Die Nacht hatte sich tief über den uralten Wald gelegt, und der Mond, blass und beinahe scheu hinter dichten Wolken verborgen, ließ nur fahle Lichtstrahlen durch das Blätterdach dringen. Wie Schatten bewegten sich die Ätherklingen durch die Bäume. Das Knacken des Unterholzes unter ihren Stiefeln war kaum zu hören, ihre Bewegungen geschmeidig, beinahe lautlos. Jeder Schritt, jede Geste war präzise und von jahrelangem Training geprägt. Ihr Auftrag: Hinweise auf das grausame Massaker, das sich hier vor Kurzem ereignet hatte, zu finden.
An der Spitze der Truppe schlich Leutnant Miyako Himura voran, ihre Augen aufmerksam auf die Umgebung gerichtet. Trotz ihrer kleinen Statur und der kurzen, roten Haare, die im Mondlicht leicht schimmerten, strahlte sie eine Aura der tödlichen Ruhe aus. Ihre blauen Augen waren unentwegt auf der Suche nach den kleinsten Unstimmigkeiten. Sie war nicht nur die unnahbare Schwertkämpferin der Einheit, sondern auch die unangefochtene Meisterin im Umgang mit ihren beiden Dolchen, die leise in ihren Händen ruhten. Miyako, stets verschlossen und in sich gekehrt, übernahm die Rolle der Aufklärerin – eine Position, die wie für sie geschaffen war.
Plötzlich hielt sie inne. Ihre Augen hatten etwas erspäht, das in der Dunkelheit leicht übersehen worden wäre. Am Stamm eines alten, knorrigen Baumes, dessen Äste wie Arme eines Gespenstes in den Nachthimmel ragten, hing ein unscheinbarer Zettel. Er wehte leicht im Wind, als würde er die Ankunft der Ätherklingen erahnen. Miyako zog einen Dolch und schnitt den Zettel ab. Mit einer fließenden Bewegung sicherte sie das Papier und untersuchte es flüchtig, bevor sie wortlos den Rückweg antrat, um den Fund zu überbringen.
In einer kleinen Lichtung wartete Hauptmann Renzo Arisaka geduldig. Die Bäume um ihn herum warfen Schatten auf sein markantes Gesicht, das von unzähligen Jahren im Dienst des Militärs gezeichnet war. Sein Auftreten war aufrecht, sein stählerner Wille und seine tiefe Loyalität gegenüber seinen Kameraden gaben ihm eine unerschütterliche Präsenz. Doch als Miyako ihm den Zettel überreichte, bemerkte man einen Hauch von Unbehagen in seinem Blick. Er entfaltete das Papier langsam, und seine Augen weiteten sich leicht, als er die Worte las. Es war eine Botschaft, so kryptisch wie beunruhigend – ein Hinweis, der nicht nur das Schicksal der bevorstehenden Prüfung, sondern auch das der Schüler bestimmen könnte.
Der Wind strich sanft durch das stille Gartengelände der Akademie, wo Miyu und Ryota noch immer auf der steinernen Bank saßen. Miyus Kopf ruhte schwer auf Ryotas Schulter, ihre Tränen hatten endlich nachgelassen. Der Schmerz, den sie so lange in sich eingeschlossen hatte, war endlich über ihre Lippen geflossen. Ryota hielt sie fest, ein schützender Arm um ihre Schultern, und ließ ihr den Raum, den sie brauchte. Die Stille zwischen ihnen war nicht drückend, sondern beruhigend, als wäre die Natur selbst in diesem Moment Zeuge ihres Leids.
Schließlich hob Ryota seinen Blick zum Nachthimmel, bevor er Miyu ansah.
„Miyu",
begann er, seine Stimme fest, doch von einer Sanftheit getragen, die Miyu direkt ins Herz traf,
„ich verspreche dir, von nun an an deiner Seite zu bleiben. Ich werde dich beschützen – so, wie dein Bruder es getan hätte. Und ich werde dir helfen, mit deiner Vergangenheit abzuschließen, damit du eines Tages ohne diese Last in die Zukunft blicken kannst."
Miyu hob langsam den Kopf und sah Ryota mit glasigen Augen an. Der Schmerz in ihrem Herzen schien für einen Moment leichter, als sie die Aufrichtigkeit in seinem Blick spürte.
„Danke, Ryota",
flüsterte sie. Ihre Stimme war brüchig, aber in ihrem Ton lag etwas wie Hoffnung.
„Vielleicht… kann ich eines Tages wirklich wieder lächeln. Ein echtes Lächeln, ohne… die Maske."
