Als üblich wusch sich Su Wan, pflegte ihre Haut und richtete ihr Haar. Dann stand sie auf und machte sich bereit, nach unten zum Frühstück zu gehen. Als sie im Spiegel ihr errötetes Gesicht sah, kräuselten sich ihre Lippen leicht und ihre Augen schienen wie Halbmonde – sie wirkte dadurch ein kleines bisschen unschuldiger.
Die Ergebnisse des Schwangerschaftstests faltete sie sorgfältig zusammen und steckte sie in ihre Tasche. Sie dachte, dass Jing Chen sich freuen würde, wenn sie es ihm erzählte.
Aus Su Wans Sicht war jeder Tag innerhalb der drei Jahre, auf die sie sich geeinigt hatten, eine Variable. Jing Chen hatte sie so gut behandelt...
"Ich habe etwas Milch für dich erwärmt. Trink sie, solange sie noch heiß ist", sagte Jing Chen und ging in die Küche, als sie hinunterkam. Er stellte ihr die dampfende Milch hin, aber seine eigene Milch war weder warm noch kalt – sie war überhaupt nicht heiß. Offensichtlich hatte Jing Chen die Milch extra für sie erwärmt. Su Wans Herz wurde wärmer.
"Jing Chen, ich habe etwas... Was soll das bedeuten?" Su Wans Lächeln verschwand sofort. Sie sah auf die Scheidungspapiere, die Jing Chen ihr hingehalten hatte. Ihre Stimme wurde unsicher. Der Schock und der drastische Wandel ließen sie die Kontrolle verlieren.
Sie geriet in Panik und versuchte schnell, ihren Tonfall anzupassen, um Ruhe zu bewahren. "Sind es nicht drei Jahre? Wir sind doch erst seit zwei Jahren zusammen, oder?" Heute war ihr zweiter Hochzeitstag. Sie hatte sich nie geschminkt, aber heute hatte sie Make-up aufgelegt und sich besonders bemüht.
Jing Chen betrachtete sie mit einem aussagekräftigen Blick und verbarg seine Absicht nicht. "Warum? Möchtest du deine Meinung ändern? War ich zu gut zu dir, und nun kannst du dich nicht mit der Wirklichkeit abfinden?" Su Wans Herz setzte einen Schlag aus. Was meinte er damit?
In den zwei Jahren ihrer Ehe hatte er nie einmal die Geduld mit ihr verloren!
In Panik platzte Su Wan heraus: "Als wir beide zusammen waren, warst du so fürsorglich und besorgt um mich. Ich dachte..."
Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz schneller schlug, und einen Moment lang wagte sie es nicht, Jing Chens Blick standzuhalten. Wenn er keine Gefühle für sie hatte, warum kümmerte er sich dann so sorgfältig um sie?
Unerwartet lachte Jing Chen und schüttelte hilflos den Kopf. "Ich dachte, du wärst nicht dumm. Du weißt sehr gut, dass drei Jahre eine sehr lange Zeit sind. Ich muss mich also zwingen, dich zu mögen. Es ist nicht schwer, sich das vorzustellen, das sind nur Kleinigkeiten. Wenn ich das gut mache, erspare ich mir eine Menge Ärger."
Jing Chen nahm sein Glas Milch und trank es in einem Zug aus. "Ich werde also vorerst nicht an dich denken. Du kannst dich selbst daran gewöhnen. Unterschreib es, nachdem du gegessen hast."
Damit war er weg.
Su Wan fühlte sich, als hätte sie ein Blitz getroffen. Sich zwingen? Es sich vorstellen? Nur Kleinigkeiten...
Besonders die kalten und steifen Worte zum Schluss. Hatte er Angst, dass sie es nicht unterschreiben würde?
Außerdem!
Er hatte ihr keinen Grund genannt. Er hatte sie einfach informiert!
Die Worte aus der Vergangenheit schwirrtен ihr wie ein Sturm durch den Kopf.
Vor zwei Jahren hatte Jing Chen zu ihr gesagt: "Ich kann dich heiraten, aber ich liebe bereits jemand anderen. Unsere Ehe wird drei Jahre dauern. Nach drei Jahren wirst du es sein, die dem Großvater die Scheidung vorschlägt."
Damals mochte Su Wan ihn schon seit acht Jahren!
Acht ganze Jahre.
Sie dachte, solange sie drei Jahre lang an seiner Seite sein könnte, wäre es ihr gleich, auch wenn es nur eine äußerliche Beziehung wäre. Sie würde ihm schließlich offen gegenübertreten und ihn selbstbewusst ansehen können. Allein der Gedanke machte sie überglücklich.
Aber sie hatte nicht erwartet, dass Jing Chen sie so gut behandeln würde!
Ganz gleich, ob vor anderen oder im Verborgenen, er war ein perfekter Ehemann. Er erinnerte sich an ihre Jahrestage, ihren Geburtstag und bereitete zu jedem Anlass Geschenke für sie vor. Er nahm sogar auf, wie er die Geschenke auswählte.
Er schnitt die Aufnahmen zu einem Vlog zusammen und gab ihm zusammen mit den Geschenken an sie.
Menschen behaupten, materielle Dinge und wahre Gefühle könnten nicht nebeneinander bestehen, aber sie wussten nicht, dass Jing Chen diese sogenannten „Kleinigkeiten" in einem solchen Ausmaß vollbrachte, dass niemand etwas an ihm aussetzen konnte.
Er behandelte sie wie seinen kostbarsten Schatz.
Andere waren neidisch und sagten, Jing Chen sei schon immer tadellos gewesen und ohne schlechte Angewohnheiten. Sie beneideten sie und waren eifersüchtig auf sie. Nur sie selbst erinnerte sich jeden Tag daran, dass alles nur Show war.
Verwirrt stellte sie Fragen über das, was sie im Herzen hatte. Jing Chen nannte sie nur ein kleines, närrisches Mädchen, und die Zuneigung in seinem Ton ertränkte sie beinahe.
Su Wan grübelte, suchte verzweifelt nach kleinen Details, die sie übersehen hatte, um die Gründe für Jing Chens Worte zu finden.
Doch fand sie nichts.
Nichts...
Nur einer Sache konnte sie sich sicher sein.
Jing Chen hatte nie erwähnt, dass seine Zuneigung und Fürsorge während dieser zwei Jahre nur gespielt waren.
Nun, da es so weit gekommen war und das Ende bevorstand, erzählte er ihr, dass alles eine Lüge gewesen sei und sie ein Narr wäre, wenn sie es glaubte - sie sollte schließlich eine kluge Frau sein.
Su Wan atmete tief durch und klammerte sich fester an das Papier in ihrer Tasche. Die dampfend heiße Milch schmeckte plötzlich kalt.