Die Tage in der Akademie vergingen wie im Flug, und mittlerweile waren zehn Tage seit der Ankunft der neuen Rekruten vergangen. Die Schüler hatten sich langsam an das strenge Training und den harten Alltag gewöhnt, wobei sich zwischen ihnen die Freundschaften vertieften. In dieser Zeit wuchsen auch die Beziehungen zwischen Haruka, Yatsuki, Ryota und Miyu stetig – jeder von ihnen auf seine eigene Weise.
An diesem Morgen hatte die Dämmerung gerade begonnen, die Umgebung in sanftes Licht zu tauchen. Haruka und Yatsuki waren bereits im Trainingsbereich, um sich auf den bevorstehenden Tag vorzubereiten. Die Luft war noch kühl, und das Gras unter ihren Füßen war mit Tau bedeckt, wodurch jeder ihrer Schritte ein leises, feuchtes Rascheln verursachte. In der Stille des Morgens, unterbrochen nur vom sanften Rauschen des Windes durch die Bäume, begannen sie ihr tägliches Training.
Yatsuki bewegte sich mit der Präzision eines erfahrenen Kämpfers, seine Bewegungen fließend und kontrolliert. Seine Augen waren konzentriert, während er Haruka half, ihre Schwerttechniken zu verfeinern.
„Du hältst dein Schwert immer noch zu starr",
bemerkte er ruhig, als Haruka einen Angriff versuchte, den er mühelos abwehrte.
„Locker dich ein wenig. Fühle den Fluss der Bewegung."
Haruka biss sich leicht auf die Lippe, ihre Konzentration war ungebrochen, doch in ihren Augen lag eine Spur von Unsicherheit, die sie kaum verbergen konnte.
„Ich versuche es, aber es ist nicht so einfach, wie es aussieht."
Die Worte klangen schlicht, aber in ihnen lag etwas, das tiefer ging als bloße Unsicherheit über ihre Technik. Ein leises Echo aus einer Zeit, die sie hinter sich lassen wollte, aber die sie doch nicht ganz losließ. Eine Zeit, in der sie sich oft allein fühlte, unsicher und beobachtet. Die Erinnerung daran, wie sie einst gemieden wurde, lastete schwer auf ihren Schultern, auch wenn sie es nicht zeigen wollte.
Yatsuki nickte und hielt für einen Moment inne, als ob er spürte, dass mehr hinter Harukas Worten lag, bevor er fortfuhr:
„Und deine Idee, meine Affinität instinktiv zu entschlüsseln, ist interessant. Doch bisher hat sich leider nichts Neues ergeben."
Haruka hielt inne und betrachtete Yatsuki nachdenklich, wobei ihre Unsicherheit für einen Moment aufblitzte.
„Vielleicht ist es einfach noch nicht der richtige Moment. Vielleicht musst du es nicht erzwingen, sondern nur geduldig sein."
Ihre Stimme verriet den leisen Frust, den sie zu verbergen versuchte – nicht nur über die fehlenden Fortschritte bei Yatsuki, sondern auch über die ständige, unterschwellige Angst, dass sie nicht dazugehört.
Doch Haruka zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn es schwach war.
„Wir werden es herausfinden",
sagte sie schließlich, mehr zu sich selbst als zu ihm, während sie versuchte, die Schatten der Vergangenheit zu verscheuchen, die wie ein unsichtbarer Nebel immer um sie schwebten.
Die Morgensonne war gerade dabei, den Garten der Akademie in ein goldenes Licht zu tauchen. Tauperlen glitzerten auf den Blättern, und eine sanfte Brise ließ die zarten Blütenblätter der Blumen leicht zittern. Inmitten dieser Idylle saßen Ryota und Miyu auf einer steinernen Bank, umgeben von einem Meer aus bunten Blumen, deren Farbenpracht die Lebendigkeit des neuen Tages widerspiegelte.
Ryota lehnte sich zurück, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während er lachte.
