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Chapter 11 - RIP

Evie spürte, wie ihre Kehle sich zusammenzog. Doch noch bevor sie etwas sagen oder tun konnte, knurrte ihr Magen. Errötend senkte sie den Blick, während Gavriel kurz blinzelte und mit zusammengepressten Lippen seinen Blick über ihren Bauch gleiten ließ.

Nach einem Moment der Stille regte sich Evies Magen erneut. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, doch spürte sie, wie er sich entfernte und die Dienstmädchen rief.

Gavriel griff nach einem Bademantel und legte ihn gerade an, als die Tür aufging. Evie blickte auf und war überrascht, zwei Frauen in schwarz-weißen Dienstmädchenkleidern zu sehen.

"M-menschen?" murmelte sie und warf Gavriel einen überraschten Blick zu.

"Willst du mir sagen, dass du deine eigenen Leute nicht erkennst?" fragte Gavriel, von dessen Gesicht das Missfallen verschwunden war.

"Natürlich erkenne ich sie. Es ist nur so... dass ich..." Evie war völlig verblüfft. Alles war anders als erwartet. Sie sah auf einen Blick, dass die beiden Frauen Menschen waren, aber Evie konnte es kaum glauben, weil die Mädchen... sie wirkten wohlbehalten, gesund und sogar heiter. Das kam unerwartet. Sie hatte angenommen, nur Menschen würden sie bedienen – das war Teil der Abmachung –, aber sie dachte, ihre Dienerinnen würden wohl schrecklich aussehen müssen, da man sie als Sklaven behandelte, die Vampiren Blut und sexuelle Gefälligkeiten zu liefern hatten. Doch warum? Wie konnte es sein? Wie konnten sie so gesund und munter aussehen, als würden sie ein glückliches Leben in diesem Land führen?

"Guten Tag, gnädige Frau", sagte eine der Mädchen. Beide hatten rotes Haar, aber die eine trug es lang und geflochten, während die andere es zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden hatte. "Ich bin Fray", stellte sich die mit den langen Haaren vor, und "ich bin Gina", sagte die andere. "Wir sind sehr erfreut, Euch endlich zu treffen und zu dienen, gnädige Frau." Sie verbeugten sich.

Evie brauchte einen Moment, um ihre Stimme wiederzufinden. "Ebenfalls erfreut, Gina, Fray", sagte sie schließlich. Ihr Kopf war voller Fragen, aber trotz der unerwarteten Wendung war sie doch erleichtert und froh. Sie wusste nicht, wie sie reagiert hätte, wenn die Mädchen unter den Bedingungen erschienen wären, die sie sich ausgemalt hatte.

"Macht meine Frau fertig und bringt sie sofort in den Speisesaal", wies Gavriel mit angenehmer Stimme an, woraufhin die Dienerinnen sich sofort verneigten. Evie fiel auf, dass sie dem Vampirprinzen nie direkt ins Gesicht sahen.

"Jawohl, Eure Hoheit." Sie sprachen synchron, bevor sie auf Evie zutraten und sie zu einer Tür führten, die offenbar zum Badezimmer führte.

Evie warf einen Blick zurück und begegnete Gavriels Blick. Schnell wandte sie sich ab. Sie mochte die Reaktion ihres Körpers ihm gegenüber nicht. Sie war verwirrt darüber, wie seine Blicke sie berührten, auf eine fremde und dennoch nicht unwillkommene Weise.