Ryota lächelte sanft, ein Lächeln, das nicht nur Trost, sondern auch Zuversicht vermittelte.
„Eines Tages wirst du das. Und bis dahin werde ich an deiner Seite bleiben."
Nach einer Weile, in der Ryota sie mit beruhigenden Worten tröstete, entschieden sie sich, zur Wohngemeinschaft zurückzukehren. Der Weg dorthin war ruhig, doch die Stille war jetzt friedlich, getragen von gegenseitigem Verständnis und einem neu entstandenen Band.
Als sie die Gemeinschaftswohnung betraten, warteten die anderen bereits im Wohnzimmer auf sie. Yatsuki, Haruka, Kazuya und Sakura saßen zusammen, ihre Gesichter angespannt. Doch als Miyu und Ryota hereinkamen, löste sich die Spannung ein wenig. Keiner sprach ein Wort, aber alle wussten, dass etwas Bedeutendes geschehen war. Miyus zerbrechliches Lächeln und Ryotas behutsame Schritte erzählten genug. Yatsuki schenkte Miyu ein aufmunterndes Nicken, während Haruka versuchte, ihr mit einem sanften Lächeln Mut zu machen. Sakura und Kazuya hielten sich etwas im Hintergrund, aber ihre Blicke verrieten stilles Verständnis.
Zur gleichen Zeit, in einem anderen Teil der Akademie, schritt Renji durch die schattigen Korridore. Die Dunkelheit umarmte ihn wie einen alten Freund, während er seinen Weg zu Kaito fand. Sein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, spiegelte die Kälte in seinem Herzen wider. Er hatte einen Plan – einen Plan, der alles zerstören sollte, was Miyu lieb war.
Im Zimmer angekommen, fand er Kaito nachdenklich vor, die Hände locker in den Taschen. Der ernste Schüler beachtete Renji kaum, als dieser eintrat, doch Renji ließ sich nicht beirren. Mit seiner samtigen Stimme begann er, seinen Vorschlag zu unterbreiten.
„Kaito",
sagte er,
„ich denke, wir haben mehr gemeinsam, als du vielleicht annimmst. Wir könnten eine Allianz schmieden – du und ich. Besonders, wenn es um… gewisse Personen geht. Miyu, Yatsuki, Kazuya..."
Kaito schwieg eine Weile, seine Augen verengten sich, als er Renjis Worte auf sich wirken ließ. Die Erinnerung an das Duell, bei dem er Kazuya nur durch die Erschöpfung nach dessen Awakening besiegen konnte, kochte in ihm hoch. Langsam nickte er, sein Gesicht ausdruckslos.
„Ich bin dabei",
murmelte er schließlich.
Als Renji den Raum verließ, flüsterte er kaum hörbar in die Dunkelheit.
„Dieses Mal werde ich alles zerstören, was Miyu lieb und teuer ist."
Kaito lächelte kalt, als er sich an seine Untergebenen wandte.
„Bereitet alles für die Prüfung vor",
sagte er.
„Wir werden Renji benutzen, um gleich zwei Ziele zu erreichen."
Seine Mitbewohner nickten synchron und antworteten im Chor.
„Jawohl, mein Herr!"
Weitere Tage sind vergangen. Der Abend vor der nächsten Pflichtstunde war still und melancholisch. Yatsuki und Haruka saßen alleine auf der Wiese, die Stirnen in Gedanken versunken. Haruka spürte, wie die Enttäuschung in ihr aufstieg, als sie sprach.
„Es tut mir so leid, Yatsuki. Ich… ich habe es nicht geschafft, dir zu helfen, obwohl ich es versprochen habe."
Yatsuki lächelte sanft, doch seine Augen verrieten eine tiefe Traurigkeit.
„Es ist nicht deine Schuld. Wir haben alles versucht. Vielleicht habe ich einfach nicht das Zeug dazu, es zu den Ätherklingen zu schaffen."
„Das stimmt nicht!"
Harukas Stimme brach die Stille, ihre Augen funkelten vor Überzeugung.
„Du bist viel besser als ich. Deine Schwerttechniken, deine Mana Aura – sie sind meisterhaft. Es ist einfach nicht fair! Nur weil etwas deinen Manafluss blockiert, heißt das nicht, dass du gehen musst und ich nicht!"
"Ich werde diese Zeit mit euch nie vergessen. Allein die Tatsache, dass ihr jemanden wie mich, der aus den Slums kommt, ohne Vorurteile aufgenommen habt, bedeutet mir mehr, als ich in Worte fassen kann."
Yatsuki lächelte leicht, während er weitersprach.