„Und dann hat Yatsuki das ganze Ding einfach zusammenbrechen lassen! Ich hab gedacht, er weiß, wie man ein einfaches Zelt aufstellt!"
Sein Lachen hallte durch den Garten, sorglos und ansteckend.
Miyu, die neben ihm saß und sich über einen der filigranen Blütenköpfe beugte, ließ ihre Finger über die zarten Blätter gleiten. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, doch es hatte einen Hauch von Melancholie.
„Ja, er ist halt nicht für solche Sachen gemacht",
erwiderte sie mit einem amüsierten Funkeln in den Augen.
„Aber du hättest sein Gesicht sehen sollen, als das Ding zusammenfiel. Das war unbezahlbar!"
Ryota lachte wieder und schüttelte den Kopf.
„Ach, wir haben alle unseren Spaß gehabt. Aber du warst bei der ganzen Sache ziemlich still. Was ist los, Miyu? Vermisst du es, mich auf dem schmalen Pfad zu balancieren?"
Miyu hob den Kopf, ihre Augen glitzerten in der Morgensonne.
„Vielleicht habe ich es genossen, dich ein wenig zu ärgern",
antwortete sie frech, doch in ihrer Stimme lag ein Hauch von etwas Tieferem, einer Traurigkeit, die sie nur schwer verbarg.
Bevor Ryota nachhaken konnte, verstummte das Gespräch plötzlich. Schritte näherten sich, das leise Rascheln von Seide und Leder auf dem gepflasterten Weg kündigte die Ankunft einer Gruppe an. Ryota hob den Kopf und erkannte sofort, wer es war: eine kleine Gruppe von Adeligen, die sich immer wieder durch ihre hochmütige Art hervortaten. An ihrer Spitze stand ein junger Mann, dessen Haltung Stolz und Arroganz ausstrahlte.
Renji Asakura, der Sohn einer der einflussreichsten Familien des Reiches, deren Reichtum und Einfluss in die Akademie hineinreichte, trug die standardisierte Uniform der Schwertkampfakademie, doch mit einer Eleganz, die den meisten anderen fehlte.
Seine hellen Haare schimmerten fast silbern im Sonnenlicht, sorgfältig gekämmt und gebändigt, als wäre jeder Strang genau dort, wo er hingehörte. Seine Augen, von einem kühlen Blau, das an den Winterhimmel erinnerte, funkelten herablassend, als er Ryota und Miyu erblickte. In seiner Kleidung spiegelte sich sein Stand wider, und die Art, wie er sie trug, machte klar, dass er sich seiner Überlegenheit in jeder Hinsicht bewusst war.
„Ah, Miyu",
sagte Renji mit einem Lächeln, das vor Verachtung nur so triefte.
„Ich sehe, du suchst dir immer noch Freunde in den unteren Kreisen. Wie… passend für jemanden wie dich."
Sein Blick wanderte abschätzig über Ryota, der auf der Bank sitzen blieb, die Hände zu Fäusten geballt, als er die Worte des Adeligen vernahm.
Miyu versteifte sich, doch sie erwiderte den Blick des jungen Mannes ruhig, wenn auch mit einem Hauch von kühler Entschlossenheit.
„Was willst du, Renji?"
Ihre Stimme war gefasst, doch Ryota konnte den Unterton von Abneigung nicht überhören.
Renji legte den Kopf leicht schief und ließ ein überhebliches Lächeln auf seinen Lippen spielen.
„Ich wollte nur sehen, wie es dir geht. Es muss schwer sein, nachdem du deine Familie so… bedauerlich verloren hast."
Seine Worte waren wie feine, scharfe Dornen, die sich in Miyus Herz bohrten.
