Eldor weiß Bescheid. Der Prinz weiß das ich gelogen habe. Das Gefühl der Panik quetscht meine Kehle langsam zusammen. Er wird mich beim Kommandant Iratus melden, dieser wird mich in die Grube der Vergessenen sperren lassen. Oder noch schlimmer, er berichtet dem König davon. Alvar wird informiert werden und meine Schwester wird seinen Bruder Aegir heiraten müssen und ich werde für immer in seinem Schloss eingesperrt werden. Meine Gedanken springen so schnell umher, dass mir davon schwindelig wird.
"Du trainierst ab jetzt immer mit mir.", meint Eldor.
Er sieht ernst in mein Gesicht. Versucht meine Mimik zu deuten. Als ob ich ein offenes Buch für ihn wäre. Aber was genau will er in meinem Gesicht erkennen?
"Was… Warum?", stottere ich und starre ihn verwirrt an, versuche meine Panik zu verstecken, die in mir hochkriegt.
Weiß er es doch nicht? Habe ich gerade komplett überreagiert?
"Du brauchst extra Training und ich werde es dir geben.", meint er mit tiefer Stimme und einer seiner Mundwinkel wandert belustigt nach oben. Die Zweideutigkeit in seiner Aussage war beabsichtigt.
"Hier."
Der Prinz reicht mir einen seiner silbernen Dolche, die er immer dabei hat. Es ist einer der schönsten Dolche die ich je gesehen habe. Der Griff ist mit feinster Handwerkskunst mit kleinen Ruhnen und Schnörkel verziert. Kleine blaue Kristalle funkeln geheimnisvoll in der Sonne. Die Klinge ist zweischneidig geschärft, ohne das ich sie anfasse weis ich, dass man mit ihr durch fast alles mühelos schneiden kann. Zögerlich nehme ich den Dolch aus seiner großen Hand. Also hat er mich doch nicht durchschaut? Er glaubt mir meine Lüge von heute morgen.
"Dolche sind leichter. Schwerter sind dir zu schwer, du würdest Ewigkeiten brauchen, um so viele Muskeln aufzubauen, dass du richtig damit kämpfen kannst. Diese Zeit haben wir hier aber nicht. Das erste, was ich dir zeige, ist die richtige Körperhaltung."
Der Prinz wendet sich kurz von mir ab und sieht die anderen Teammitglieder auffordernd an.
"Und alle anderen können selbstständig weiter trainieren. Das hier ist keine Vorstellung."
Alle, die uns bis jetzt angegafft haben, räuspern sich unangenehm ertappt und wenden sich von uns ab.
Ron hat seinen typisch mürrisch wirkenden Gesichtsausdruck aufgesetzt und geht mit Ingrid ein Stück zur Seite, um mit ihr zu üben.
Die anderen drei schlendern unauffällig zu den Regalen, mit den Utensilien und versuchen beschäftigt zu wirken. Mir ist aber klar, dass sie uns unauffällige Blicke zuwerfen.
Ich stehe immer noch neben mir. Bin erleichtert über das Glück, dass Eldor mich nicht durchschaut hat und gleichzeitig angespannt, weil er vor mir steht und meinen ganzen Körper genau betrachtet. Von meinen Füßen bis zu meinem Scheitel, wandert sein heißer Blick nach oben, wobei er bei meinen Rundungen einen Tick zu lange verweilt. Bis er bei meinen Augen hängen bleibt.
Von der Müdigkeit, die er in der Vorlesung ausgestrahlt hat, ist keine Spur mehr zu sehen. Seine leuchtend blauen Augen wirken jetzt munter und bereit zum Kämpfen. Seine tiefschwarzen Haare sind nicht mehr so durcheinander wie vorhin. Die schwarze Uniform, die unsere Truppe bekommen hat, steht ihm wie angegossen.
Jede Truppe in der Kaserne hat eine andere Uniform Farbe bekommen. Unsere ist komplett schwarz, auch alle anderen Farbtöne sind aber sehr dunkel. Sie besteht aus einer Hose aus festem Baumwollstoff, der innen gegen die Kälte auch noch gefüttert ist, an den Beinen liegt diese eng an. Warme Winterstiefel, die bis über die Hälfte der Schienbeine gehen. Ein weites Baumwollhemd, über das man einen Ledermieder zieht, der an der Seite geschnürt wird. Außerdem sind daran Taschen für Waffen eingebaut, was für mich bis jetzt nicht nützlich war, weil ich keine habe. Für die rauen, kalten Wintertage haben wir eine mit Pelz gefütterte Jacke bekommen mit breiten Ärmeln, an dem ein Aufnäher eines Wolfkopfes und darunter eine große 18 stand, als Symbol für unsere Truppe. Insgesamt gibt es 20 Truppen und soweit ich mich erinnern kann, ist Raven in der Truppe 10. Als Truppenführer hat Eldor an seinem Jackenkragen links und rechts zwei Sterne angenäht bekommen.
Die Jacken haben wir aber hier in der Halle nicht an, sie würden uns beim Kämpfen nur stören.
Würde ich den Mörder vor mir nicht so sehr hassen, würde Eldor mich mit seiner Ausstrahlung und seinem perfekten Aussehen schwach werden lassen. Seine charmante Art, sein Lächeln. Und dann ist er auch noch ein Prinz. Ich wette, er kommt in jedes Höschen in das er will.
Von Eldors anfänglichen Belustigung und seinem flirtenden Lächeln ist keine Spur mehr zu sehen. Er sieht mich mit ernster Mine an. So wie ein Lehrer seinen Schüler ansieht, wenn er ihm eine Frage gestellt hat, die er nicht beantworten kann, obwohl er alles schon 10 Mal erklärt hat.
