Lina wachte auf, an einen Tropf angeschlossen. Verwirrt stöhnte sie und hörte im Hintergrund seltsame Rufe.
"Was soll das heißen, sie ist unterernährt? Sind Sie sicher, dass Sie kein Scharlatan sind?!", knurrte eine Stimme, gefolgt von einem lauten Scheppern.
"Boss!" Sebastian rief auf und packte die Hand seines Chefs. "Er ist ein Zivilist, Gewalt ist nicht die Lösung..."
Lina öffnete die Augen und sah Kaden, der einen Arzt am Kragen gepackt hatte. Ihr Kopf hämmerte und ihre Augen schmerzten beim Öffnen.
"Was zum Teufel?" murmelte Lina, sah zu den Tropf, der an ihr hing, dann auf ihre Umgebung – das war kein Krankenhaus. Der Raum war außerordentlich luxuriös, dunkel möbliert mit goldenen und silbernen Akzenten.
"Haben Sie mich gekidnappt?" fragte Lina erbost, zog den Tropf heraus und drückte ein Taschentuch von dem Nachttisch auf die Einstichstelle.
"Entführung würde ich das nicht nennen", entgegnete Kaden gelassen.
Nachdem er den Arzt losgelassen hatte und Sebastian alle nach draußen eskoritete, wandte er sich ruhig Lina zu. Sie schien ihm gesund genug zu sein, da sie selbständig seine Decken wegstoßen und den Tropf entfernen konnte.
"Ich sehe es eher als Rettung einer Frau, die in meinen Armen ohnmächtig wurde", schloss Kaden mit ruhiger Stimme.
Lina fixierte seine scheinend warmen Augen. Sie waren verlockend, doch sie war zu verärgert, um sich darauf einzulassen.
"Sie sind verrückt", schleuderte sie ihm entgegen.
"Freut mich, dass Sie das bemerken."
"Und ein Idiot."
"Ich habe tatsächlich einen schönen", stimmte Kaden zu und nickte anerkennend mit dem Kopf.
Mit zunehmendem Ärger rollte Lina mit den Augen angesichts seiner Dreistigkeit. Er brachte sie zur Weißglut und jetzt hatte er sie auch noch entführt.
"Und jetzt sagen Sie mir", fuhr Kaden fort, seine Miene verhärtete sich, sein Blick wurde düster. "Warum hungern Sie sich aus?"
Lina fror ein. Sie fühlte sich, als würde man kaltes Wasser über sie schütten. Erinnerungen an ihre Internatszeit flackerten auf – die beschuldigenden Finger, das Gelächter, der Spott. Sie öffnete und schloss ihren Mund wieder.
"Sie sind bereits leicht wie eine Feder. Noch leichter und Sie bekommen Federn auf dem Rücken", sagte Kaden schroff.
Mit schnellen Schritten stand er vor ihr.
"Was um alles in der Welt haben Sie sich dabei gedacht?!" Kaden brüllte, ergriff sie an den Oberarmen und schüttelte sie. Ihr Blick war wie der eines Rehs im Scheinwerferlicht, ihre Augen zitterten.
"Genau, Sie haben überhaupt nicht nachgedacht", knurrte Kaden und ließ sie los. Sie taumelte rückwärts, griff an ihren Hals und blickte zu Boden.
"Das geht Sie nichts an", erwiderte Lina zitternd. "Und nur, damit das klar ist, ich habe mich nicht ausgehungert. Ich habe lediglich nicht gegessen..."
"Der Arzt sagte, Sie seien extrem unterernährt. Können Sie das erklären?" drängte Kaden, seine kühle Fassade wich der Verärgerung.
"Das ist nur—"
"Vergessen Sie's", murmelte Kaden. "Erzählen Sie's mir nicht."
Lina presste die Lippen aufeinander. Sie hatte sich getäuscht. Dieser Mann war mehr als verrückt, er war wahnsinnig. Mal sorgte er sich um sie, dann schrie er und jetzt war es ihm gleichgültig.
Lina zuckte zusammen, als sie seine warmen Finger um ihr Handgelenk spürte. Überrascht sah sie zu ihm auf.
"Was machen Sie da?" flüsterte Lina, als sein Griff sich verstärkte.
Sie spürte Schmetterlinge im Bauch von der Art, wie er sie ansah – als wäre sie entweder der Abschaum unter seinen Schuhen oder das seltenste Juwel der Welt.
"Warum berühren Sie ständig Ihren Hals, als ob das je etwas ändern würde?", fragte Kaden barsch.
Lina zuckte zusammen und drehte den Kopf weg, um ihre Ablehnung seiner Tonart zu signalisieren. Sie hörte, wie er laut einatmete und dann seufzte.
"Kommen Sie", sagte Kaden, seine Stimme für einen Moment sanfter werdend. "Wir sollten etwas essen."
"Warum haben Sie mich entführt?" fragte Lina zurück und riss ihre Hand weg.Sofort bedauerte Lina es. Sie stolperte und er fing sie mühelos auf. Seine Phönixbrauen waren zusammengezogen, seine Lippen bildeten ein tiefes Stirnrunzeln.
"Ich habe dich nicht entführt", erklärte Kaden. "Ich habe dich einfach in mein Auto geschoben, um mit dir zu reden, aber dann musstest du losfahren und ohnmächtig werden."
"Also machst du mich jetzt mit Gaslicht an?" fragte Lina.
"Um Gottes willen", seufzte Kaden laut. "Beeil dich und komm mit mir."
Kaden stellte sie auf ihre eigenen zwei Füße und ließ sie los. Er drehte ihr den Rücken zu und stakste auf die Tür zu, wobei er vergaß, dass sie winzig war und sie zwei Schritte brauchte, um einen zu machen.