„Und da du nun so schutzlos bist",
fuhr er fort, seine Stimme süßlich, aber durchdrungen von Spott,
„frage ich mich, ob dein neuer Freund überhaupt weiß, dass dein ganzer Charakter nur gespielt ist. Dass du versuchst, die Unfähigkeit zu überspielen, die zum Tod deiner Familie geführt hat. Aber keine Sorge",
fügte er hinzu,
„wir alle wissen, dass Menschen wie du eh nichts ausrichten hätten können."
Ryotas Augen blitzten vor Zorn, und er machte Anstalten, aufzustehen, doch Miyu legte eine Hand auf seinen Arm. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, ein Ausdruck von Ruhe, die sie sich mühsam bewahrte. Renji schnaubte leise, drehte sich dann um und führte seine Gruppe weiter, ohne ein weiteres Wort.
Als die Schritte der Adeligen verklangen und die Stille des Gartens zurückkehrte, spürte Ryota die Veränderung in Miyus Haltung. Ihre Finger glitten durch die Blüten, die sie zuvor so behutsam gestreichelt hatte, doch jetzt wirkten ihre Bewegungen fahrig, fast abwesend. Die lebhaften Farben der Blumen schienen ihre Vitalität verloren zu haben, wie ein verblühendes Gedächtnis, das an vergangene Zeiten erinnerte.
„Miyu…"
begann Ryota, seine Stimme sanft, voller Besorgnis.
Doch Miyu schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln, das ihre Augen jedoch nicht erreichte.
„Es ist nichts, Ryota",
sagte sie, aber ihre Stimme verriet sie.
„Es ist nur… die Vergangenheit, die manchmal schwer auf einem lastet."
Ryota schwieg und wusste, dass es in diesem Moment nichts gab, was er sagen konnte, um die Schärfe der Worte, die Renji hinterlassen hatte, zu mildern. Stattdessen blieb er einfach bei ihr, teilte die Stille und die Kälte, die die warmen Sonnenstrahlen nicht vertreiben konnten.
Die untergehende Sonne warf ein warmes, goldenes Licht auf die weiten Wiesen rund um die Akademie und tauchte die Landschaft in ein sanftes Leuchten. Yatsuki, Haruka, Kazuya, Ryota und Sakura saßen zusammen um den großen, runden Couchtisch in ihrer Gemeinschaftswohnung. Die bequemen Sofas und Sessel, die kreisförmig um den Tisch gruppiert waren, luden zum Verweilen ein, doch trotz der heimeligen Einrichtung lag eine Mischung aus Aufregung und Nervosität in der Luft, während sie sich auf die bevorstehende Prüfung vorbereiteten.
„Also, drei Tage im Wald und wir müssen diese mysteriösen Gegenstände finden",
begann Ryota und grinste breit.
„Das klingt nach einem Abenteuer!"
Kazuya, der ruhig auf seinem Stuhl saß und seine Arme vor der Brust verschränkt hatte, nickte ernst.
„Es wird kein einfaches Abenteuer. Wir werden in Dreierteams aufgeteilt, und die Gruppen, die die Gegenstände finden, erhalten Extrapunkte. Diese Punkte beeinflussen direkt unser Rating."
Haruka, die still zugehört hatte, runzelte die Stirn und schaute zu Sakura, die ruhig neben ihr saß.
„Dieses Rating... es bestimmt, wer die vielversprechendsten Kandidaten für die Ätherklingen sind, oder?"
Sakura nickte bestätigend und erklärte:
„Ja, genau. Jeder von uns wird anhand unserer Leistungen in Duellen, Prüfungen und unserem allgemeinen Fortschritt bewertet. Momentan führt Kaito mit 35 Punkten, gefolgt von Kazuya mit 27 Punkten."
„Kein Wunder, dass er so ernst ist",
bemerkte Yatsuki trocken, was ein leichtes Lächeln bei den anderen hervorrief.
Doch Haruka warf einen besorgten Blick in die Runde und ihre Hände zitterten leicht, als sie fragte:
„Und was, wenn... wenn man nicht gut genug ist? Was, wenn ich versage?"