Und sie war immer noch verblüfft über das, was er gesagt hatte, kurz bevor ihr Magen knurrte. Der Ausdruck in seinen Augen dabei hatte etwas in ihr bewegt und ein Gefühl nahe der Beunruhigung hatte sie erfasst.Weil ihr Mann sie nicht ohne ihre Erlaubnis berühren durfte, hatte Evie sich nie viel Gedanken darüber gemacht, was es bedeutete, eine Ehefrau zu sein oder wie es sein würde, als verheiratete Frau zu leben. Sie hatte das alles nie in Erwägung gezogen, denn ihr war klar, dass dies keine gewöhnliche Ehe war. In der Tat war es das erste Mal in der Geschichte, dass ein Vampir und ein Mensch den Bund der Ehe eingingen. Jeder erwartete, einschließlich ihrer Eltern und auch sie selbst, dass ihr baldiger Ehemann ohnehin nicht mit ihr zusammen sein wollte, da er bereits von der Abmachung wusste, dass er sie nicht nach Belieben berühren durfte. Sie hatte auch damit gerechnet, dass er sie ignorieren würde, sie in einen abgeschiedenen Palast verbannen und sein Leben so weiterführen würde, als wäre er gar nicht verheiratet. Doch warum? Warum hatte er diese Worte gesagt? Warum wollte er bei ihr bleiben und sogar in demselben Bett schlafen?

"Mein Fräulein, geht es Ihnen gut?" fragte Fray, und als Evie den besorgten Blick des Dienstmädchens sah, fasste sie sich sofort.

"Ich... mir geht es gut. Ich glaube, ich bin nur ein wenig hungrig", lächelte sie und die Mägde entspannten sich. "Woher kommt ihr beide? Seid ihr aus dem Östlichen Reich?" fragte Evie dann, während die Mägde um sie herum waren.

"Nein, mein Fräulein. Fray und ich sind beide hier geboren."

"T-tatsächlich?" Evie war überrascht. Sie war erschüttert, schaffte es aber gerade so, ihre Fassung zu bewahren und sich nichts anmerken zu lassen.

"Ja. Meine Großmutter war aus dem Westlichen Reich", sagte Fray. "Und mein Vater stammt aus dem Östlichen Reich", fuhr Gina fort. "Wir sind also noch nie in ein menschliches Land gekommen, mein Fräulein. Deshalb waren wir so aufgeregt, Euch kennenzulernen, als Eure Hoheit uns von Euch erzählte."

Evie hätte gerne mehr über Frays Großmutter und Ginas Vater erfahren, doch sie hielt sich zurück. Denn sie erinnerte sich an die strengen Worte ihres Vaters und des Kaisers, dass sie den menschlichen Dienern, die ihr zugeteilt wurden, nicht völlig vertrauen durfte. Evie hielt das für sinnvoll, vor dem Hintergrund, dass diese Dienerinnen in diesem Land geboren wurden. Ihre Loyalität könnte den Vampiren gehören, oder noch schlimmer, sie könnten unter dem Bann der Vampire stehen. "Er hat Euch von mir erzählt? Wann?"

"Vor ein paar Tagen erst, mein Fräulein."

"Seid ihr beide schon lange Zeit Dienerinnen des Prinzen?"

"Ja. Meine Eltern waren die Gärtner hier."

"Verstehe." Evie nickte und richtete ihren Blick wieder auf das Wasser. Sie wollte weiter nachhaken, doch sie hielt sich zurück. Sie würde noch genügend Gelegenheiten haben, sie auszufragen. Vorerst wollte sie sie beobachten und sich so natürlich wie möglich verhalten.

Während Evie von den Mägden aus dem Zimmer des Herrn geführt wurde, hörte ihr Blick nicht auf, die Umgebung zu mustern. Der Korridor außerhalb des Zimmers war geräumig und an der hohen Decke hingen Kronleuchter.

Eine Tür am Ende des Korridors schien auf eine offene Veranda hinauszuführen, von der aus man sicherlich eine herrliche Aussicht genießen konnte. In Evies Vorstellung war es ein Ort, an dem man sich zurücklehnen, entspannen und bei einer schönen Tasse Tee den Blick über den wunderschönen Garten schweifen lassen konnte. Das Schloss ihrer Familie im Südlichen Reich hatte einen bemerkenswerten Garten, den sie stets geliebt hatte und in dem sie jede freie Minute verbracht hatte.'"Wo ist dieser Ort?" fragte Evie ihre Zofen, während sie eine Wendeltreppe hinabstiegen. "Wir können doch nicht schon in der kaiserlichen Hauptstadt sein, oder?"

