Ältester Su hustete zweimal. "Kleine Tante, hast du nicht versprochen, deinen beiden Großneffen zu helfen, den Geist zu fangen?" sagte er, während er bedeutungsvollen Augenkontakt mit der alten Dame Su und seinen Söhnen aufnahm. Die sechs Brüder kannten die Details des Briefes nicht, doch als sie Ältester Sus Verhalten bemerkten, stimmten sie natürlich zu. "Genau, Großmutter, diese beiden Racker waren so ängstlich, dass sie die Augen aus dem Kopf weinten; heute sind sie nicht einmal zum Bankett zurückgekommen." "Wenn du jetzt gehst, werden sie vor Angst nie wieder nach Hause kommen." Mianmian neigte den Kopf: "Dann werde ich nachsehen, wo der Geist jetzt ist, ihn fangen und dann nach Hause gehen." Während sie sprach, erhob sie sich vom Sofa und holte einen Mini-Kompass aus ihrer kleinen Tasche hervor. Es war eine winzige hölzerne Scheibe, kaum so groß wie ihre eigene Handfläche, und sah aus wie ein kleines Spielzeug mit einer Nadel darauf. Als die Familie Su das sah, blieb ihnen nichts anderes übrig, als Mianmian zu folgen. Su Chenfei hatte gerade mitbekommen, wie Mianmian und sein ältester Bruder über etwas sprachen, das er nicht verstand, und nutzte die Gelegenheit, sich an Su Chenjin heranzuschleichen, um ihn zu fragen. Innerhalb der Familie gab es nichts zu verbergen, und Su Chenjin erklärte leise, was er wusste. Erstens: Er war mit Lin Rou zusammen, und Lin Rou hatte ihn mit übernatürlichen Mitteln angegriffen. Zweitens: Hinter Lin Rou stand ein Meister, der ihr einen Geist geschickt hatte; eine frühere Heiratsantrag war durch eine geisterhafte Besessenheit unterbrochen worden. Drittens: Möglicherweise hatte er, weil er besessen war, das Aussehen des Geistes wahrgenommen. Viertens: Die kleine Tante hatte die Methode, die Lin Rou bei ihm angewendet hatte, gelöst und den Geist in eine Perle eingeschlossen. Nachdem Su Chenjin zu Ende erzählt hatte, teilte auch Ältester Su den Inhalt des Briefes mit. Su Chenfei, der immer an die Wissenschaft glaubte, war perplex. Wenn sein Bruder nicht verrückt war, bedeutete das, dass es in dieser Welt wirklich Geister gab? Und dass die kleine Tante dort vorne, die die kleine Scheibe hielt, eine hochqualifizierte Daoistin war, die Geister in Kugeln verwandeln und sie in ein buddhistisches Armband stecken konnte? Dann dachte Su Chenfei an die Leute im Festsaal, deren Zähne ausgeschlagen wurden und die unanständig sprachen. Plötzlich wirkte die Silhouette von Little Bun vor ihm auf geheimnisvolle Weise überragend. Ohne zu wissen, dass sie von ihrem siebten Enkelkind bewundert wurde, benutzte Mianmian ihren kleinen Kompass in mehreren Räumen, doch der Kompass reagierte nicht, was sie zu einem breiten Gähnen veranlasste. Sie war sehr schläfrig.Little Bun schleppte ihre kurzen Beinchen immer langsamer, und ihr Köpfchen sank nach und nach.
Alte Frau Su war die Erste, die merkte, dass etwas nicht stimmte. Sie eilte ein paar Schritte vorwärts, ging in die Hocke und nahm Mianmian in ihre Arme.
Mianmian fühlte sich von hinten gestützt, drehte sich um und sah ihre neue, sanfte Schwiegertochter. Sie lächelte versucht, aber die Müdigkeit übermannte sie, sie schloss ihre Augen und fiel in tiefen Schlaf.
Alte Frau Su fing die kleine Scheibe auf, welche Mianmian fallen gelassen hatte, steckte sie in Mianmians Tasche und machte dann der Familie ein Zeichen, um sie zur Ruhe zu mahnen.
Die Betten im Schlafzimmer waren aus weichstem Kleinkinderstoff, und Mianmian, die mittendrin lag, bekam nach einer Weile rosige Wangen und sah unglaublich süß aus.
"Ah, es zu verstecken ist keine Lösung," seufzte Alte Frau Su.
Die Familie trat in ein Schweigen.