Ihre Stimme war leise, fast ein Flüstern, als sie diese Gedanken aussprach, die sie seit Tagen quälten.
Sakura, die Harukas Unsicherheit spürte, legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter. Ihre Augen strahlten Wärme und Zuversicht aus, als sie sanft antwortete:
„Haruka, du hast dich in wenigen Tagen bereits weit entwickelt. Die Prüfungen sind hart, das stimmt, aber sie sind dazu da, uns stärker zu machen. Denk daran, dass es nicht immer um den Sieg geht. Manchmal ist es wichtiger, wie wir mit Herausforderungen umgehen, als sie zu überwinden. Vertraue auf deine Fähigkeiten, aber lass dich nicht von deinem Eifer überwältigen. Wir alle wachsen durch unsere Erfahrungen."
Yatsuki, der Harukas Unsicherheit bemerkt hatte, nickte zustimmend.
„Und vergiss nicht, dass du nicht allein bist, Haruka. Wir sind ein Team und wir unterstützen uns gegenseitig."
Haruka sah auf und bemerkte die aufrichtige Ermutigung in den Augen ihrer Freunde. Ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen, und sie fühlte sich etwas ruhiger.
„Ich werde mein Bestes geben",
sagte sie leise, doch mit einer neuen Entschlossenheit in ihrer Stimme.
Während das Gespräch fortschritt, wurde Ryota immer ruhiger und nachdenklicher. Er bemerkte, dass Miyu nicht anwesend war, und seine Gedanken wanderten zurück zu dem, was am Morgen im Garten geschehen war. Er erinnerte sich an die Worte, die Renji an Miyu gerichtet hatte, und das beklemmende Gefühl, das ihn dabei überkam. Etwas in Miyus Blick hatte ihn tief getroffen – eine Traurigkeit, die sie nicht ganz hatte verbergen können.
Als die Unterhaltung zu einem natürlichen Ende kam, erhob sich Ryota plötzlich von seinem Platz.
„Ich hab noch etwas zu erledigen",
sagte er knapp und erntete neugierige Blicke von den anderen.
„Was hast du denn vor, Ryota?"
fragte Kazuya, aber Ryota winkte nur ab.
„Nichts Wichtiges, aber ich sollte das jetzt erledigen",
antwortete er vage, bevor er den Raum verließ.
Die Dämmerung legte sich langsam über die Akademie, und Ryota eilte durch die leeren Flure, seine Schritte hallten wider wie das Dröhnen seines Herzschlags in seiner Brust. Es war, als würde ihn eine unsichtbare Kraft vorantreiben, ein inneres Bedürfnis, das ihm keine Ruhe ließ. Er suchte nach Miyu, konnte sie jedoch nirgendwo finden.
In seinen Gedanken blitzte das Bild von Miyu auf, wie sie am Morgen auf der Bank im Gartengelände mit zarten Fingern die Blütenblätter der Blumen streichelte. Ryota erinnerte sich an die Art, wie sie über die Blumen sprach, fast so, als würde sie mit ihnen in einer eigenen Sprache kommunizieren, als wären sie die einzigen Zeugen ihres tief verborgenen Schmerzes.
„Vielleicht ist sie wieder dort",
murmelte Ryota leise und rannte los, ohne zu zögern. Sein Atem ging schwerer, und je näher er dem Gartengelände kam, desto lauter wurden die Erinnerungen an das, was er am Morgen gesehen und gehört hatte. Renji und seine Begleiter, die spöttischen Worte, die herablassenden Blicke – es war ein Moment gewesen, der in Miyu etwas zerstört hatte, etwas, das sie nicht länger verbergen konnte.
