'Ich konnte noch ein paar Bauchstreichler und einen halben Keks ergattern, bevor Paul die Hintertür öffnete und mich aus dem Restaurant ließ. Ich winkte ihm zum Abschied und überließ dann die Führung der Maus, die am besten im Versteckspiel war. Sie könnte genauso gut ein wenig Spaß haben.
"Denkt ihr, die Schlampe kommt noch raus?", fragte einer der männlichen Wölfe, während ich mich den zehn Wölfen am anderen Ende der dunklen Gasse näherte. Es war bereits 22 Uhr, und das einzige Licht kam von einer schwachen Straßenlaterne ein paar Häuser weiter. Sogar das Diner war im Dunkeln gehüllt, ein Hinweis für potenzielle Kunden, dass wir für den Tag geschlossen hatten.
"Ich muss morgen früh zur Schule", knurrte ein anderer, während er mit den Füßen auftrat. Menschen tun das, wenn sie sich aufwärmen wollen, aber als Wolf sollte er immer warm sein.
"Halt die Klappe!", zischte einer der Anführer. Ich glaube, er war der Alpha von dem Tisch, an dem ich zuerst bedient hatte. Mann, diese Leute konnten wirklich nachtragend sein. "Wir müssen ihr eine Lektion erteilen."
Die restlichen neun Männer schwiegen und richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gasse.
"Könnte sie durch den Vordereingang raus sein?", fragte einer leise. Ein Schwall von Flüchen folgte, als die Wölfe nach vorne eilten, um das zu überprüfen.
Wenn man bedenkt, dass ich sie aus dem Schatten beobachtete, keine fünfzehn Zentimeter entfernt, konnte ich ihre Possen nur belächeln. Mäuse gibt es in der Stadt überall, und so übersehen uns die meisten Raubtier- und Beutewandler einfach.
Aber ich rede so, als gäbe es haufenweise Mäusewandler, obwohl ich bislang der einzige zu sein scheine, den ich kenne.
Klar, ich muss irgendwelche Eltern haben. Ich meine, anders geht es ja nicht. Jeder und alles hat Eltern.
Aber an meine früheste Erinnerung ist, wie ich in einem Nest aus Isolierungsmaterial auf dem Dachboden der Stadtbibliothek aufgewacht bin. Ich war damals wahrscheinlich erst ein paar Tage alt und erinnere mich an Hunger und Durst.
Ich weiß nicht, wie ich jene Wochen überlebt habe, bevor Paul mich fand. Ich erinnere mich daran, wie ich mich durch die Wände kämpfte, um in die kleine Mitarbeiterküche zu gelangen, wo es himmlisch roch.
Es gelang mir, ein paar Krümel zu erwischen, stopfte sie in meine Backentaschen und trottete so schnell mich meine kleinen Beine tragen konnten davon. Natürlich wurde ich sehr schnell müde, also suchte ich nach einem guten Versteck, während ich meine Schmuggelware aß.
In diesem Moment fand mich Paul.
Er hob mich auf, brachte mich mit nach Hause, und das Leben war seitdem ziemlich perfekt.
Innerlich lachend lief ich durch die Straßen, nicht mehr bedacht auf die Wölfe, sondern einfach nur frei und das Gefühl der Freiheit genießend.'Die erste Verwandlung war ein Schock für alle, das kann ich Ihnen versichern.
Da war ich also. Achtzehn Jahre alt, ohne Abschluss, ohne formale Bildung und doch schon Multimillionärin. Das wusste niemand, außer Paul natürlich.
Ich erinnere mich noch daran, als ich mein erstes Patent verkauft hatte. Paul musste sich als das Gesicht des Patentinhabers ausgeben, denn ich war zu der Zeit erst zwölf. Aber es handelte sich um eine winzige Pille, die die Brunst bei Frauen unterdrücken konnte. Diese Pille brachte immer noch unverschämt viel Geld ein, da alle anderen auf dem Markt nichts anderes als Kopien meiner Erfindung waren.
Was soll ich sagen? Ich las viel und obwohl ich täglich etwa 12 Stunden schlief, tat ich dies in kurzen Intervallen. Das gab mir viel Zeit, um zu forschen, und weil ich eine Maus war, konnte ich ungesehen in jedes Gebäude des Landes gelangen.
Mein Kopf war stets voller Informationen und Fragen, deren Antworten ich unbedingt wissen wollte. Und alles, was ich tat, zielte darauf ab, mein Leben und das von Paul zu verbessern. Ich hatte versucht, ihm Geld zu geben; ich fühlte mich schlecht bei all dem, was er mir im Laufe der Jahre gegeben hatte.
Er hatte mich aufgenommen, als mich sogar meine eigenen Eltern nicht wollten. Er hatte mir alles gekauft, was ich als Mädchen und als Maus brauchte, und sich um mich gekümmert, als ich mich nicht selbst versorgen konnte.
Doch nein, er bestand darauf, dass ich jeden verdienten Cent sparen sollte. Und so fing ich an, im Diner zu arbeiten – dem Traum, den er und seine verstorbene Frau sich erträumt hatten, den sie aber nicht mehr miterleben konnte.
Ich erzählte ihm nicht, dass mir das Gebäude gehörte. Ich wusste, dass sein Stolz das nicht verkraften würde. Also legte ich jeden Monat, wenn er Miete zahlte, das Geld heimlich auf ein anderes Konto in seinem Namen zurück, falls er es brauchen würde.
Dieser Mann war geduldiger, freundlicher und fürsorglicher als jeder andere Wandler oder Mensch auf der Welt. Und ich wollte ihn beschützen.
Er war der Erste, der mich Adaline nannte. Vermutlich kam der Name von einer Frau, die nicht sterben konnte. Wir sahen uns eines verschneiten Abends einen Film darüber an, und ich konnte nur den Kopf schütteln.
Aber irgendwie gefiel mir der Name Adaline. Er schien exotischer, als es mein Aussehen vermuten ließ. Ich hatte dickes, langes braunes Haar und leuchtend grüne Augen. Meine Gesichtszüge waren klein, genauso wie ich... aber das war völlig in Ordnung für mich.
Wie mein tierisches Pendant genoss ich es, eher im Hintergrund zu verschwinden, als es wahrscheinlich gut für mich war.
Paul lachte jedes Mal, wenn ich das sagte, und beteuerte, ich würde keineswegs so gut im Hintergrund verschwinden, wie ich dachte.
"Adaline, meine Adaline", sagte er und strich über mein Fell. "Du bist dazu bestimmt, die Welt zu entflammen."
Ich schüttelte immer den Kopf bei seinen Worten, ohne es auch nur eine Sekunde lang zu glauben. Wie konnte ich, eine winzige Maus, dazu bestimmt sein, die Welt zu entflammen?