Es zu verbergen war keine Lösung, aber die Wahrheit zu erzählen auch nicht. Im Brief stand, dass die kleine Tante alleine hierhergekommen war. Wer konnte wissen, welche Methoden der Dunklen Sekte sie anwenden würde, um wieder zurückzukehren?
Während die Mitglieder der Su Familie Kopfschmerzen bekamen, hörten sie plötzlich eine milchige Stimme aus dem Bett: "Daddy Mummy! Papa, Mama, wacht auf!"
Das erschreckte alle, und sie eilten ans Bett.
Doch sie sahen Little Bun, die mit geschlossenen Augen die Stirn runzelte, offensichtlich noch immer nicht wach. Träumte sie? Träumte sie von ihren schlafenden Eltern? Was sollten sie tun?
Mianmian träumte tatsächlich, sie war wieder auf dem Berg.
Papa, Mama und die anderen Verwandten schliefen alle in ihren Zimmern und egal, wie sehr sie schrie, stoßte oder ihnen frech die Nasen und Münder hielt, keiner wachte auf.
"Papa, Mama?" Ihre Rufe blieben unbeantwortet, Mianmians Nase fühlte sich sauer an, große Tränen begannen zu fließen: "Papa, Mama, schlaft nicht, Mianmian ist zurück."
Je mehr sie weinte, desto mehr zitterte der kleine Körper von Little Bun. Durch ihre verschwommenen, tränenverschmutzten Augen erinnerte sie sich plötzlich an den Schatz der Familie.
Es war die heilige Stele der Familie Jiang. Mama hatte ihr erzählt, dass die Familie Jiang in unüberwindlichen Schwierigkeiten die heilige Stele um Hilfe bitten würde.
Mit diesem Gedanken wischte sich Mianmian die Tränen mit ihren kleinen Händen ab und rannte zum Standort der heiligen Stele. Weil sie so schnell lief, stolperte sie über einen Stein und fiel hin.
Die schmerzenden Knie ignorierend, streckte sie ihre kleinen Hände aus, umarmte die Stele vor sich und wünschte sich im Stillen, was sie suchte.
Plötzlich leuchtete die heilige Stele hell auf, und die Silhouetten eines jungen Paares erschienen neben der Stele, ihre Augen voller Schmerz und Liebe für Mianmian.Das gute Baby, bitte nicht weinen.
"Vatis kleines Mian Bao, weine bitte nicht."
Die Tränen trübten Mianmians Sicht, und sie konnte ihre Eltern nicht deutlich sehen. Alles, was sie wollte, war, sich in ihre Arme zu werfen. "Papa, Mama, warum seid ihr zu Geistern geworden?"
Sie klammerte sich an ihren Vater und streckte dann die Hand aus, um ihre Mutter zu umarmen. Ihre dunklen Augen waren voller Panik und Verwirrung, weil sie ihre Liebsten nicht wecken konnte.
Das Paar wechselte einen Blick; in den Augen des anderen sahen sie die gespiegelte Sorge.
Dies war eine Prüfung des himmlischen Dao.
Seit vielen Jahren befand sich das Land des Drachens in seinem letzten Dharma-Zeitalter, und die Götter und Buddhas reagierten auf Katastrophen entweder durch Schlaf oder durch Reinkarnation und Abstieg auf die Erde. Vor einem Monat hatte die heilige Stele der Jiang-Familie eine Prophezeiung offenbart, dass dem Land des Drachens eine große Katastrophe bevorstünde und der einzige Ausweg ihre Tochter Mianmian sei.
"Mianmian, es ist so, dass Mama und Papa einer Prüfung gegenüberstehen", sagte Mianmians Mutter sanft. "Hier ist eine kleine Flasche. Wenn du die Fähigkeiten nutzt, die du erlernt hast und die dich von vielen Menschen geliebt machen, und gute Taten tust, kannst du damit diese Flasche füllen und Mama und Papa können zurückkommen."
Mianmians Vater nickte. "Genau, Mianmian, unser liebes Baby, Mama und Papa warten darauf, dass du uns im Inneren des Monuments aufweckst", sagte er.
In Wirklichkeit war der Raum in der Reinigungsvase unendlich, und Mianmian wusste nicht, wie lange es dauern würde, die Aufgabe zu erfüllen. Das Kind, für das sie mehr als fünfzig Jahre gebetet hatten, war gerade einmal etwas älter als drei Jahre, doch ihre Last war bereits schwer.
