Ein Sturm war das am treffendsten Wort, um zu beschreiben, was Damien sah, als er sich umdrehte. Ein tosender Sturm aus purpurroter magischer Kraft, der wie ein Meer aus Blut aussah.
Ohne zu zögern, teleportierte sich Damien augenblicklich hunderte Meter weit weg und entfesselte seine eigene amethystfarbene Magie. Doch im Angesicht dieses Blutmeeres war seine Zauberkraft gleich einem winzigen Boot, das vom Wind geschaukelt wurde.
Er geriet dennoch nicht in Panik. Obwohl der Mann mittleren Alters vor ihm extrem stark war, nahm Damien keine feindlichen Absichten von ihm wahr. Er blieb jedoch wachsam, denn hier war jemand, der ihn mit nur einer Geste töten konnte.
"Wer bist du?" fragte Damien, während er den Mann aufmerksam fixierte.
Der Mann lächelte. "Ohoho, du bist wahrlich ein hitzköpfiger junger Mann. Mach dir jetzt keine Gedanken darüber, wer ich bin; greife mich mit deiner vollen Kraft an. Sonst könntest du sterben."
Er verschwand ohne weitere Worte von der Stelle. Bevor Damien überhaupt realisieren konnte, was passierte, flog er so heftig rückwärts, dass die Bäume hinter ihm zerquetscht wurden, als sein Körper auf sie prallte.
Dieses Gefühl hatte Damien bereits zuvor erlebt. Als er all die Jahre zuvor in den Kerker geworfen wurde, verspürte er dieses Sensation, dass sein Gehirn die Bewegungen seines Körpers nicht mitverfolgen konnte.
Die Ursache? Natürlich war es ein enormer Unterschied in der Stärke. Damien hatte keine Zeit mehr, sich mit Gründen oder Identitäten aufzuhalten. Er konnte nicht vor jemandem fliehen, dessen Macht ihn bei weitem übertraf. Er konnte nur zurückschlagen – oder, wie der Mann sagte, er würde sterben.
Erst als er etwa einen Kilometer weit geflogen war, wie ein zerbrochener Drachen, gelang es ihm, sich zu stabilisieren. Sein Rücken war mit kaltem Schweiß bedeckt. Der einzige Grund, warum er noch unverwundet war, lag darin, dass der Mann offensichtlich nicht vorhatte, ihn mit diesem Schlag zu verletzen.
Damien zog umgehend sein Schwert und umhüllte es mit schwarzem Blitz, war hinter dem Mann und schlug zu. Der Mann lächelte leicht, als er seine Hand erhob, um das nahende Schwert zu blocken. Damien kümmerte sich jedoch nicht darum.
'Offensichtlich will mich dieser alte Mann testen oder so etwas in der Art. Wer hätte gedacht, dass ich in eine klassische Kultivierungsszenerie in einer Fantasywelt stolpern würde.'
Damien nahm an, der alte Mann sei ein mächtiger Krieger, der sein Training beobachtet hatte und sich nun unterhalten lassen wollte. Wenn dem so war, war es Damiens Aufgabe, Eindruck zu schinden. Vielleicht könnte er daraus einen Nutzen ziehen.
Damien grinste. Auf eine Sache konnte er sich verlassen, und das war seine Kampffähigkeit. Ohne Zeit zu verlieren, begann er seinen Tanz des Nichts, während er den Mann umkreiste. Zum ersten Mal konnten die kleinen räumlichen Risse und Verzerrungen, die durch die Technik entstanden, nichts ins Nichts verbannen.
Der Mann beobachtete Damien gelassen und blockierte mit nur einer Hand seine Angriffe. Damien verlor allmählich die Geduld. Während er um den Mann herumtanzte und versuchte, ihm irgendeinen Schaden zuzufügen, schnippte er mit der anderen Hand leicht durch die Luft. Bei jedem Schnippen fingen Moleküle an zu vibrieren und Plasma entstand.
Diese Plasmastrahlen schossen nun aus allen Richtungen auf den Mann zu. Er beschloss auch, sein Mana nicht mehr zu schonen, und griff wahllos mit verschiedenen Techniken an. Doch nichts schien den Mann zu beeindrucken.
