'"Geht es dir gut, Bruder?", fragte sie den dort stehenden Mann.
Dann wandte sie sich mir zu,
"Marianne, das ist mein Bruder, Philip Avington. Und das hier ist die Erzherzogin des Reiches, Marianne", sagte sie und verwendete dabei nur meinen Vornamen, was sehr merkwürdig war. Sollte sie meinen Nachnamen Cassius nicht verwenden, um mich förmlich vorzustellen?
Vielleicht war dies die Art, wie man Personen in ihrem Land vorstellte. Ich ließ es auf sich beruhen, da ich mehr über den Kampf erfahren wollte.
"Es war mir eine Freude, Eure königliche Hoheit des Vistertia-Reiches kennenzulernen." Ich nickte leicht mit dem Kopf, als er es erwiderte.
"Ganz meinerseits, Herzogin Marianne." Sein Lächeln war hypnotisierend.
Wenn er lächelte, strahlten seine goldenen Augen. Es wirkte, als würde die Sonne von diesen Augen verschlungen.
Ich lächelte zurück, drehte mich um und vermied es, ihn weiter anzusehen.
"Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen, Eure Majestät, Eure Hoheit?", fragte ich höflich und sie nickten.
Ich wandte mich wieder den Kindern zu, die nun alle in einer Reihe standen.
Mein Blick fiel auf Killian, der gesenkten Hauptes dastand. Er biss sich auf die Lippen. Sein Gesicht war von der ganzen Auseinandersetzung gerötet. Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass er bis auf kleinere Kratzer keine größeren Verletzungen hatte. Ich atmete erleichtert auf, als mir klar wurde, dass es ihm gut ging.
Ich ging auf ihn zu und sprach:
"Killian"
Doch bevor ich weiterreden konnte, lief Isabella herbei, beugte sich vor und umarmte Killian.
"Geht es dir gut, mein Kleiner?", fragte sie mit Tränen in den Augen.
'Wer zum Teufel ist ihr "Kleiner"! Diese falsche Schlange, sie kam als Letzte hierher und tut jetzt so, als wäre sie die Besorgteste.
Und dann dieser Strom von Tränen aus ihren Augen. Wer würde schon glauben, dass sie noch vor kurzem gehässig gelächelt hatte?
"Geht es dir gut, Killian?", fragte ich, da ich hinter ihr stand und sie ihn komplett verdeckte.
"Mir geht es gut, Tante Isabella, Eure Hoheit", antwortete er leise.
"Gott sei Dank, dass es dir gut geht, Killian. Ich habe mir solche Sorgen gemacht", spielte sie weiter vor und küsste seine Stirn und Wangen.
Ich biss mir auf die Lippe, um hier keinen Aufstand zu provozieren.
"Warum hast du dich gestritten, Killian?", wollte ich wissen, denn ich fragte mich, wie sicher sie sich sein konnte, dass es zu einem Streit zwischen ihnen kommen würde.
Doch Killian schwieg, er sagte kein Wort.
"Killian", versuchte ich noch einmal zu fragen, doch ohne Erfolg.
"Schon in Ordnung, Herzogin. Das Kind hat sicher Angst, Sie sollten nicht zu streng mit meinem Kleinen sein", fiel sie mir ins Wort und versteckte Killian hinter sich.
Ich ballte die Fäuste, als mir klar wurde, was sie bezweckte. Sie wollte demonstrieren, dass sie ihm näher stand als ich. Und Killian unterstützte sie dabei, ohne es zu wollen.
"Ich bin nicht streng, Lady Isabella. Ich versuche, die Angelegenheit zu klären. Wie soll ich erfahren, was passiert ist, wenn ich nicht nachfrage?" antwortete ich höflich mit einem freundlichen Lächeln.Sie hatte erwartet, dass ich ihr eine Show bieten würde, und das tat ich auch, nur nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Meredith trat vor, während sie ihre Zwillinge im Arm hielt. Sie wollte sicherstellen, dass auch ihnen nichts Schlimmes zugestoßen war.
Sie stand auf und fragte in einem viel kälteren Ton als ich zuvor:
"Seid ihr hier, um an einer Veranstaltung teilzunehmen oder um euch zu streiten? Ist euch so ein Verhalten beigebracht worden?"
Niemand würde glauben, dass sie eben noch die Kinder umarmt hatte.
"Wir entschuldigen uns, Mutter", antworteten beide gleichzeitig.
Doch ihre Haltung änderte sich nicht.
"Ihr solltet euch besser entschuldigen. Jetzt erzählt mir, was hier vorgefallen ist", forderte sie in derselben kühlen Stimmlage, doch ihre Kinder gehorchten und antworteten wie erwartet.
Das unterschied sie von mir und es schmerzte mich, Killians Misstrauen zu spüren, der es nicht einmal für notwendig hielt, vor mir Stellung zu beziehen.
"Wir spielten, Mutter, und baten Bruder Killian mitzumachen, aber er hörte uns nicht zu.
Später mieden wir ihn und redeten unter uns, als Bruder sagte, er hätte seine eigene Mutter nicht einmal Mutter genannt. Da sei er gekommen und habe uns geschlagen.
Wir wollten uns nur verteidigen", sagte der Jüngere, dessen Namen ich nicht kannte.
Ich biss mir auf die Lippe, als mir klar wurde, dass ich der Grund für deren Streit war. Doch es stimmte, dass er mich nicht Mutter nannte. Warum also streiten?
"Oliver?", fragte sie und wandte sich dem Älteren zu.
"Die Kinder meiner Mutter sagten, er soll seine Mutter rufen, weil er unhöflich war. Also habe ich ihnen nur gesagt, dass er nicht so sehr an seiner Mutter hängt, wie wir an unserer. Deswegen nannte er sie Mutter, Eure Hoheit."
Ich drehte mich zu Killian um, dessen Gesichtsausdruck immer noch bedrückt war.
"Kinder, hier liegt ein Missverständnis vor. Killian hat Herzogin Marianne nicht 'Mutter' genannt, denn sie ist nicht seine Mutter.
Seine Mutter ist vor zwei Jahren bei einem Unfall gestorben. Herzogin Marianne ist die zweite Frau des Erzherzogs.
Es gab also keinen Grund, sich bei ihr zu beschweren.
Wenn es ein Problem gibt, kommt zu mir, seiner Tante. Ich verspreche euch, dass ich mich ordnungsgemäß darum kümmern werde", erklärte sie freundlich, während sie Killian weiterhin umarmte.
Ich könnte sie jetzt zum Schweigen bringen, aber es ging hier um ihn; er musste selbst entscheiden, wie viel Respekt er mir gegenüber hatte. Denn mein Bild als ihre Mutter stand auf dem Spiel.
"Gut, Lady Isabella. Wir werden das im Kopf behalten", sagten beide Jungen und nickten.
"Du bist solch ein lieber Junge, Killian. Nun geh und entschuldige dich bei ihnen", befahl sie ihm vor mir, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren.
Doch Killian bewegte sich nicht, er stand wie versteinert da. Als ob er körperlich anwesend, aber geistig abwesend wäre.
Was ging in ihm vor, dass er so verloren schien? Ich machte einen Schritt nach vorn, doch Isabella stand weiterhin zwischen uns.
"Weiche", befahl ich mit eiskalter Stimme.
Ihre Augen weiteten sich, doch sie blieb stehen.
Ich starrte ihr mit dem kältesten Blick in die Augen und wiederholte meine Worte:
"Weiche zur Seite, oder ich verspreche dir, du wirst nie wieder gehen können."