"Meine Familie wird jetzt nach mir suchen, mein Fahrer..."
"Ich habe deinem Vater bereits gesagt, dass du bei mir bist", erklärte Kaden.
"Du ... hast den Kontakt zu meinem Vater?" fragte Lina, misstrauisch über seine Absichten.
Als er den Raum verließ, hatte Lina keine andere Wahl, als ihm schnell zu folgen. Sie hasste es, wie groß er war, wie er sie überragte, und dass seine Größe sie so verdammt anmachte.
"Das geht dich nichts an", sagte Kaden zu ihr, öffnete die Tür und hielt sie ihr auf.
Lina ging zögernd aus seinem Zimmer, wie eine Katze, die in eine neue Umgebung eingeführt wird. Sie schaute sich überall um, scheinbar auf der Suche nach einem Ausweg.
Kaden atmete aus und spottete vor sich hin. Sein Haus war ausbruchsicher. Und wenn sie sich hinausschleichen konnte, würde er sie für ihren Verstand belohnen. Die Fenster waren kugelsicher und mit Schlüsseln verschlossen, die Wände waren undurchdringlich, und jeder einzelne Eingang wurde von schwer bewaffneten Männern bewacht, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hauses.
"Warum hast du nicht den Hörer abgenommen?" fragte Kaden, während er vor ihr herlief, in der Gewissheit, dass sie ihm nicht entkommen konnte.
"Die unbekannte Nummer war deine?" erwiderte Lina und folgte ihm zögernd.
Linas Blick klebte an seinem oberen Rücken. Er hatte sich umgezogen und trug ein T-Shirt, das seinen muskulösen Körper enthüllte, aber nicht so, wie es bei Bodybuildern der Fall war. Nein, seine Muskeln waren nicht nur zur Schau gestellt. Sie machten ihn kraftvoll und dominant, aber elegant.
Bei jedem Schritt straffte sich sein Hemd an den scharfen Graten.
"Ich kann spüren, wie deine Augen ein Loch in mich brennen", sagte Kaden mit tiefer, gefährlicher Stimme.
"Ich habe mich gefragt, ob du zu arm bist, um dir gut sitzende Kleidung leisten zu können", schnauzte Lina, und ihre hohe Stimme verriet ihre Lüge.
Die meisten mächtigen Männer wären beleidigt gewesen. Aber nicht Kaden. Er schaute einfach über die Schultern, lachte und schaute weg.
Verdammt noch mal. Das war attraktiv. Linas Gesicht wurde rot, als sie merkte, dass ihre Beleidigungen ihn nicht in Verlegenheit brachten, sondern ihn amüsierten.
"Vielleicht", stichelte Kaden.
Lina warf einen Blick darauf, wie leicht er sich beleidigen ließ. Sie hasste alles an diesem Mann. Sie hasste die Art und Weise, wie sich seine Muskeln bei jeder Bewegung anspannten, wie sein Haar so seidig und einladend aussah, und sein kraftvolles Stolzieren, als gehöre ihm die gottverdammte Welt. Das war er ja auch einmal, als zweiter König von Ritan.
"Wohin gehen wir?" fragte Lina und folgte ihm eine große Treppe hinunter, von der aus man sein großes Haus überblicken konnte. Sie machte sich nicht die Mühe, sich umzusehen. Sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, dass sie neugierig auf sein Haus war.
"In die Küche und ins Esszimmer", erklärte Kaden.
Lina war verwirrt, was er meinte, bis er ein paar Türen öffnete. Ihre Augen weiteten sich beim Anblick der Einrichtung. Es gab Küchengeräte aus Stahl, die auf dem neuesten Stand der Technik waren, einen riesigen Kühlschrank, Backöfen, schwarze Schränke und alles, was ein Mensch zum Kochen brauchen konnte.
Vor dem Herd befand sich eine Arbeitsplatte aus Marmor, die von Gold durchzogen war. Vor der Marmorplatte waren Stühle aufgestellt, so dass man dem Koch zusehen konnte.
"Du willst mich doch nicht vergiften, oder?" fragte Lina misstrauisch, nahm an der Arbeitsplatte Platz und beobachtete, wie er sie umrundete.
Kaden warf ihr einen amüsierten Blick zu. "Ich schon, woher weißt du das?"
Lina warf ihm einen spitzen Blick zu.
Kaden lachte leise vor sich hin.
Lina presste ihre Schenkel zusammen, um die Wärme zu verbergen, die sich in ihr sammelte. Er sollte öfter lachen. Das Geräusch kitzelte ihr Herz und machte sie begierig, es wieder zu hören. Sie hatte vergessen, wie gut er aussah, wenn er wirklich lachte.
"Jetzt sei ein braves Mädchen und bleib sitzen, während ich dir etwas koche", sagte Kaden, holte eine Pfanne aus den Schränken und schaltete den Herd ein.
"Oder sonst?"
Kaden hielt inne. Er drehte sich um und schaute sie genau an. Sie sah unglaublich winzig aus im Vergleich zu seiner großen Marmortheke. Er war sich ziemlich sicher, dass ihre Beine nicht einmal den Boden berührten. Niedlich.
"Oder ich binde dich in den Positionen an den Stuhl, in denen ich meine Frauen gerne habe", antwortete Kaden und hielt ihren Blick so lange wie möglich fest. Er beobachtete, wie sich ihr Gesicht rötete und ihr unanständige Gedanken in den Sinn kamen.
Da sie vorerst ruhig war, drehte sich Kaden um und begann zu kochen, während er den Anflug eines Lächelns verbarg.