Fray und Gina sahen sie zunächst verwirrt, dann überrascht an. Schließlich lächelten sie jedoch. "Ihr seid tatsächlich schon in der kaiserlichen Hauptstadt, Mylady. Dies hier ist der Palast des Prinzen."

Evie hielt inne, bevor sie weiterging. Daher rührte die extravagante und immense Größe dieses Ortes. Er war sogar noch prächtiger als Schloss Ylvia, ihr Heim. Aber wie war es möglich, dass sie so schnell hierher gelangt war? Das war mit der Geschwindigkeit, mit der sie die Kutsche benutzt hatten, doch nicht zu schaffen, oder? Hatte Gavriel sie etwa toch die ganze Strecke vom Dunklen Tal bis zur kaiserlichen Hauptstadt getragen? Er hatte doch gesagt, das wäre zu gefährlich für sie. Wie hatte er sie dann so rasch hierher transportieren können?

Als sie den Speisesaal betraten, war Evie vom Anblick überwältigt. Ihre Augen funkelten angesichts der kunstvollen und großartigen Ausstattung des Saals. Sie hatte sich immer vorgestellt, dass Vampirschlösser dunkel, gruselig und für Menschen unwohnlich wären. Aber wieder einmal musste sie feststellen, wie sehr sie sich in ihren Annahmen geirrt hatte. Der Ort war äußerst ordentlich und gepflegt, ja, schlichtweg perfekt. Sie bemerkte sogar einige Luxusmaterialien, die sie noch nie im großen Palast des Südreiches gesehen hatte. Es schien, als hätten Vampire einen Faible für ästhetische und luxuriöse Wohnstätten.

Gavriel saß am Kopfende eines langen Tisches, an dem zwanzig Erwachsene Platz gefunden hätten. Seine mondgleichen Augen fixierten sie in dem Augenblick, als sie durch die großen Türen des Saals trat.

Leise und etwas nervös setzte sich Evie neben ihn. Ihre Bewegungen waren steif und unbeholfen. Niemals hätte sie – in ihren wildesten Träumen oder Albträumen – gedacht, dass sie tatsächlich mit ihm zusammen zu Abend essen würde. Als sie vor der Überquerung des Dunklen Tals eine Mahlzeit eingenommen hatte, hatte er sich nicht zu ihr gesetzt.

Der Prinz sagte kein Wort, aber Evie spürte seinen durchdringenden Blick auf ihrem Gesicht. Sie konnte es nicht über sich bringen, ihn anzusehen.

"Evielyn..."

"Ja?!" rief Evie sofort, erschrak und zuckte zusammen, als sie durch seine tiefe Stimme, die ihren Namen aussprach, aufgeschreckt wurde und ihn schließlich anschaute.

Eine drückende Stille legte sich über den Saal, als sich ihre Blicke trafen. Der herrliche Prinz biss sich auf die Lippen, und seine gewohnt ruhige Miene wurde ein wenig düsterer.

Als Evie merkte, dass ihre Reaktion ihn verstimmt hatte, schluckte sie und richtete ihren Blick nervös auf das saftige und köstlich aussehende Steak vor ihr. Sie hatte einen so großen Hunger, dass die Anwesenheit Gavriels in den Hintergrund rückte. Ihre Hände bewegten sich wie von selbst auf den Tisch zu und blieben auf das Steak gerichtet. Gerade als sie nach den bereitgelegten Besteck greifen wollte, nahm jemand ihr das Steak weg. Ihre Augen weiteten sich, als sie ihm nachsah und Gavriel es vor sich abstellte.

