"... Neun ... Zehn ..."
Dyon brach aus dem Handstand zusammen, sein Rücken knallte auf den Boden seines Zimmers.
Sein durchtrainierter Oberkörper war völlig durchnässt, weit mehr als man für nur zehn Wiederholungen erwartet hätte. Aber Dyons Vater hatte immer gesagt, es käme nicht auf die Anzahl der Wiederholungen oder gar das Gewicht an, sondern darauf, wie viel Druck man auf die Muskeln ausüben konnte.
Jemand, der wusste, wie er die anvisierten Muskelgruppen gut und häufig aktivieren konnte, würde viel mehr davon profitieren als jemand, der einfach nur wusste, wie man viel Gewicht drückt.
Ich bin aus der Übung... Ich habe zu lange nicht mehr trainiert...
Dyon hatte die Angewohnheit, seinen Körper anzustrengen, um in Form zu bleiben. Sein Vater war ein Militär, der einen Sohn großzog, der gerne mit Computern herumspielte. Da der alte Mann eine Schlacht verloren hatte, weigerte er sich, den Krieg zu verlieren. Von klein auf wurde Dyon eingebläut, wie wichtig körperliche Betätigung ist.
Aber seit er an der Focus Academy war, tat er nichts anderes als lernen und lesen, ganz zu schweigen davon, dass seine Tage in letzter Zeit mit nichts anderem ausgefüllt waren als mit dem Zeichnen auf Array-Platten.
Dyon wusste nicht warum, aber jedes Mal, wenn er eine Kultivierungstechnik von der Fokus-Akademie in die Hand nahm, verspürte er einen angeborenen Widerwillen. Dann ergriff ihn ein Impuls. Aber dieser Impuls sagte ihm nicht, dass er sich kultivieren sollte, sondern dass er genau das Gegenteil tun sollte.
Dyon konnte nicht in Worte fassen, warum er so fühlte, aber eines wusste er: Er vertraute sich selbst vielleicht viel mehr, als ein Mensch sich selbst jemals vertrauen sollte. Da sein Körper ihm nein sagte, würde er auf ihn hören, aus keinem anderen Grund als dem, dass er Dyon Sacharro war.
Ich sollte sehen, ob ich noch einmal im Focus Lake schwimmen gehen kann. Das wäre ein gutes Ausdauertraining.'
Dyon erinnerte sich an das erste Mal, als er im Fokus-See geschwommen war. Dieses unheilvolle Gefühl war etwas, das er immer noch manchmal verspürte.
Sein Blick schweifte zu dem endlosen Blau, das durch die großen Glasscheiben schimmerte. Dyon fragte sich, ob dieses Gefühl mit dem Willen des Fokussees zusammenhing. War er empfindungsfähig?
Dyon schüttelte den Kopf, als er merkte, dass er nicht genug Informationen hatte, um diesen Gedankengang zu Ende zu führen.
Dann lass uns schwimmen gehen.
Auch wenn es so aussah, als würde Dyon die Initiative ergreifen, hatte er in Wahrheit keine andere Wahl. Praktisch alle Trainingseinrichtungen waren ihm verwehrt. Seine Freigabestufe war anscheinend zu niedrig.
Ohne sich die Mühe zu machen, zu duschen, da er nur ein weiteres Training absolvieren wollte, richtete sich Dyon auf und öffnete die Tür. Was er jedoch nicht erwartet hatte, war die "kleine" Ava auf der anderen Seite.
"Big Ava!" Dyons Augen leuchteten auf, sein Grinsen wurde breiter.
Ava blinzelte und hob die Brauen, als sie die vertraute Stimme hörte. Doch als sie sah, wie Dyon schamlos schwitzend und mit völlig entblößtem Oberkörper herumlief, fehlten ihr die Worte.
Trug er denn nie die offizielle Schuluniform? Was war hier eigentlich los?
"Was machst du da? Weißt du nicht, dass hier gerade eine Prüfung stattfindet?"
Ava wandte ihren Blick von Dyons durchtrainiertem Oberkörper ab und starrte ihn an, als wollte sie ihren Frust an ihm auslassen.
Dyon war von Avas Worten überrascht. Er hatte keine Ahnung, dass so etwas passieren würde, er hatte nicht einmal gewusst, dass der Unterricht begonnen hatte. Wie nicht anders zu erwarten, hatte ihn auch niemand über diese Ereignisse informiert.