Als Ryota schließlich den Garten erreichte, bot sich ihm ein Bild, das ihn in seinem Lauf stoppen ließ. Miyu saß auf der Bank, auf der sie schon am Morgen gewesen war. Ihr Kopf war gesenkt, und sie hielt eine weiße Chrysantheme in der rechten Hand, während ihre Schultern kraftlos herab hingen, als hätte der Wind ihr den letzten Funken Lebensenergie geraubt. Die Blumen um sie herum wirkten wie eine Kulisse aus einer anderen Welt – wunderschön, aber unnahbar, fast wie ein trauriger Kontrast zu Miyus gebrochener Haltung.
Ryota trat näher, sein Herz zog sich zusammen, als Miyu ihren Kopf hob und ihn ansah. Ihre Augen waren rot und geschwollen, als hätte sie Stunden geweint, und in ihrem Blick lag eine tiefe, unendliche Traurigkeit.
Bevor Ryota etwas sagen konnte, begann Miyu von selbst zu sprechen. Ihre Stimme war leise, brüchig, als würde jedes Wort sie zwingen, eine Wunde wieder zu öffnen.
„Ich bin echt das Letzte. Ich setze mir eine Maske der Sorglosigkeit auf und lüge euch alle an, um meine Verletzbarkeit zu verbergen."
Der Wind raschelte durch die Blätter der Bäume, und Ryota spürte, wie ihm die richtigen Worte fehlten.
„Miyu… es ist mir egal, ob deine verspielte Art nur gespielt ist",
sagte er schließlich, seine Stimme fester als erwartet.
„Du musst nicht so tun, als wärst du stark. Es gibt bestimmt gute Gründe, warum du so geworden bist, aber du musst das nicht alleine tragen."
Miyu schwieg einen Moment, ihr Blick verlor sich in den Blumenbeeten, die so bunt und lebendig waren, während sie sich so leer fühlte. Die Blüten, die sich im Wind neigten, erinnerten sie an den Fluss der Zeit, der alles Schöne unweigerlich davontrug.
„Früher… da war alles anders," begann sie zögernd. „Ich hatte eine Familie. Einen Bruder, der immer für mich da war. Ich war glücklich."
Ihre Gedanken kehrten in die Vergangenheit zurück, zu jenem Tag vor einem Jahr, als alles, was sie kannte, mit einem einzigen grausamen Schlag zerstört wurde.
„Miyu, pass auf deinen Stand auf!"
Ihr Bruder lächelte, während er mit ihr das Schwerttraining im Garten des Familienanwesens durchführte. Die Blumen blühten ringsum, und die Sonne tauchte die Welt in goldenes Licht. Es war ein friedlicher Moment, voller kindlicher Freude und Unbeschwertheit.
Doch dann war er gekommen – Renji, der Sohn der adeligen Familie, die so viel Macht besaß, dass sie sich über die Kobayashis nur lustig machen konnten.
„Ihr seid doch nichts weiter als unbedeutende Adelige",
spottete er, als er Miyu beleidigte. Ihr Bruder, stolz und entschlossen, konnte das nicht hinnehmen. Er forderte Renji zu einem Duell heraus, in dem es um die Ehre der Familie und eine Entschuldigung ging.
Zurück im Garten der Akademie sah Ryota, wie Miyus Hände sich um das steinernde Geländer der Bank klammerten, ihre Knöchel wurden weiß.
„Er hat gewonnen, weißt du? Mein Bruder hat Renji besiegt",
flüsterte sie.
„Aber Renji… er konnte es nicht ertragen, seine Würde vor uns zu verlieren. Es war, als hätten wir ein schlafendes Biest geweckt."
Wieder kehrte ihre Erinnerung zurück zu jener verhängnisvollen Nacht. Alles schien friedlich zu sein, doch dann war das Knallen gekommen, das Geräusch, das ihre Kindheit für immer zerschmetterte.
Zurück im Garten sah Ryota, wie Miyus Augen sich mit Tränen füllten, als sie weiterredete.
„Ich war so dumm. Ich konnte nur zusehen, wie mein Bruder gegen diese... 'Diebe' kämpfte. Sie waren keine gewöhnlichen Diebe. Sie hatten Schwerter und Magie... Und ich... ich saß einfach nur da, unfähig, mich zu bewegen. Und dann... dann hat er..."
