'RETH
Elia stand der Mund offen. "Das wusste ich nicht!"
Er drückte ihre Hand. "Das weiß ich, und die meisten der Stämme wissen es ebenfalls, auch wenn sie es nicht gutheißen. Aber hier liegt die Verantwortung bei mir: Es war meine Entscheidung, verstehst du? Als Lucine bewusstlos war, stand ich vor der Wahl, dich zu töten – und sie zur Königin zu erklären, um jeden Zweifel an ihrer Stärke und Fähigkeit unter den Anima auszuräumen – oder dich als Partnerin zu nehmen. Das hätte ihr Leben gerettet, aber ihre Ehre beschmutzt. Und ... ich habe mich für dich entschieden."
Elia blinzelte. "Deswegen folgen mir die Wölfe und ... deswegen sind sie so verärgert."
"Sie folgen dir?" Reth fuhr auf.
Sie nickte. "Wohin ich heute auch ging, überall drehte ich mich um und sah einen Kerl, der mich beobachtete – als würden sie mich bewachen oder mir folgen. Candace sagte, sie gehörten zum Wolfsstamm. Sie sagte, sie seien wegen Lucine erbost und würden auf meine Fehler achten. Aber ich habe nicht begriffen ..."
"Immer derselbe Mann oder verschiedene?"
"Viele verschiedene", antwortete sie. "Ich habe nicht verstanden, dass sie zusammengehören, bis mir Candace das sagte."
"Diese grausamen Bastarde", fluchte Reth und fuhr sich wieder durch die Haare. "Es ist Hochverrat, die Königin zu bedrohen!" Seine Hand umklammerte die ihre fester.
"Sie haben keine Drohungen ausgesprochen. Sie haben mich nur ... beobachtet. Böse Blicke zugeworfen."
Reth schnaubte humorlos. "Und die Stämme haben das hingenommen. Das ist schlimmer, als ich dachte", murmelte er.
"Was? Was ist los?"
Reth blinzelte und merkte, dass er sie beunruhigte. Er drückte ihre Hand sanft, und ihre Finger umschlossen fest die seinen. "Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich darum kümmern."
"Aber was ist los?"
"Ich wusste, dass es die Stämme nicht freut, dass unsere Paarung noch nicht feststeht, aber dass sie eine Bedrohung gegen dich zulassen würden, hätte ich mir nie vorgestellt ..."
"Welche Bedrohung? Sie haben nichts gesagt. Sie haben mich nur beobachtet."
Reth seufzte. "Wölfe sind Raubtiere. Rudeljäger. Sie verfolgen ihre Beute in Gruppen. Verwirren sie. Kreisen sie ein – und warten ab, bis sie sie von ihrer Höhle oder Herde trennen können. Dann schlagen sie zu." Reth knurrte. "Wenn sie dich heute den gesamten Tag beobachtet haben, haben sie den anderen Stämmen ihre Absichten dir gegenüber sehr klar signalisiert. Und niemand hat sie daran gehindert." Er zitterte vor Wut. Elia schluckte hörbar, und er fand zu sich selbst zurück. "Keine Sorge, Elia, ich werde dich beschützen. Wir haben heute sämtliche Versuche, mich zu untergraben, abgewehrt. Ich habe einfach nicht realisiert, dass sie dich direkt angehen. Morgen ... Morgen werde ich mich darum kümmern. Mach dir keine Sorgen. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt."
Elia starrte ihn in der Dunkelheit an, ihr Atem ging schneller. Zuerst dachte er, sie hätte einfach nur Angst, doch dann mischte sich etwas anderes in ihren Duft, und er wandte seinen Kopf, um sie zu betrachten. Er maß ab. Ihr Verlangen.Sie schluckte erneut, dann sagte sie leise: "Jene Frau hatte recht."
"Welche Frau?", seine Stimme war heiser.
"Die Frau, die sich gestern Abend an dir geklammert hat."
Ein Glucksen entrann Reth. "Das war Judhay. Eine enge Freundin. Ihr aggressives Verhalten gestern Abend war nur zur Schau."
Elia schüttelte den Kopf. "Nein, das war mehr als nur Schau. Sie will dich zwar vielleicht nicht für sich allein, aber es gibt gewisse Dynamiken zwischen Frauen, die überall gleich sind. Ich habe es gestern bemerkt: Sie war beschützend dir gegenüber. Sie wünscht sich das Beste für dich, möchte, dass du glücklich bist. Ihr war es eine Furcht, dass ich dir das nicht geben könnte", sagte Elia. Ihre Stimme zitterte - nicht über die Wahrheit ihrer Worte, sondern über deren Bedeutung für sie.
"Dann liegt sie falsch", erwiderte Reth schlicht. Er hob seine Hand und strich Elia die Haare aus dem Gesicht, sodass sie ihr über die Schultern fielen.
"Nein, das ist sie nicht. Zumindest nicht ganz... Sie sagte, du wärst ein guter Mann. Dass ich es bereuen würde, das nicht zu erkennen und andere Frauen hier dies tun würden. Darin hatte sie recht."
Reth atmete schneller, unsicher, worauf sie hinauswollte. "Recht womit?"
"Recht darin, dass du gut bist", hauchte Elia. "Und ich kann es nicht erklären, Reth. Ich weiß nicht, wie es passiert ist ... aber ich will dich nicht an eine von ihnen verlieren."
Automatisch neigte er sich vor, angezogen von ihrem Duft, und umfasste ihr Gesicht. "Das wirst du nicht", sagte er leise.
Sie hielt den Atem an und näherte sich ebenfalls, bis sich ihre Nasen fast berührten. Einen Augenblick lang dachte er, sie würde ihn küssen, und eine Welle des Glücks durchflutete ihn. Sie befeuchtete ihre Lippen und schluckte; er betete im Stillen, dass sie den winzigen Abstand überwinden würde – er sehnte sich danach, dass sie es tat. Die Entscheidung konnte nur von ihr kommen!
Doch stattdessen suchte sie seinen Blick. "Wie kannst du dir so sicher sein? Ich habe nichts getan, um diese Loyalität zu verdienen – du hast mich gestern gerettet, zur Königin gekrönt, anstatt mich zu töten, und dafür einen ganzen Stamm gegen dich aufgebracht – ich verstehe es nicht, Reth. Warum?"
"Weil ich dich begehre", gestand er. "Ich begehre dich, wie ich noch niemanden zuvor gewollt habe – weder Anima noch Mensch. Niemals."
Mit seinem Daumen strich er ihr über die Wange und seufzte, sein Atem streifte sie. Sie zog die Luft scharf ein, und der Stachel seines Verlangens spiegelte sich in ihren Augen. Sie neigte ihr Gesicht näher zu ihm und begann ihre Augen zu schließen. Doch Reth, der sich innerlich für einen Narren schalt, hielt sie zurück.
"Und weil ich dir auf ewig dankbar sein werde, Elia."
Sie stockte, blinzelte. "Wofür?"
Reth fasste sich ein Herz. Es war der Moment der Wahrheit. Sie musste zu ihm kommen, die ganze Wahrheit kennen. Das wusste er. Er schickte ein stummes Gebet zum Schöpfer, dass sie ihm glauben würde, und begann, ihr zu erzählen.