Chereads / Die vier Wächter - Das Eisherz / Chapter 15 - Kapitel 14

Chapter 15 - Kapitel 14

"Hey Ihr da!", ruft uns einer der Typen hinterher. Ein Schock durchfährt meinen Körper. Ich kann fühlen, wie sich jeder Muskel in Raven neben mir anspannt. Wir bleiben kurz vor der Tür stehen. Nur noch wenige Schritte trennen uns vom Ausgang. Raven ballt seine Hände zu Fäuste. 

"Wenn ich sage Lauf, läufst du so schnell du kannst raus.", flüstert er mir zu und dreht sich in der nächsten Sekunde zu den vier Kerlen um. Auch ich drehe mich zur Hälfte um und luge unter meiner Kapuze hervor. Sie können mich nicht erkennen, hoffe ich zumindest. Mein Gesicht ist fast komplett verdeckt. Der Gang erstreckt sich düster vor uns. Zu der spärlichen Beleuchtung schränkt auch noch die neblige Luft unsere Sicht ein. Die Luft ist von Zigaretten Rauch durchtränkt. Aber es ist kein normaler Tabak, den ich rieche. Es riecht etwas süßlicher als der Zigarettengeschmack, den ich kenne. 

Dan lehnt an der Wand. Die Beine lässig überkreuzt. Seine muskulösen Arme sind vor seiner Brust verschränkt. Zwischen seinen Fingern ist eine Zigarette geklemmt. Genüsslich bläst er einen Schwall Rauch aus seiner Nase. Alle vier haben eine dunkelrote Uniform, also sind sie alle aus der gleichen Truppe.

"Ja, was ist?", fragt Raven und der genervte Ton in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Aus Angst sie könnten mich erkennen, halte ich meinen Kopf weiter gesenkt. Raven legt einen Arm um meine Taille und drückt mich fest an sich. Bei seiner Berührung setzt mein Herz einen Schlag aus. Hitze schießt in meine Wangen. Scheiße, jetzt ist nicht die richtige Zeit für solche Gefühle. 

"Wollt ihr auch mal ziehen? Ist das beste Blue, das man hier bekommen kann.", bietet uns ein großer schlaksiger Kerl an und kommt einige Schritte näher. Seine langen dunkelbraunen Haare hat er zu einem Zopf zusammengebunden. 

Blue ist eine Droge. Viel habe ich noch nicht von dieser Substanz mitbekommen, aber wirklich im Umlauf ist sie erst seit fünf Jahren. Also seit Beginn des Krieges. Soweit mir bekannt ist, wird sie aus einer blauen Mohnblume hergestellt. Diese wächst ausschließlich in Sumanien.

"Kein Interesse. Die Kleine und ich haben etwas vor. Da brauch ich einen klaren Kopf."

Seine tiefe Stimme klingt verführerisch und er drückt mich noch enger an sich. Die anderen lachen dreckig. Männer.

"Dürfen wir mitmachen?", schlägt einer von ihnen vor. Angewidert verziehe ich das Gesicht. Verkneife mir aber jedes Wort. Das Risiko, mich zu verraten, ist so hoch. Lieber halte ich meine Klappe.

"Nein. Ich teile nicht gerne.", brummt Raven und wendet sich wieder von ihnen ab und dem Ausgang zu.

Raven schiebt mich weiter Richtung Tür. Kurz atme ich erleichtert auf. Ich glaube, wir haben es geschafft. Die Rekruten haben mich nicht erkannt. 

"Wartet." Dan stößt sich von der Wand ab und drängt sich in den Vordergrund. Er schnippt seine Zigarette in unsere Richtung auf den Boden. 

"Wieso ist deine hübsche Begleitung so schüchtern?" 

Raven bleibt stehen, immer noch der Arm um mich geschlungen. 

"Vielleicht weil sie Typen wie euch nicht ausstehen kann.", sagt Raven wütend zwischen zusammen gebissenen Zähnen, dreht sich aber nicht ganz zu ihnen um.