Ihre Stimme brach, während sie den nächsten Satz herauspresste:
„Er hat es nicht überlebt."
„Bruder!"
Ihre Stimme hallte durch das Zimmer, als sie sah, wie das Schwert des letzten Angreifers das Herz ihres Bruders von hinten durchbohrte. Die Blumen im Garten neigten sich sanft unter dem Windstoß, als wollten sie ihren Schmerz widerspiegeln.
Miyus Stimme zitterte, als sie fortfuhr:
„Ich habe gesehen, wie dieser Dieb sich von hinten an meinen Bruder heranschlich. Ich habe es gesehen, Ryota, aber... ich konnte nichts sagen. Kein einziges Wort kam über meine Lippen, als er sich näherte. Ich war wie gelähmt. Und dann... war es zu spät."
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, während die Erinnerung sie überwältigte.
„Seitdem... gebe ich mir die Schuld. Wenn ich nur etwas gesagt hätte... er wäre noch am Leben."
Miyu senkte den Blick und schaute auf die Blumen zu ihren Füßen. Ihre Finger streiften die zarten Blütenblätter, die im schwachen Licht des Abends fast durchsichtig wirkten.
„Diese Blumen... sie haben überlebt. Sie blühen, obwohl der Wind sie niederdrückt und der Regen sie ertränkt. Aber ich... ich bin zerbrochen."
Sie atmete tief durch, als sie ihre Hände vor sich hielt, als könnte sie das Blut, das einst daran klebte, immer noch sehen.
„Ich konnte nicht stark genug sein. Nicht für meinen Bruder, nicht für meine Eltern... nicht einmal für mich selbst."
Ein leises Schluchzen entkam ihrer Kehle, und sie drehte sich wieder zu Ryota um, Tränen rannen über ihre Wangen.
„Ich habe sie getötet, Ryota. Ich habe den letzten von ihnen getötet... aber es hat nichts gebracht. Meine Eltern... sie waren auch tot. Ich war die Einzige, die übrig geblieben ist. Die Einzige, die überlebt hat, um diese Schuld zu tragen."
Ryota wusste nicht, was er sagen sollte. Der Schmerz, den Miyu in diesen Momenten durchgemacht hatte, war unfassbar. Und doch sah er sie jetzt an und konnte kaum glauben, dass dieses zerbrechliche Mädchen vor ihm so viel Leid ertragen hatte.
„Weißt du, Ryota... du erinnerst mich an ihn"
sagte Miyu schließlich und blickte ihn mit tränenerfüllten Augen an.
„Dein Lächeln, deine Art, wie du dich heute morgen gegen Renji stellen wolltest, wie du dich am ersten Tag nicht von Kazuyas Rang unterkriegen lassen hast... Es ist, als wäre er wieder hier."
Die Blumen um sie herum wiegten sich sanft im Wind, als würde die Natur selbst versuchen, Miyu in ihrem Schmerz zu trösten. Ryota setzte sich neben sie, legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie sanft zu sich.
„Miyu... ich bin nicht dein Bruder, aber ich bin hier. Du musst das nicht alleine durchstehen."
Miyu ließ Ryota's Worte auf sich wirken, während sie den Kopf an seine Schulter lehnte. Die Last, die sie so lange allein getragen hatte, schien für einen Moment leichter zu werden, als sie Ryota's Nähe spürte. Der sanfte Duft der Blumen, die um sie herum blühten, mischte sich mit der kühlen Abendluft und brachte eine flüchtige Erinnerung an glücklichere Zeiten zurück.
Der Wind rauschte durch die Bäume, und es war, als würde die Natur selbst flüstern: Du bist nicht allein.
„Danke, Ryota",
flüsterte sie schließlich, ihre Stimme leise und gebrochen, aber voller Dankbarkeit.
„Danke, dass du hier bist."