Bevor der Kampf richtig losging, schritt der Vizemeister der Kopfgeldjägergilde von Mondwasserstadt ein und hielt sie auf. Auf seinen Rat hin einigten sich beide Parteien darauf, den Kampf beizulegen und somit einen drohenden Konflikt zu verhindern.
Schade, dachte Angor bei sich.
Der Händler aus Heylan setzte sich und erklärte mit kühler Stimme: "Wie ich bereits sagte, konnte der Vorfall in Heylan nicht von den Glänzenden Goldspinkrittern verursacht worden sein, denn es war von Anfang an keine menschliche Tat."
Dann schwieg er.
Keine menschliche Tat? Also Geister? Niemand wusste, was er meinte, und niemand drängte weiter nach.
Angor war genauso neugierig wie die anderen. Er stand jedoch kurz davor, die Alte Erde zu verlassen, und bis er vom Fey-Kontinent zurückkehrte, könnte der Krieg schon lange vorbei sein. Also verwarf Angor diesen Gedankengang und aß sein Fleisch auf, bevor er die Gilde verließ.
Dank des Seehandels war die Mondwasserstadt nur der Hauptstadt an Wohlstand nachgestellt. Angor war mittlerweile 14 Jahre alt, und die größte Stadt, die er bislang gesehen hatte, war Waterford, die Verwaltungsstadt von Grue Town. Doch die Mondwasserstadt war dreimal so groß wie Waterford, ganz zu schweigen von der ganzen Infrastruktur.
Alles hier brachte Angor zum Staunen. Vom Balkon aus hatte er nur Prunk und Reichtum gesehen. Jetzt, wo er die Stadt aus der Nähe betrachtete, erkannte er, dass auch überall Feinheit und Exquisität zu finden waren. Gott wusste, wie viele Ebenen höher die Stadt im Vergleich zu Grue Town lag, das nur aus Steinhäusern bestand.
Angor schlenderte langsam herum und beobachtete die Menschen, während er an die Geschichten und Romane dachte, die sein Lehrer ihm beigebracht hatte. Er lernte sogar Neues, indem er sie mit der Realität verknüpfte.
Jon hatte ihm geraten, "im Gehen zu lernen". Angor hatte das zuvor nicht verstanden, aber er begann es zu erfassen, als er begann, außerhalb des Schutzes seiner Familie zu reisen und das, was er sah, mit dem, was er gelernt hatte, zu kombinieren.
Bald erreichte er sein Ziel, die Saunbana-Händlerstraße.
Dies war der Ort, von dem Aleen vor einigen Tagen gesprochen hatte. Er war bekannt dafür, dass hier nur Güter verkauft wurden, die über das Meer aus anderen Ländern transportiert wurden. Die meisten davon fand man nicht im Goldspink-Kaiserreich.
Aleen hatte neulich allerlei Sachen gekauft, darunter mehrere Bücher unbekannten Ursprungs mit Titeln wie "Schminken in Palästen", "Töne", "Fächersprache" usw. Die Titel ergaben nicht viel Sinn, waren aber eigentlich nur Anleitungen zu Schminktechniken und der Kombination von Kleidungsfarben für die Damenwelt.
Angor warf nur einen Blick auf die Bücher, während Aleen sie sehr genoss. Sie befolgte sogar die Anweisungen und kaufte einige Schminkartikel, um ihr Gesicht damit zu schmücken. Eine so junge Bewunderin der Schönheit!
Aleens Verhalten veranlasste Angor dazu, auf der Straße nach Büchern zu suchen. Er plante, seinem Lehrer einige geeignete und gehaltvolle historische Materialien zu schicken, falls er welche finden würde.
Das Erste, was ihn auf der Saunbana-Händlerstraße begrüßte, war eine Statue in der Mitte eines Brunnens. Es war ein Herr in formellem Gewand. Dies war Saunbana Princip, eine große Persönlichkeit des Reiches, die vor 200 Jahren den Seehandel einleitete. Die Namensgebung der Straße nach diesem Mann zeigte, wie viel Respekt die Leute ihm entgegenbrachten.
An beiden Seiten der Straße befanden sich niedrige, aber weiträumige Gebäude, die mit bunten Ziegeln bebaut waren. Jedes Geschäft gab sich größte Mühe, attraktiv zu wirken. Auch die Schilder und Werbesprüche waren auffällig. Vor einem Süßwarengeschäft sah Angor einen Karnevalsclown, der Balltricks vorführte und die Menge ab und zu zum Staunen brachte. Einige Kinder zerrten an den Armen ihrer Eltern und weinten, wenn sie diese nicht dazu überreden konnten, Süßigkeiten zu kaufen.