Seine Überraschung währte jedoch nur einen Moment, bevor er wieder grinste.
"Es macht mir nichts aus, wenn du guckst, fühl dich frei."
Ava errötete heftig, als sie das hörte. Kannte dieser Mann denn keine Zurückhaltung? Musste er so direkt sein?
"Was soll ich mich denn um oberflächliche Muskeln scheren? Du hast nicht mal annähernd die Stärke eines Kultivators. Du könntest genauso gut ein Blumenmädchen sein."
Dyon lachte nur, Avas Worte schienen ihn nicht im Mindesten zu stören.
"Wenn du keinen großen Bruder hast, der mich vertreibt und dein Vater beschäftigt ist, dann wird doch alles gut sein, nicht wahr? Solange du mich beschützt, mache ich mir keine Sorgen."
Dyon wollte noch etwas hinzufügen, aber dann bemerkte er, wie Avas Gesichtsausdruck sich veränderte, als er einen großen Bruder erwähnte. Er merkte, dass etwas nicht stimmte, und ohne auf eine Antwort zu warten, sprach er schnell weiter.
"Ich rede zu viel, mach dir nichts draus. Aber ich brauche immer noch deine Hilfe bei der Prüfung, okay?"
Dyon lächelte unschuldig, doch Ava schaute ihn etwas verdutzt an. Von all den Worten, die sie von diesem Frauenheld erwartet hätte, waren dies die allerletzten. Wirklich so durchschaubar?
Als sie den beinahe flehentlichen Blick in Dyons Augen sah, als ob er befürchtete, dass sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen könnte, brach Ava tatsächlich aus – jedoch in ein schallendes Gelächter.
Es schien, als könnte selbst dieser arrogante Kerl seine Tage haben.
Dyon konnte nicht anders, als einen Blick auf Avas pralle Brust zu werfen, die sich gegen ihren engen Lederbrustpanzer presste, während sie lachte.
"Du siehst wunderschön aus, wenn du lachst", sagte Dyon mit einem Lächeln.
Ava verschluckte sich an ihrem Lachen und errötete erneut. Doch sie konterte sofort.
"Und ich dachte, du wärst nicht so schlimm. Aber deine Zunge ist immer noch so spitz."
"Die Prüfung für das erste Jahr soll etwa einen Monat nach der Aufnahmezeremonie stattfinden, um die Fortschritte der Schüler nach den ersten paar Wochen des Unterrichts zu bewerten. Sag nicht, dass du noch zu keiner einzigen Vorlesung warst? Anders kann ich mir nicht erklären, dass du nichts davon weißt."
Dyon räusperte sich leise und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "… Der Unterricht hat angefangen?"
Ava hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Wie lange glaubte dieser Junge wohl, dass die Schonfrist dauerte?
Aber eigentlich konnte Dyon nichts dafür. Er war ignoriert und ausgegrenzt worden. Und soweit er wusste, funktionierte so eine gewöhnliche Schule.
Als herausragendes Genie der Menschenwelt hatte Dyon nie eine öffentliche oder private Schule besucht. Er hatte keine Ahnung vom alltäglichen Ablauf eines Schülers. In seiner Vorstellung war Selbststudium die Norm. Schließlich hatte er sein ganzes Leben so verbracht.
"Vergiss es. Du solltest noch genug Zeit haben, um es rechtzeitig zu schaffen. Verpasst du diese Prüfung, wirst du von der Schule verwiesen und alles ist vorbei."
Dyon empfand es als Glück, dass er Ava auf diese Weise begegnet war. Natürlich hatte er keine Ahnung, dass dies Teil von Avas Pflichten als Anführerin der Oberstufe war. Durch ihre Fürsorge in solchen Angelegenheiten konnte sie das Geld, für das Dyon sich abmühte, fast mühelos verdienen.
Gerade als das Duo sich auf den Weg machte, begegneten sie zufällig dem Mann, der bereits seit Wochen nach Dyon gesucht hatte.
Darius fixierte Dyon mit seinem Blick, seine Augen wurden schärfer.
"Endlich habe ich dich gefunden."
Dyon neigte verwirrt den Kopf. "… Wer bist du?"