Die Mahnwache wurde in der Dorfhalle abgehalten, und die Halle war groß genug für alle Bewohner. Jeder trug Schwarz und hatte sich wegen der Kälte gut eingepackt. Fast schien es, als wollte das Wetter den Häuptling ebenso ehren, denn am Abend brach die Sonne durch, wenn auch nur kurz.
Aber die Kälte war nicht das, was Islinda die größten Sorgen bereitete. Ihre Gedanken kreisten um Eli und Valerie. Sie konnte einfach nicht fassen, dass das Kind eine Zuneigung zu ihrer bösen Stiefschwester entwickelt hatte, nach dem, was gestern vorgefallen war.
Das war merkwürdig und ergab keinen Sinn. Was hatte Remy nur getan, um Eli für sich zu gewinnen? Ihr Essen konnte es nicht gewesen sein, denn das war geradezu giftig. Doch Islinda musste zugeben, dass es eine Erleichterung war, zu wissen, dass jemand auf Eli achtgab, während sie auf Valerie wartete.
Mit Eli an ihrer Seite wäre es schwierig gewesen, Valerie zu begegnen, und Islinda war sich nicht sicher, ob der Junge in ihre Interaktion miteinbezogen werden sollte. Sie hatte keine Ahnung, was für eine Art Beziehung sie nun zu Valerie hatte, aber sicher war, dass sie nicht geeignet war für ein Kind wie Eli.
Deswegen saß Islinda im hinteren Teil der Halle, nahe einem Eingang. Sie machte sich zwar Gedanken darüber, wie Valerie sie in dieser Menschenmenge finden würde, aber er war zuversichtlich, und sie vertraute auf seine Worte.
Es war dunkel, doch die Halle war ausreichend erleuchtet, um den Weg zu erkennen. Jeder hatte eine eigene Kerze oder Laterne dabei. Islinda saß auf Decken am Boden und lauschte aufmerksam den Geschichten, die einige Dorfbewohner über den Häuptling erzählten, als sie einen Wandel in der Luft spürte und jemand sich neben sie setzte.
Sie drehte sich um und ihr blieb der Atem stehen. Das Erste, was Islinda auffiel, waren seine unnatürlichen, aber wunderschönen gelblich-bernsteinfarbenen Augen. Er hatte sie wirklich gefunden.
Es war Valerie, und er war tatsächlich ihrem Rat gefolgt und trug einen schwarzen Umhang mit Kapuze, die seine spitzen Fae-Ohren verbarg. Ihr Herz fühlte mit dem Dorfbewohner mit, von dem er dies entwendet hatte; das durfte einfach nicht noch einmal passieren. Um während der stillen Mahnwache nicht aufzufallen, wandte Islinda sich wieder den Reden zu.
Wer machte sie was vor?
Islinda konnte sich überhaupt nicht konzentrieren, vor allem nicht, als Valerie sich herüberbeugte, ihre Hand nahm und ihre Finger verschlung. Ihr wurde die Kehle trocken und das Schlucken fiel ihr schwer. Es war nur ein Händchenhalten, doch tausende von Schmetterlingen schienen in ihrem Bauch zu flattern. Islinda verspürte zum ersten Mal ein Verlangen nach einem Mann.
So war es nicht verwunderlich, dass Valerie und Islinda sich davonschlichen, als es an der Zeit war, den Häuptling mit seinem Lieblingslied zu ehren und dazu zu tanzen.
"Wohin denn so eilig? Der Tanz sah interessant aus", kicherte Valerie, während sie ihn von der Dorfgemeinschaft wegführte.
"Schhh, Valerie", wies sie ihn zurecht und drückte ihren Zeigefinger gegen seine Lippen. Ihre Wangen glühten und schnell zog sie ihre Hand zurück, als ihr klar wurde, was sie getan hatte.