"Okay. Zuerst zur Beinarbeit, du musst breitbeiniger stehen. In etwa so." Der Prinz bringt seine Füße in die richtige Stellung und sieht mich abwartend an.
"Du hattest doch Kampfstunden in Bonaris. Daher müsste das alles kein Neuland für dich sein.", belehrt er mich.
"Ich weiß wie man richtig steht.", entgegne ich ihm genervt. Ich bin vielleicht nicht die beste hier, aber wie ein Kind braucht er mich auch nicht behandeln.
"Nagut, dann zeigs mir. Bereit, wenn du es bist, Prinzessin."
Sein trainierter Körper begibt sich in Kampfstellung.
"Wo ist deine Waffe?", frage ich und sehe nur seine blanken Hände an, die zu Fäusten geballt sind.
"Nett, dass du dich um mich sorgst, aber die einzige Waffe, die ich für dich brauche, sind meine Hände."
Ach so ist das also.
Ich bin für ihn nur das kleine harmlose Mädchen von früher.
Seine Arroganz macht mich wütend und ich greife ihn ohne weiter lange darüber nachzudenken, blind vor Zorn, an.
Ich werde ihm beweisen, dass ich nicht harmlos bin. Mein Griff um den Doch wird fester.
Meine Hand schießt nach vorne. Mein angepeiltes Ziel ist seine Schulter. Kurz bevor ich mein Ziel erreiche, weicht er schnell aus und mein Dolch trifft nur die Leere vor mir. Er schnalzt mit der Zunge.
"Ach komm schon, das kannst du doch besser." Er zieht mich doch extra auf. Will mich noch wütender machen. Und es funktioniert, ich kann nichts dagegen machen. Aber nur sein Anblick reicht. Seine siegessichere Körperhaltung. Seine Belustigung in seinem Gesicht. Der Hass in mir kriecht langsam an die Oberfläche, auch wenn ich versuche, ihn zu bändigen, gelingt es mir nicht wirklich, mich zurückzuhalten, einen klaren Kopf zu bewahren.
Stürmisch drehe ich mich zu ihm um und wage erneut einen Angriff. Dieses Mal ziele ich auf seine Brust. Wie gern würde ich diesem Mistkerl einfach diesen Dolch ins Herz bohren.
Die oberste ausführende Hand des Königs. Er würde wirklich jeden Befehl seines Vaters befolgen. Egal wie grausam und brutal sie auch sein mag.
Wieder und wieder greife ich an und treffe nur ins Leere.
Als ob ich ein kleines Kind wäre, das im Wutrausch ziellos um sich schlägt.
"Ich hasse dich." sage ich ihm mit zusammen gebissenen Zähnen.
"Erzähl mir etwas Neues, Prinzessin."
Bei meinem nächsten Angriff schlägt er mir gezielt gegen meine Hand, sodass ich den Griff um den Dolch verliere und er mir aus der Hand fliegt. Mit einem klirrenden Geräusch fällt er zu Boden.
Es bleibt mir keine Zeit, auch nur daran zu denken, ihn aufzuheben, denn Eldor holt bereits mit seiner Faust aus, um mir einem Schlag zu verpassen. Geschickt weiche ich seinen ersten Schlägen aus. Der Prinz drängt mich immer weiter zurück. Gerade weiche ich einem seiner Schläge aus, als er aus dem Nichts mit seinem Bein meine Füße unter mir wegzieht. Hart lande ich auf dem hölzernen Trainingsboden. Im nächsten Augenblick ist er auch schon über mir und nagelt mich auf den Boden fest. Ich suche nach einer Möglichkeit, mich aus dieser Situation wieder zu befreien. In meinem Augenwinkel blitzt etwas auf. Der Dolch liegt wenige Zentimeter neben meinem Kopf. Eldor hat bereits eines meiner Handgelenke zu fassen bekommen.Ich greife mit meiner noch freien Hand nach dem Dolch. Blitzschnell halte ich das scharfe Messer an seine Kehle.
Überrascht sieht er mich an.
Meine Atmung geht stoßweise. Mit zusammen gekniffenen Augen sehe ich ihn an.
"Gib auf. Ich hab gewonnen.", bringe ich unter schweren Atemzügen hervor. Ich drücke die Klinge fester an seine Kehle. Eldor schluckt.
"Sicher?", fragt er und im nächsten Augenblick liegt die Waffe nicht mehr in meiner Hand.
Er schafft es mir, mit einer schnellen geschickten Bewegung den Dolch aus der Hand zu drehen. Wirft ihn zur Seite. Lässt mich los und steht auf.
Seine Hand streckt er aus, damit ich sie ergreifen kann, um aufzustehen. Gekonnt ignoriere ich diese und stehe ohne seine Hilfe auf. Als er bemerkte, dass ich seine Hilfe nicht annehmen werde, lässt er seine Hand langsam sinken und verschränkt seine Arme wieder vor der Brust.
"Nicht schlecht. Du hattest mich fast.", meint er, da ist wieder sein arrogantes Grinsen im Gesicht, das ich so sehr hasse.
"Das Training ist für dich heute beendet. Den Dolch kannst du behalten." Er nickt in die Richtung in der die Silberne glänzende Klinge am Rand des Kampffeldes liegt. Ungläubig sehe ich den Dolch an. Er will mir seinen Königlichen Dolch schenken. Gerade will ich ihn fragen, warum, aber als ich wieder in seine Richtung sehe, ist er schon bei Ron und Ingrid.
Ich habe ihn tatsächlich wirklich kurz überraschen können, den Elitekämpfer des Königs. Und in dem Moment keimt die Hoffnung in mir auf. Ich kann es überleben. Ich muss nur mehr trainieren. Und das werde ich.