Riesige Risse, geschaffen durch 'Klingenlos', wurden unzeremoniell vernichtet, und während der Raum kollabierte und sich verdrehte, stand der Mann einfach da, unversehrt. Immer wieder feuerte Damien Plasmastrahlen ab, die schließlich durch unbeständige Blitze verstärkt wurden, doch alles ohne Erfolg.
Etwa eine Stunde war vergangen, seit Damien angefangen hatte, seine Angriffe auf den alten Mann zu starten, doch es gelang ihm nicht, diesen auch nur einen Schritt zu bewegen. Damiens Mana-Vorräte schwanden schnell. Er kämpfte viel rücksichtsloser als sonst, aber das hatte seinen Grund.
Irgendwann hörte er auf, das Ganze als einen Versuch zu betrachten, den Mann zu beeindrucken. Stattdessen hatte er ein Ziel gefunden, das all seinen Angriffen standhielt. Eine perfekte Trainingspuppe, wenn man so will.
Damien fuhr fort, Kombinationsangriffe mit seiner Schwertkunst und Vektorkontrolle zu üben, während er den Mann stetig umrundete. Ab und zu wich er zurück und schickte Schwertwellen und dicke Blitze. Drei Stunden später ging Damien die Puste aus.
Er lächelte in sich hinein, als er an all die Fortschritte dachte, die er in den letzten vier Stunden gemacht hatte.
Obwohl der Mann sich nicht von seinem Platz rührte, hatte ihn das Wissen, dass sein Ziel ihn jederzeit töten konnte, weiter angetrieben. Tatsächlich vermisste Damien dieses Gefühl. Der Tod, der wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf hing.
Plötzlich erklang eine Stimme. "Gut, das war's jetzt. Lass uns mal sehen, ob du diesen einen Angriff von mir überleben kannst."
Damien war in seiner Aufregung vergessen, dass der Mann ein lebendes Wesen war und keine Übungspuppe.
Als er aufblickte, stand der Mann nach wie vor ruhig da, die Winde der Umgebung wehten jedoch heftig.
Zuerst dachte er, der Mann besäße Affinität zum Wind, aber als er gen Himmel blickte, erkannte er seinen Irrtum.
Ähnlich der Szene, die er auf dem Donnerberg gesehen hatte, wurden die Luft von unbeständigen schwarzen Wolken durchzogen. Die Blitze darin waren aber viel heftiger als die des Donnerberges – und darüber hinaus karmesinrot gefärbt.Die Blitze tanzten wild umher, bevor sie sich an der Stelle über Damiens Kopf sammelten, und dann rasten sie hinunter, um ihn zu treffen.
Damien spürte, dass er schwer verletzt, wenn nicht sogar tot sein würde, wenn er von diesem Blitz getroffen würde. Alles schien stillzustehen, denn die Welt bestand nur noch aus Damien und den roten Blitzen, die ihm nach dem Leben trachteten.
Damien schloss die Augen und atmete ein, bis seine Lunge keine Luft mehr aufnehmen konnte.
Der Mann beobachtete das Spektakel mit Interesse. Der Junge vor ihm war wirklich amüsant.
Er war ohne zu zögern nach vorne gestürmt, obwohl er wusste, dass er seinen Gegner nicht besiegen konnte, er hatte jemanden, der ungleich stärker war als er, als Trainingspuppe benutzt, und jetzt, im Angesicht des Todes, hatte er die Augen geschlossen.
Der Mann wusste, dass dies nicht die Resignation war, die die meisten Menschen in diesem Moment empfinden würden, sondern dass es eine Vorbereitung auf etwas war. Er war ehrlich gesagt am meisten von Damiens Mut und seinem Willen beeindruckt.
Der Gedanke, gegen diesen Jungen zu kämpfen, wenn er die gleiche Stufe erreicht hatte, brachte das Blut des Mannes zum Kochen, etwas, das er seit vielen Jahren nicht mehr gespürt hatte.