Evies Mund öffnete sich, als sie ihn verwundert anstarrte. Sie war sprachlos und benommen, als der Prinz anfing, das Steak stumm zu schneiden. Er wirkte ernst und würdevoll. Wie konnte er nur das Zerteilen eines Steaks aussehen lassen, als wäre es eine ehrenhafte Aufgabe?! Moment mal! Das ist hier nicht das Thema. Warum hatte er ihr das Steak weggenommen?!'Als er mit der Gabel ein Stück Steak aufspießte, konnte Evie nicht anders, als seinen Bewegungen zu folgen. Es stoppte kurz vor seinen Lippen, und der Anblick seiner schmalen Lippen riss Evie aus ihren Gedanken. Sie konnte kaum glauben, was sie tat! Doch bevor sie wegschauen konnte, hatte er seine Hand ausgestreckt und plötzlich war das Stück Steak direkt vor ihrem Mund.

Der köstliche Duft ließ ihr Wasser im Mund zusammenlaufen.

Mit großen Augen sah sie ihn an. Was machte er da?

"Öffne den Mund, Liebste", sagte er sanft, wobei seine Augen sie anzulächeln schienen. Im selben Moment, als Evie realisierte, dass er sie füttern wollte, fiel ihr die Kinnlade herunter.

Er deutete ihre Reaktion als willentliche Zustimmung und bewegte das Steak näher zu ihr. Das zarte Fleisch berührte sanft ihre Lippen, und ehe sie sich versah, öffneten sich diese und nahmen das Steak bereitwillig auf. Sie erschrak über ihre eigene Tat, doch ehe sie sich für ihre leichte Verführbarkeit tadeln konnte, ließ sie der himmlische Geschmack des Fleischstücks in ihrem Mund alles andere vergessen. Oh Gott! Es war das köstlichste Steak, das sie je gegessen hatte.

Der Prinz wurde kurz still beim Anblick von Evies Reaktion. Als sie die Augen schloss, als würde sie etwas überirdisch Köstliches genießen, zeichnete sich ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen ab. Es war das erste Mal, dass er solche Ausdrücke bei ihr sah. Er fand es unheimlich süß.

"Gefällt es dir?"

"Ja." Ihre Stimme klang nun wie geschmolzener Honig und überraschte ihn. Gavriel hatte erwartet, dass sie sich versteifen oder bei seiner Stimme zusammenzucken würde. Aber das tat sie nicht, und er lächelte erneut, als er ein weiteres Steakstück auf die Gabel aufspießte und es zu ihren Lippen brachte.

Evie zögerte nicht und aß das Fleisch. "Gott, das ist so lecker!" stöhnte sie in offensichtlichem Genuss, was Gavriels Lächeln noch weiter verbreiterte. Er betrachtete ihre Lippen, wie sie das Fleisch langsam und genussvoll kaute, als ihn auf einmal eine ungebetene Vorstellung heimsuchte. Er begann sich auszumalen, wie köstlich sie wohl schmecken würde, wenn er endlich diese Lippen kosten dürfte, auf die sich sein Blick gerichtet hatte. Würde sie so unnachahmlich schmackhaft sein, dass er bei der bloßen Berührung ihrer Lippen alle Gedanken vergessen würde? Würde sie jenes göttliche Ambrosia sein, das er anbeten würde?

Eine leichte Anspannung machte sich in seinen Muskeln breit, und als ihm seine körperliche Reaktion bewusst wurde, erstarrte er. Sogar die feinen Härchen in seinem Nacken richteten sich auf. "Himmel," murmelte Gavriel leise vor sich hin. Es war unfassbar, dass er in einer solchen Situation derartige Gedanken und Reaktionen hegte. Das war das erste Mal, dass ihm so etwas passierte. Er musste seinen Blick zwanghaft von ihrem Gesicht wenden, um seine Gedanken zu ordnen. Doch als er ihr ein weiteres Stück Steak fütterte, warf sie ihn schließlich komplett aus der Bahn.

"Das ist wirklich köstlich, das beste, was ich je gegessen habe!"

Plötzlich merkte Gavriel, wie er das Steak vor sich anstarrte, als könnten Blicke töten. Wie man sagt: Wenn Blicke töten könnten... RIP, Steak.