"Ach du hältst dich also für was Besseres.", fragt der schlaksige Typ rechts neben Dan. Genervt seufzt Raven auf. 

"Nein, Niko. Sie ist etwas Besseres.", belehrt Dan den schlaksigen Typ, der offenbar Niko heißt. Ein breites Grinsen erscheint auf seinem Gesicht.

"Zeig doch uns doch mal dein hübsches Gesicht, Süße.", fordert er mich auf und er sieht mich auffordernd an.

Schützend stellt Raven sich vor mich. 

"Wir gehen jetzt.", macht er den Jungs vor uns klar. 

"Ich glaube nicht.", meint Dan grinsend. 

Alle vier kommen auf uns zu. Wobei zwei von ihnen betrunken schwanken. 

"Lauf!", zischt mir Raven zu und schubst mich Richtung Tür. 

Ich kann ihn doch jetzt hier nicht alleine lassen. Dennoch stolpere ich durch Ravens Schubs nach vorne und komme direkt vor der Tür wieder zum Stehen. Meine Hand umfasst den kalten Türknauf und ich ziehe daran. Ein Blick über die Schulter verrät mir, dass Raven direkt hinter mir ist. Gut, er bleibt nicht zurück. 

Dann drücke ich den Henkel nach unten und ziehe an der Tür. 

Aber nichts passiert. 

Ich drücke.

Wieder nichts.

Nochmal ziehe und drücke ich nur stärker. 

Bis ich begreife: Die Tür ist abgeschlossen.

Panisch sehe ich zu Raven, der wohl auch gerade kapiert hat, dass wir hier mit den Vieren eingeschlossen sind. Sein Gesichtsausdruck wechselt von schockiert zu wütend in nur einer Sekunde.

Mein Puls beschleunigt sich. Was sollen wir jetzt tun?

"Oh. Brauchst du vielleicht die hier?"

Dan hält einen klimpernden Schlüsselbund hoch.

Es ist kein Zufall, dass wir hier eingeschlossen wurden. Dan war das? Mit einem teuflischen Grinsen kommt Dan uns ein paar Schritte näher. Die anderen folgen ihm dicht. Zwei von ihnen schwanken unter Drogeneinfluss. Dan hingegen wirkt sehr nüchtern.

"Es hat seine Vorteile, wenn man der Sohn des Kommanders ist."

Kommander Iratus ist sein Vater. Das ist doch wohl ein schlechter Scherz. Raven greift nach meiner Hand und drückt sie einmal kurz, bevor er mich loslässt und sich komplett zu den Kerlen umdreht. Seine Körperhaltung verrät mir, dass er sich bereit macht. Für den Kampf. 

"Jungs kümmert euch um ihn.", Dan nickt in die Richtung von Raven. Die Drei kommen schnell auf uns zu und drängen Raven weg von mir in die Ecke. Versuche ihn festzuhalten. Was ihnen nicht wirklich gut gelingt. Gezwungenermaßen wende ich den Blick von ihm ab und schenke meine ganze Aufmerksamkeit Dan. 

Der langsam auf mich zukommt. 

"Endlich. Ich dachte, es wird einfacher dich zu kriegen.", säuselt er mir zu. 

Meine Finger finden den Griff des Dolches an meinem Bein und ziehen ihn aus seiner Halterung hervor. Angespannt gehe ich in Kampfhaltung. Wieder erscheint ein tödliches Grinsen auf seinem Gesicht. So als ob ein wildes hungriges Tier endlich seine Beute in die Enge getrieben hat. 

Nur noch wenige Schritte trennten uns. Er war riesig, seine Schultern breit wie eine Tür, die Muskeln zeichneten sich unter seiner Haut ab, wie Stahlseile. Je näher er kommt, umso kleiner fühle ich mich. Ich konnte den Hass in seinen Augen sehen, kalt und gnadenlos.

Mein Griff um den Dolch wurde fester. Er war mein einziger Vorteil. Schnell. Präzise. Ich durfte keinen Fehler machen. Erinnere dich an das Training heute.