Er lächelte und beobachtete weiter, bereit, einzugreifen, falls etwas schief gehen sollte, aber je mehr Millisekunden verstrichen, desto mehr runzelte er die Stirn. Selbst jetzt atmete der Junge noch ein, als wolle er seine Lungen mit so viel Luft wie möglich füllen.
Seiner Beobachtung nach hatte der Junge eine Affinität zum Weltraum und zum Blitz, wozu also sollte das Atmen gut sein? Doch die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Als der Blitz Damien auf halbem Weg erreichte, riss er die Augen auf und öffnete ohne zu zögern seinen Mund.
Ein gewaltiges Brüllen, das jedes Tier übertraf, brach aus dem Mund eines Menschen hervor.
Selbst die Schallwellen, die dieses Gebrüll erzeugte, reichten aus, um die Umgebung von Damien auszulöschen. Der Boden zerbrach, die Bäume flogen in alle Richtungen, und das üppige Gras, das den Boden bedeckte, wurde zu Asche.
Aus Damiens Mund kam ein schwarzer Lichtstrahl, der die Dicke eines kleinen Baumstamms hatte. Anders als sein üblicher Atem, der eher einem Raumsturm glich, war dies ein Strahl der Zerstörung.
Es gab keine Unterscheidung zwischen Blitz und Raum, da sie zu etwas Größerem verschmolzen. Damien war sich dessen jedoch nicht bewusst. In seinem letzten verzweifelten Versuch, zu überleben, hatte er sein gesamtes Mana verbraucht und war schließlich ohnmächtig geworden.
Zwei Strahlen trafen sich am Himmel, und die Welt färbte sich schwarz und rot. Vom Himmel bis zu den Wolken entlud sich ein gewaltiges Blitzgewitter, das selbst ein Wesen der höchsten 3.
Und vom Boden aufwärts? Pure Zerstörung.
Die Schwärze war dicht genug, um alle Sinne zu blockieren, und der Raum war völlig zersplittert.
Die zerbrochenen Bäume und der Boden in der Umgebung waren bereits ins Nichts verbannt worden, als schwarze Blitze mutwillig durch die Luft schossen und alles, was noch existierte, zerschmetterten und unzählige riesige Krater hinterließen.
Wenn man diese Szene sah, konnte man wirklich glauben, die Welt ginge unter.
Der Mann hatte sich längst Damien geschnappt und war aus dem Bereich des Aufpralls geflohen. Er konnte zwar überleben, aber er war sich nicht sicher, ob er das auch von Damien sagen konnte.
Ein paar Kilometer entfernt, auf einem Berggipfel, stand er und bewunderte das Chaos, das sie angerichtet hatten. Als er seinen Blick auf Damien richtete, konnte er nicht anders, als den Jungen zu bewundern.
Er wusste, dass der Angriff, den er ausgelöst hatte, unbewusst zusammengestellt worden war, aber was auch immer diese Kraft war, sie war extrem gefährlich.
Selbst wenn er die Intensität des Blitzes auf die Spitze der dritten Klasse herabgesetzt hatte, war es nichts, was ein Schüler der zweiten Klasse jemals vollständig blockieren sollte. Er hatte höchstens erwartet, dass Damien einen Teil des Schadens ausgleichen würde, bevor er eingreifen und ihn retten musste.
Er lächelte noch einmal in sich hinein. "Interessant! In der Tat interessant. Die Zerstörungskraft des Jungen ist großartig, aber er hat noch viel zu verbessern. Haha, ich bin schon gespannt auf die Gesichter der Ältesten, wenn ich mit ihm fertig bin."
Der Mann beschloss, seine Identität als mysteriöser Älterer aufrechtzuerhalten, und beschloss zu gehen, solange Damien noch bewusstlos war.
Zuvor hinterließ er jedoch ein kreisrundes, gold-schwarzes Zeichen auf Damiens Brust und eine kleine Notiz, die er mit seinem Mana gemacht hatte.
"Kleiner, wenn du jemals den räumlichen Trainingsplatz an der Akademie benutzen willst, nimm diese Marke mit zum Disziplinargebäude und gib sie dem Ältesten dort. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, werden wir mehr Spaß haben."