Valerie schmunzelte sie an, als hätte er die Auswirkungen begriffen, die er auf sie hatte. Islindas Wange wurde noch wärmer und sie wedelte sich mit der Hand Luft zu. Warum fühlte sie Hitze, trotz der Kälte?
"Ich wollte nur sagen, dass es Spaß gemacht hätte. Oder tanzt du etwa nicht gern?" Er betrachtete sie belustigt."Natürlich liebe ich es zu tanzen!" sagte sie laut, bemerkte allerdings etwas zu spät, dass sie sich ohne wirklichen Grund aufregte. Es war schließlich nur ein Tanz - und sie war schrecklich darin.
Islinda räusperte sich. "Ich meine nur, es könnte nicht sicher für dich sein. Was, wenn du dich im Tanz verirrst und deine Kappe abfällt, dann würden alle realisieren, was du bist..." Ihr Herz krampfte sich bei dem Gedanken zusammen. Es war erschütternd für Islinda, wie sehr sie sich um diesen Faen sorgte. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie fast sagen, er sei ihr Seelenverwandter.
Er streckte die Hand aus und drückte sanft ihre Schulter. "Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, ich bin mächtiger, als du denkst."
Valerie wusste, er sollte ihr von seiner königlichen Herkunft erzählen, aber er genoss die aktuelle Beziehung zu ihr und wollte nicht, dass sie sich ihm gegenüber anders verhielt. Er war einfach ein Faen, der sich in eine entzückende Menschenfrau verliebt hatte.
"Wenn du das meinst", seufzte Islinda tief und schon begegneten sich ihre Blicke wieder. Bei allen Göttern, er war wunderschön.
Valerie musste die sexuelle Spannung zwischen ihnen spüren, denn er fragte: "Gibt es einen Ort, wo wir allein sein können?"
Diese Worte sagten mehr als genug und sie schluckte schwer. Islinda war kein Kind und wusste, was er vorschlug, auch wenn sie es noch nie zuvor getan hatte. Sie hatte Bücher gelesen, Geschichten gehört, sie war alles andere als naiv. Als Dame, die in einer Männerwelt jagte, hatte sie Angebote von vielen Männern erhalten – einige romantisch, andere grob. Ohne zu vergessen, dass manche Männer recht anzügliche Witze rissen.
Natürlich lehnte sie ab, weil kein Mann sie wirklich fesselte und Islinda war eine Romantikerin. Sie träumte von einem Mann, der sie lieben würde, mit dem sie eine Familie gründen und glücklich bis ans Lebensende sein konnte. Ein Märchenprinz. Vielleicht hatte sie bisher kein Interesse an Männern, weil sie auf Valerie gewartet hatte.
Plötzlich blickte sie entschlossen drein, aber so stark sie sich auch gab, zitterte ihre Stimme dennoch.
"F-Folge mir."
Es war gut, dass sie sich nicht mehr an den Händen hielten, denn sie war nervös und ließ den Zweifeln Raum. Hatte sie das Richtige getan? Was, wenn Valerie nicht mochte, was er sah? Sie war noch jungfräulich, würde es so schmerzhaft sein, wie sie sagen? Außerdem war Valerie ein Faen, vielleicht war er anders als menschliche Männer? Wo würde ihre Beziehung danach hingehen? Warum fühlte sich das wie ein Fehler an?
Doch als Valerie ihre Hand ergriff und sie anlächelte, schwanden ihre Ängste in einem Augenblick. Er erfüllte sie mit Kraft und Islinda lächelte zurück. Vielleicht dachte sie zu viel nach; Sex sollte erlebt werden, ohne dass man sich ständig Sorgen machte.
Sie erreichten die alte Mühle, die von einer kleinen Wiese umgeben war, auf der sich die Dorfbewohner gerne erholten. Doch da jeder bei der Mahnwache war, würde sie hier niemand stören. Kaum hatte sie die Tür verschlossen und sich umgedreht, lagen Valeries Lippen auf den ihren und Islinda vergaß das Atmen.
Es geschah wirklich.