"Und Haruka, hör auf, dich selbst kleinzureden. Niemand muss in allem perfekt sein. Es geht nicht darum, wie schnell man Fortschritte macht, sondern dass man überhaupt welche macht. Jeder hat sein eigenes Tempo, und das ist in Ordnung."
Yatsukis Worte berührten Haruka tief, doch bevor sie etwas erwidern konnte, krümmte sich Yatsuki plötzlich vor Schmerz, als ein heftiger Kopfschmerz ihn überkam.
„Yatsuki, ist alles in Ordnung?"
fragte Haruka besorgt.
Yatsuki blinzelte und starrte nach vorne – dort, wo er für einen flüchtigen Moment eine Gestalt in einer Kapuzenrobe sah. Doch als er die Augen erneut öffnete, war sie verschwunden, und gleichzeitig ließen die Kopfschmerzen nach.
„Ja… es geht wieder",
antwortete er, noch immer verwirrt von dem, was er gerade erlebt hatte.
„Wir sollten lieber zurückgehen, bevor es schlimmer wird",
meinte Haruka mit spürbarer Sorge in ihrer Stimme.
„Vielleicht hast du recht",
stimmte Yatsuki zu, seine Gedanken noch immer benebelt.
Als sie schließlich das Gemeinschaftszimmer erreichten, verabschiedeten sie sich und gingen in ihre jeweiligen Zimmer.
Doch als Yatsuki die Tür zum Jungszimmer öffnete, fiel sein Blick sofort auf etwas, das auf seinem Bett lag – ein schneeweißer Schal, der sich aus dem Nichts dort zu befinden schien."
Yatsuki stand einen Moment lang regungslos vor seinem Bett und starrte auf den weißen Schal, der scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. Der Raum um ihn herum wirkte plötzlich schwerer, die Luft dichter, als würde die Präsenz des Schals etwas Unerklärliches mit sich bringen. Ein seltsames, pochendes Gefühl machte sich in seinem Kopf breit – Kopfschmerzen, die er in den letzten Tagen nur allzu gut kannte, kehrten mit erschreckender Intensität zurück.
Er hob eine Hand an seine Stirn, als ob er damit den Schmerz vertreiben könnte, doch es wurde schlimmer. Das Pochen wurde lauter, dröhnender. Eine Stimme – fremd, aber gleichzeitig vertraut – flüsterte leise seinen Namen. Zuerst kaum hörbar, doch mit jedem Schlag seines Herzens schien sie klarer zu werden, als würde sie direkt aus dem weißen Schal kommen.
Yatsuki näherte sich dem Bett. Jeder Schritt verstärkte den Schmerz in seinem Kopf, und die Stimme wurde lauter. „Yatsuki...", rief sie. „Komm zu mir... Du gehörst zu mir..."
Sein Blick war wie gefangen von dem leuchtenden Weiß des Schals, und als er endlich vor dem Bett stand, fühlte er sich beinahe willenlos. Die Kopfschmerzen waren jetzt fast unerträglich, aber irgendetwas in ihm zog ihn näher, ließ ihn den Schmerz ignorieren. Mit zitternder Hand streckte er sich aus und griff nach dem Schal.
In dem Moment, als seine Finger das weiche, kühle Material berührten, schien die Welt um ihn herum zu zerfallen. Der Raum verzerrte sich, als ob die Realität selbst in sich zusammenfiel. Yatsuki fühlte, wie seine Beine nachgaben und er ins Leere stürzte. Doch der Fall war seltsam – er fühlte sich schwerelos, als ob er in ein bodenloses Nichts gezogen wurde.
Plötzlich fand er sich in einer anderen Welt wieder. Die Umgebung um ihn herum war nicht mehr sein vertrautes Zimmer, sondern ein endloser, magischer Raum, der in allen Farben des Äthers schimmerte. Unzählige Mana-Partikel schwebten wie winzige, leuchtende Sterne in der Luft, die in einem sanften, hypnotischen Tanz umherwirbelten. Es war ein Anblick von surrealer Schönheit, und doch spürte Yatsuki eine unheimliche Kälte, die ihn durchdrang.
Vor ihm stand eine Gestalt, die ihn aufmerksam betrachtete. Eine hohe, schlanke Figur in einem langen Mantel, deren Gesicht halb von einer Kapuze verborgen war. Und doch – irgendetwas an dieser Person war ihm seltsam vertraut. Der Ausdruck, die Haltung, sogar das leichte Lächeln, das über das blasse Gesicht huschte, erweckte in Yatsuki eine Erinnerung, die tief in seinem Inneren schlummerte.
Die Gestalt trat näher und sprach in einer Stimme, die Yatsuki sogleich erkannte.
„Lang ist es her, mein Sohn."