In seinem Gesicht ist immer noch ein Grinsen. 

"Was habe ich dir getan? Du kennst mich doch nicht mal.", versuche ich auf ihn einzureden.

Dan antwortet mir nicht, keine Worte, nur pure Gewalt, als er plötzlich auf mich zustürmt. Seine große Faust kam auf mich zu. Ich wich aus, mein Körper bewegte sich reflexartig zur Seite. Ein Atemzug. Der Dolch in meiner Hand blitzte auf, und ich schnitt ihm über den Arm. Blut fließt aus der Wunde. Doch er reagierte nicht, als hätte er nichts gespürt. Seine Augen verengten sich nur. 

"Das wird nicht reichen, bonarische Hure."

Mein Herz schlug schneller. Er hob seinen muskulösen Arm und schlug zu. Ich sah die Faust kommen, duckte mich knapp darunter hindurch, sowie ich es zuvor mit Raven geübt habe. Der Wind strich kalt über mein Gesicht, als seine Faust die Luft zerschlug. Ich war schnell, aber er war stärker. Zu stark.

Ich denke an das Training heute mit Eldor. Auch ihn habe ich kurz überraschen können. Das muss ich jetzt bei Dan wiederholen. Aber wie?

Mit einem gezielten Tritt in seine Seite versuchte ich, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch es war, als würde ich gegen eine Mauer treten. Mein Dolch blitzte erneut auf, diesmal zielte ich auf seinen Bauch. Dan weicht aus, aber nicht schnell genug. Ein Treffer! Aber ich habe nur durch die Uniform geschnitten und Dan kaum getroffen. 

Seine Hand schoss vor wie eine Falle und packte mein Handgelenk. Ich konnte spüren, wie seine Fingernägel sich in meine Haut bohrten.

Panik stieg in mir auf. Ich versuchte, mich zu befreien, riss meinen Arm nach hinten, doch er war zu stark. Ehe ich mich versah, zog er mich zu sich heran und warf mich mit brutaler Kraft gegen die Eingangstür. Mein Rücken krachte gegen das alte Holz, und die Welt um mich begann zu verschwimmen. Der Schmerz pochte in meinen Wirbeln, doch ich konnte nicht aufgeben. Nicht jetzt.

Ich riskiere einen kurzen Blick zu Raven. Zwei der Leute halten seine Arme fest, während Nico gerade ausholt, um ihm einen Schlag in den Bauch zu verpassen. Es sieht nicht gut für ihn aus. Aber für mich genauso wenig. Angestrengt versuche ich wieder einen vernünftigen Gedanken zu fassen. 

Der Dolch – wo war der Dolch? Ich sah ihn, direkt neben mir, bläulich schimmernd auf dem Boden.

Mit einem keuchenden Atemzug riss ich mich zusammen und griff nach meiner Waffe und kam wieder auf die Füße. Meine Hände zitterten, doch ich hielt den Dolch fest. Ich musste ihn besiegen. Diesmal würde ich auf seinen Hals zielen – es war meine einzige Chance.

Doch er war schneller. Seine Hand ergriff meinen Arm in der Luft, bevor ich zuschlagen konnte. Sein Griff war wie Stahl, mein Handgelenk schrie vor Schmerz. Ich trat nach ihm, traf sein Knie mit aller Kraft, die ich noch hatte, doch er ließ nicht los. Mit einem einzigen Schwung schleuderte er mich wie eine Puppe seitlich an die Wand. Benommen sacke ich zu Boden. 

"Val!", höre ich Raven verzweifelt aus weiter Entfernung rufen. 

Der Dolch flog aus meiner Hand und landete klirrend in der Ferne. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber mein Kopf drehte sich. Die Welt um mich verschwamm. Er stand über mir, ein dunkler Schatten, der alles Licht verschluckte. Ich wollte kämpfen, doch mein Körper gehorchte mir nicht mehr.

„Das war's", sagte er mit einer Stimme, die vor Kälte triefte.

Ich höre nur noch ein dumpfes lautes Geräusch, bevor alles schwarz wurde.