Die ganze Straße war überaus lebhaft. Angor gab sein Bestes, um das Bild eines Adligen zu wahren, doch er war schließlich noch jung und konnte die Neugier in seinen leuchtenden Augen nicht verbergen – überall mu musste er hinschauen.Am Ende gab Angor seine ersten Münzen nicht in einem Buchladen, sondern in einem Milchgeschäft aus, erkennbar an dem Kuhplüsch vor der Tür.
Er trank eine ganze Schale süße Milch und ließ, ungesehen von anderen, ein zufriedenes Lächeln aufblitzen.
Sobald er das Geschäft verlassen hatte, kehrte er wieder zu seinem gewöhnlichen Gesichtsausdruck zurück. Als er eine zusätzliche Packung süße Milch zum Mitnehmen nahm, tat er sogar so, als sei er reifer. "Ach, meine Schwester steht total auf starke, süße Milch. Entschuldigen Sie die Umstände, mein Herr", spielte Angor vor.
Nachdem er sich die Lippen sauber gewischt hatte, ging Angor zufrieden seiner Wege.
Es dauerte nicht lange, da fand er einen Buchladen, auf dessen Tür das Bild von Thoth, dem altertümlichen Gott des Wissens, abgebildet war. Im Laden wurden hauptsächlich Bücher aus Zellstoffpapier verkauft. Ledereinbände waren eine Seltenheit.
Angor griff nach einigen Büchern, um sie zu lesen. Der Buchhändler war im ersten Impuls geneigt, ihn anzuschreien, doch als er Angors Äußeres und seine sorgfältigen Leseetiketten bemerkte, schluckte er seine Schimpfworte hinunter. Kunden, die seine Bücher nur flüchtig durchblätterten, waren ihm ein Gräuel, einen höflichen jungen Adligen würde er jedoch nicht abweisen.
Die Geschichten waren gut. Er konnte sogar einige tiefergehende Bedeutungen aus ihnen herauslesen. Der Ausflug hatte sich gelohnt.
Angor war nie geizig, wenn es um Bücher ging. Bald schon trug er mehrere mit Büchern gefüllte Kraftpapiertüten, welche der Laden bereitgestellt hatte.
"Hey, junger Herr, Sie scheinen sich wirklich für vielfältige Bücher zu interessieren. Ich habe eine Sammlung beliebter Bände. Würden Sie ein wenig warten, um sie anzusehen?" Der Ladenbesitzer war überglücklich, als er sah, wie viele Bücher Angor erstand. Solche Kunden waren heutzutage selten. Er bemerkte auch, dass Angor Bücher aller Art kaufte, was ihn zu neuen Ideen inspirierte.
Der Ladenbesitzer hatte viele Bücher von Seeleuten aus fremden Flotten gesammelt – die meisten waren alt und abgenutzt, manche sogar in einer unbekannten Sprache verfasst – die nie verkauft wurden und nur Staub im Lager ansammelten. Doch nun war ihm ein großzügiger Käufer begegnet und diese Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen.
"Sammlungen?" Angors Augen funkelten. Ohne weiter nachzudenken, stimmte er zu.
Schnell führte der Ladenbesitzer Angor in ein Gastraum im Obergeschoss und reichte ihm ein Glas Fruchtwein, bevor er sich auf den Weg zum Lager machte.
Nach einer Weile kehrte der Besitzer mit zwei Gehilfen und drei großen Holzkisten zurück, aus denen ein moderiger Geruch strömte.
Angor verzog das Gesicht. Sie mussten an einem extrem feuchten Ort aufbewahrt worden sein.
"Ups... Die Händler aus dem Wüstenreich kommen schon lange nicht mehr, weshalb uns das Trockenpulver ausgegangen ist und die Mondwasserstadt ist alles andere als trocken. Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe eine schützende Innenverpackung für die Bücher angefertigt, da kommt keine Feuchtigkeit rein", erklärte der Ladenbesitzer und schlug sich auf die Brust.
Angor hinterfragte es nicht weiter. Er nickte nur und bat darum, die Kisten zu öffnen.
Noch bevor er den Inhalt begutachten konnte, ertönte ein lautes, ohrenbetäubendes Signalhorn vom Himmel über der Mondwasserstadt.