatmend lief ich weiter, um all meine Energie freizusetzen. Hoffentlich konnte ich beim nächsten Nickerchen länger als 45 Minuten schlafen.
Ich bog auf das Grundstück eines kleinen Bungalows ab, rannte durch das Gras und kroch unter dem Holzzaun hindurch, der die Vorderseite vom hinteren Bereich trennte. Flink kletterte ich die Terrassenstufen hinauf und durch den kleinen Spalt, den ich im Fenster genau aus diesem Grund gelassen hatte.
Um ehrlich zu sein, konnte ich durch alles kommen, was größer als 1 cm war. Nicht vieles konnte eine entschlossene Maus aufhalten. Paul hatte dafür gesorgt, dass es einen ausreichend großen Spalt zwischen der Hintertür und dem Türrahmen gab, damit ich immer hineinkommen konnte, doch mir war es auf diese Weise lieber.
Zumindest war ich, wenn ich zurück in meine menschliche Gestalt wechselte, bereits in meinem Schlafzimmer. Ich erinnere mich noch an das Mal, als ich mit zehn durch die Hintertür ins Haus gelangt war. Ohne nachzudenken, waren Paul und ich überrascht, als ich mitten in der Küche zurückverwandelt, komplett nackt dastand.
Er bewahrte nun eine große Decke neben der Tür auf, für den Fall der Fälle. Bis heute, acht Jahre später, habe ich denselben Fehler nicht noch einmal gemacht.
Ich holte meinen warmen Fleece-Pyjama hervor und öffnete die Schlafzimmertür. Leise die Treppe hinuntergehend, setzte ich den Wasserkocher auf und begann, alles für unsere abendliche heiße Schokolade vorzubereiten.
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"Was zum Teufel machen die Welpen hier draußen?", knurrte Damien, als er aus dem Fenster des SUVs starrte.
"Wovon redest du?", fragte Raphael vom Rücksitz aus. Er sah von den Rudelberichten, die er las, auf zu Damien.
Der andere Mann brummte und deutete mit dem Kinn auf das alte Dinner, wo sich zehn Junge in der Dunkelheit versteckten.
"Keine von unseren", brummte Dominik und ließ seinen Blick kurz über den Ort schweifen, bevor er sich wieder seinem Handy zuwandte.
"Aber die Welpen sind es", hielt Lucien dagegen. "Und das Letzte, was wir brauchen, ist, dass sie den Ort zerstören und unsere Tarnung auffliegen lassen."
Dominik lachte über die Vorstellung, offensichtlich kümmerte er sich überhaupt nicht um etwaige Konsequenzen. Aber das war auch der Grund, warum er der Zweite Kommandant war. Sein Fokus lag auf dem Rudel und dessen Bedürfnissen, während Raphael das große Ganze im Auge behalten musste.
"Fahr an den Rand", sagte Raphael und klappte das Laptop, das er benutzte, zu und legte es behutsam neben sich. Er war viel zu müde, um sich jetzt mit einer Horde geiler junger Wölfe herumzuschlagen, aber Lucien hatte recht. Sie konnten nicht einfach weiterfahren.
Damien brummte und gehorchte, kam langsam am Bordstein vor dem Restaurant zum Stehen. Erst als sie direkt bis zu der Gruppe heranfuhren, erkannten die Männer im Auto, dass sich ein eindeutig menschlicher Mann mitten unter den Welpen befand.
Der Mann schien sich nicht bewusst zu sein, in welcher Gefahr er sich befand, denn wahrscheinlich hielt er die Gruppe nur für Punks, und nicht für Wölfe, die ihm die Kehle herausreißen könnten."Sag uns, wo sie ist!", rief eine wütende Stimme, die Raphael nur zu gut kannte.
"Nicht hier", antwortete der Mensch mit einem langen Seufzer. "Sie hat den Ort schon vor mindestens einer Stunde verlassen, wenn nicht früher."
"Das ist unmöglich", spottete der Mann, der sich zuvor so lautstark geäußert hatte. "Wir warten hier draußen schon stundenlang. Es gibt keine Möglichkeit, dass sie an uns vorbeigekommen ist."
Lucien beobachtete, wie auf dem Gesicht des Menschen kurz ein selbstgefälliges Lächeln aufblitzte, als würde er etwas wissen, das den anderen verborgen blieb. Es war jedoch so flüchtig, dass es sonst niemand zu bemerken schien. Oder zumindest wurde es nicht thematisiert.
"Ihr könnt gerne selbst nachsehen", entgegnete der Mensch. "Aber es ist spät, und ich möchte nach Hause gehen."
Der Mann, der zur Konfrontation angesetzt hatte, machte einen Satz auf den wehrlosen Menschen zu, wurde jedoch von einem anderen aus der Gruppe zurückgehalten.
"Jamie", knurrte Raphael und brachte die jungen Wölfe augenblicklich zum Innehalten. Sie traten einen Schritt zurück und senkten die Köpfe, ohne es zu wagen, ihm in die Augen zu sehen.
"Es tut mir leid", fuhr er fort und näherte sich dem Menschen, während sein Rudel ihn umringte. "Sie sind leider gerade in der hitzköpfigen Phase ihres Lebens."
Der Mann verspottete Raphael mit einem Geräusch und sah ihn herausfordernd an. "Na klar", erwiderte er zweifelnd. "Aber du kannst ihnen ruhig ausrichten, dass sie und ihre Freundinnen in meinem Lokal erst mal nicht mehr willkommen sind – zumindest, bis sie aus dieser Phase raus sind."
Bei diesen Worten wurde Raphael stutzig und nahm sich die Zeit, den Menschen genauer zu betrachten. Anfangs hatte er ihn unterschätzt. Doch sein Instinkt flüsterte ihm nun zu, dass hier etwas nicht stimmte.
Und als Alpha des größten Rudels in Amerika hörte er stets auf seinen Instinkt.
Der Mann, der Mensch vor ihm, zeigte kein einziges Mal Anzeichen von Besorgnis oder Unruhe. Das war wirklich ungewöhnlich. Selbst Menschen hatten ein gewisses Gespür dafür, wenn sie von Raubtieren umgeben waren. Sie konnten vielleicht nicht benennen, was sie beunruhigte, aber ein Unbehagen war in der Regel spürbar.
Er aber schien unbeeindruckt.
"Wart ihr Soldat?" mutmaßte Raphael und trat dem älteren Mann auf Augenhöhe entgegen. Er blickte ihm direkt in die Augen und schnüffelte dezent.
"Oder so etwas Ähnliches", erwiderte der Mann, ohne sein Lächeln auch nur einen Moment lang zu verlieren. "Und entschuldigt, falls ich schlecht rieche. War ein langer Tag in der Küche."
Er wusste, dass Raphael seinen Geruch aufnahm.
"Geh nach Hause, Jamie, und bring deine Freunde mit. Wir beide werden ein ernstes Wörtchen miteinander reden, wenn ich zu Hause bin", knurrte Raphael und ließ seinen Blick nicht von dem Mann vor ihm abweichen. Er mochte älter und kleiner sein, doch etwas an ihm ließ Raphael nicht los.