Tränen flossen stetig über die Wangen des Paares, doch die Tränen der Erwachsenen waren stumm.
Die Prüfung würde kommen, gewollt oder nicht. Bis zum letzten Tag hatten sie ihre Tochter beschützt und waren in ihrem Schlaf der Prüfung erlegen – das war das Äußerste, was sie tun konnten.
Auch jetzt bestand die Möglichkeit, die durch das Gebet vor dem heiligen Monument gewährt wurde, ihre Seelen zu treffen und ihrer Tochter von der Tortur zu berichten, doch ihre Zeit war beinahe vorüber.
Das Paar fuhr murmelnd fort: "Mianmian, du musst dich bei deiner älteren Kusine gut benehmen, sei nicht zu eigensinnig. Der Berg wird vorübergehend gesperrt, also brauchst du nicht nach Hause zurückzukommen, um Mama und Papa zu sehen, verstanden?"
"Es ist in Ordnung, wenn Mama und Papa schlafen. Mian Bao, konzentriere dich nicht zu sehr darauf; du musst selbst glücklich sein."
Die sanfte Ermahnung hallte in ihrem Ohr nach, während Mianmian den Kopf schüttelte und laut rief: "Nein, ich will keine Freude, ich will, dass Mama und Papa aufwachen."
"Ich will nicht brav sein, ich will nur auf die Worte von Mama und Papa hören..."
Aber ihr Schreien konnte ihre Eltern nicht davon abhalten zu gehen. Sie war allein gelassen, nur mit der eiskalten Reinigungsvase in ihren kleinen Händen.
Mianmian schrie und weinte, und erwachte dann aufgeschreckt aus ihrem Schlaf. Verwirrt lag sie da, die Ecken ihrer Augen waren noch rot vom langen Weinen.
Das war doch ein Traum, nicht wahr? Sie hatte schon mal Albträume gehabt, und ihre Eltern hatten ihr gesagt, dass sie Träumen keinen Glauben schenken solle. Sobald sie nach Hause zurückkehrte, könnte sie sicherlich Papa und Mama noch sehen!
Mianmian ballte ihre kleinen Fäuste und drehte ihren kleinen Körper vorsichtig zum Bettrand.
Unter der kleinen Decke kam eine weiße Porzellanvas ziehende vetzungen, genau wie im Traum.
Nachdem sie sich selbst getröstet hatte, dass sie ihre Mutter sehen könnte, sobald sie nach Hause zurückkehrte, saß das kleine Brötchen auf dem Bett und starrte ausdruckslos auf die Porzellanvas ziehende vetzungen.
Sobald sie wieder zu sich kam, begannen ihre Tränen wieder zu fließen.
Die alte Dame Su jedoch schlief sehr tief.
Nachdem sie das Perlenarmband mehrere Tage lang getragen hatte, hatte sie eine Reihe von Albträumen durchlebt, die bereits ihr Wohlbefinden beeinträchtigt hatten. Jetzt, mit der zusätzlichen Wirkung des Jade-Armbandes, das ihr Mianmian geschenkt hate, wollte sie sich um das kleine Mädchen kümmern, war aber unwissentlich selbst eingeschlafen.
Doch in ihrem Unterbewusstsein erinnerte sich die alte Dame Su daran, dass in dem Bett ein kleines Brötchen lag, das versorgt werden musste. Als sie ihre Hand ausstreckte und nichts fühlte, wachte sie plötzlich auf.
Das Zimmer war bereits schwach erhellt, und eine kleine Gestalt im Pyjama saß regungslos auf der Bettkante.
Die alte Dame Su schalt sich selbst, dass sie eingeschlafen war, und näherte sich vorsichtig Mianmian.
Als sie hinschaute, sah sie, dass das kleine Brötchen große rote Augen hatte, wie ein kleines Kaninchen.
Das Herz der alten Frau Su schmerzte. "Kleine Tante Mianmian, weine nicht, weine nicht."
Doch Mianmian vergoss weiterhin still ihre Tränen.
Die alte Dame Su wagte es nicht, das Thema von Mianmians Eltern direkt anzusprechen, also versetzte sie sich leise in Mianmians Lage.
Wenn sie die Kleine Tante wäre, würde sie sich wirklich wie das bemitleidenswerteste Kind der Welt fühlen.
So nahm die alte Dame Su das kleine Brötchen in den Arm, und sie begannen beide zu weinen.