Jing Yao machte sich keine Sorgen. Immerhin kannte sie Liang Xuns Geheimnis.
"Keine Sorge, Liang Xun ist absolut vertrauenswürdig."
Zhu Ling sah ihn misstrauisch an. "Woher weißt du das so genau?"
Jing Yao steckte in einem Dilemma, denn die sexuelle Orientierung war ein Geheimnis, das sie nicht leichtfertig weitergeben konnte.
"Warum? Verheimlichst du es noch immer vor mir?" fragte Zhu Ling fordernd. "Wenn du es nicht klarstellst, werde ich niemals zustimmen, dass du mit ihm zusammenwohnst."
Jing Yao zögerte kurz und betonte dann: "Ich werde es dir sagen, aber du darfst es nicht weitererzählen."
Zhu Ling nickte. "Natürlich, vertraust du mir etwa nicht?"
Jing Yao fixierte sie. "Schwöre, dass du nichts verräts."
Zhu Ling runzelte die Stirn. "Warum die ganze Umständlichkeit? Na gut, ich schwöre, wenn ich diese Angelegenheit ausplaudere, wird mein Bruder nie eine Freundin finden."
Innerlich dachte Zhu Ling beim Schwören: Eide nehme ich sowieso nicht ernst.
Doch Jing Yao wusste, wie wichtig Zhu Ling ihr Bruder Zhu Sui war und vertraute ihr. Sie flüsterte Zhu Ling ins Ohr, was sie für Liang Xuns Geheimnis hielt.
Zuerst war Zhu Ling schockiert, dann zweifelhaft. "Asexuell? Bist du dir sicher?"
Jing Yao nickte eifrig. "Ja, er hat es mir selbst gesagt."
Zhu Ling schnaubte und schmiedete bereits einen Racheplan.
Sie hatte gedacht, Liang Xun wäre ein guter Bruder für seinen eigenen Bruder und hatte ihm Jing Yao anvertraut. Doch Liang Xun hatte sie anscheinend getäuscht. Sie wollte Vergeltung üben.
Nach dem Mittagessen erinnerte sich Jing Yao an Liang Xuns Worte, bevor er gegangen war, und zückte ihr Handy, um ihm eine Nachricht zu schicken.
Zhu Ling, die neben ihr saß, warf einen Blick auf Liang Xun auf dem Bildschirm und runzelte die Stirn. "Warum bist du so folgsam? Er bat dich, ihm eine Nachricht zu schicken, und du tust es auch wirklich?"
Jing Yao hielt inne. Bei genauer Überlegung schien das, was Zhu Ling sagte, durchaus Sinn zu ergeben. Obwohl Liang Xun dies tat, um die Sicherheit des Kindes in ihrem Bauch zu gewährleisten, könnte das bedeuten, dass sie in der Zukunft ihre Freiheit verlieren würde, wenn sie auf alles hörte, was er sagte?
"Komm, wir gehen. Ich nehme dich mit zum Einkaufen. Du bist schon über einen Monat zuhause und hast kaum Bewegung."
Jing Yao nickte. Abgesehen von gelegentlichen Einkäufen war sie tatsächlich den ganzen letzten Monat zu Hause geblieben.Liang Xun hatte bereits veranlasst, dass das Essen in dem Restaurant auf seine Rechnung gebucht wird. Nachdem die beiden fertig gegessen hatten, nahmen Zhu Ling und Jing Yao ein Taxi direkt zum Einkaufszentrum.
Im Auto schickte Jing Yao heimlich eine Nachricht an Liang Xun, um ihm mitzuteilen, dass sie mit Zhu Ling shoppen war und er kein Auto schicken solle.
Liang Xun dachte an die Menschenmassen im Einkaufszentrum und das dortige Chaos. Er antwortete sofort: [Es sind zu viele Leute da. Was möchtest du kaufen? Ich schicke jemanden, der es für dich besorgt.]
Jing Yao erwiderte: [Ich will nichts kaufen, ich möchte einfach nur shoppen gehen.]
Liang Xun war sprachlos.
In diesem Moment kam eine weibliche Aufsicht zu ihm, die er schnell instruierte. Anschließend fragte Liang Xun: "Was kauft ihr Frauen normalerweise? Kleidung? Kosmetik?"
Die Aufsichtsperson war erst überrascht, erholte sich aber schnell und antwortete lächelnd: "Präsident Liang, beides ist möglich. Aber eigentlich gehen wir Frauen nicht ins Einkaufszentrum, um etwas zu kaufen – wir gehen einfach nur shoppen."
Liang Xun nickte, obwohl er dieses Verhalten nicht nachvollziehen konnte, und sagte nichts weiter.
Nachdem die Aufsichtsfrau gegangen war, holte er sein Handy heraus und schickte Jing Yao eine Nachricht: [Pass auf dich auf und geh nach Hause, wenn du müde bist.]
Jing Yao, die sich in letzter Zeit oft übel fühlte, wagte es nicht, im Auto auf ihr Handy zu schauen, und packte es weg, nachdem sie Liang Xun informiert hatte.
Es war das erste Mal für Liang Xun, dass er auf eine Antwort wartete, und er musste alle paar Sekunden auf sein Handy blicken.
Fünf Minuten später hielt er es nicht mehr aus und schickte eine weitere Nachricht an Jing Yao: [Was möchtest du heute Abend essen? Ich kaufe ein und koche für dich.]
Jing Yao lehnte müde im Auto und obwohl sie das Signal für die Nachricht hörte, schaute sie nicht nach. Sie wollte es erst nach dem Aussteigen tun.
Zu dieser Zeit kam es zu einem Stau. Der Wagen hielt an und fuhr wieder an. Der Chauffeur betätigte ständig die Bremse und dann das Gaspedal. Jing Yao wurde schlecht.
Als der Wagen schließlich am Ziel anhielt, öffnete Jing Yao sofort die Autotür und stürzte hinaus. Sie fand einen Mülleimer und übergab sich.
Auch Zhu Ling sah nicht gut aus. Bei der ruckartigen Fahrweise hatte sie beinahe ebenfalls Erbrechen müssen, ganz zu schweigen von Jing Yao.
Sie bereute es nun, vorgeschlagen zu haben, nun ins Einkaufszentrum zu fahren. Trotzdem konnte sie es nicht übers Herz bringen, Jing Yao weiter zum Shoppen zu ziehen, auch wenn sie es gekonnt hätte.
Zhu Ling eilte zum Supermarkt und kaufte schnell zwei Flaschen Wasser. Sie öffnete eine davon und spülte Jing Yaos Mund aus. Erst als sich Jing Yao etwas erholt hatte, zog sie sie zu einem Teehaus und setzten sich.
Im Teehaus angekommen, bestellte Zhu Ling einen eisgekühlten Milchtee und einen heißen Milchtee für Jing Yao. Dann sagte sie: "Setz dich erstmal und ruf Liang Xun an, damit er dich abholt."