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Chapter 22 - Das Mädchen auf dem Dachboden (Forts.)

Als Damon dieses neu aufkommende Gefühl genoss, konnte er Talias Verletzungen nicht ignorieren. Der Duft von getrocknetem Blut überschattete den süßlichen Zitrusduft der Freesien und verriet ihm, dass es ihr nicht gut ging.

Mit sorgenvollem Blick nahm Damon Talias Hand und studierte einen Schnitt, der auf einem üblen Bluterguss ruhte. Die Wunde war am Verkrusten, wirkte jedoch noch frisch.

"Die Heilung unserer Gefährtin ist langsam, weil sie ihren Wolf nicht hat", erklärte Damons Wolf.

Sanft hob Damon Talias Hand an seine Lippen und leckte über die Schnittwunde.

Talia zuckte mit der Hand zurück, doch Damons Reaktionsvermögen war erstklassig, und er verstärkte seinen Griff, so dass sie die Hand nicht wegziehen konnte.

"Was tust du da?", fragte Talia in Panik.

Noch nie hatte jemand sie so berührt und dieser Alpha schien gefährlich! Wollte er sie verschlingen?

"Beruhige dich! Weißt du etwa nicht, dass unser Speichel heilende Eigenschaften hat? Ich helfe deiner Wunde zu heilen. Anstatt zu beschweren, solltest du dankbar sein", sagte Damon und verzog das Gesicht. In Anbetracht ihres süßen Dufts hatte er angenommen, sie würde auch süß schmecken, aber... "Warum schmeckt es bitter?"

"Ich habe eine Kräuterpaste aufgetragen, damit sich nichts entzündet", entgegnete Talia mit zarter Stimme.

Damon betrachtete ihr Gesicht und bemerkte, dass sie rot angelaufen war. War sie krank?

Besorgt berührte er ihre Stirn. Sie fühlte sich nicht warm an, aber dennoch fragte er, "Hast du Fieber?"

"Nein", erwiderte Talia bestimmt. Sie wollte nicht eingestehen, dass sie aufgewühlt war, weil ein furchteinflößender Alpha sie umarmt hatte (und es immer noch tat!) und dann ihre Hand geleckt hatte.

Damon vermutete, sie hatte keinen Arzt aufgesucht. Offensichtlich hatte sie keine ordentliche Erste Hilfe erhalten.

"Hast du die Heilsalbe selbst hergestellt?"

Talia nickte zur Bestätigung.

Er wollte gerade wieder über ihre Hand lecken, hielt inne und fragte: "Ist sie giftig?"

Talia war sich nicht sicher, ob sie lachen oder weinen sollte. "Das hättest du fragen sollen, bevor du etwas in den Mund nimmst."

"Ich habe deine Wunde behandelt, ohne zu bemerken, dass es sich um Medizin handelt…", murrte er und leckte dann erneut darüber.

"Könntest du damit aufhören?", protestierte Talia. Seine raue Zunge auf ihrer Haut zu spüren, gab ihr ein seltsames Gefühl.

Damon blickte sie an, als hätte er keine Ahnung, wovon sie sprach, und leckte sie dann erneut.

Hilflos atmete Talia aus und fragte sich, welches Spiel Damon spielte.

Er war ein wichtiger Gast, ein Alpha, und doch verweilte er, anstatt sich unter die Elite des Rotmond-Rudels zu mischen, in der Ecke des Dachbodens, hielt sie fest und leckte ihre Hand.

Das ergab keinen Sinn, ganz gleich wie lange sie darüber nachdachte.

Ist das der Moment, in dem Marcy plötzlich hereinstürmen und alle anfangen würden, über sie zu lachen? Eigentlich wäre es ein Glücksfall, wenn sie lediglich lachen würden. Vielleicht würde Damon sich Marcy anschließen, und beide würden ihr erneut wehtun?

Talia war beunruhigt und wollte, dass dieses Schauspiel ein Ende fand.

"Wann wirst du gehen?"

Damon war sich nicht sicher, ob sie sich auf das Verlassen des Dachgeschosses oder des Rotmond-Rudels bezog. In beiden Fällen wäre seine Antwort dieselbe. "Warum bist du so versessen darauf, mich wegzuschicken?"

"Weil ich hier lebe. Du hast ein schickes Schlafzimmer, zusammen mit dem Alpha und der Luna, und deiner zukünftigen Frau."

"Meine zukünftige Frau?", fragte Damon verwirrt, als hätte er davon zum ersten Mal gehört.

"Prinzessin Marcy hat mir erzählt, dass du heiraten würdest, wenn sie hierherkommt und...", Talia vollendete ihren Satz nicht, aber Damon verstand.

Als sie auf Talia einprügelte.

"Sie wird in diesem Leben oder in einem zukünftigen NICHT meine Frau sein", sagte Damon düster.

Talia schüttelte den Kopf. "Vielleicht solltest du ihr das sagen und nicht mir. Eure Beziehung geht mich nichts an. Kannst du jetzt bitte gehen?"

Gefangen in ihren großen honigfarbenen Augen, die ihn flehend ansahen, fragte er sich, ob er gehen konnte. Und konnte er das? Ja, aber nur unter einer Bedingung.

"Komm mit mir."

Talia war fest davon überzeugt, dass sie sich verhört hatte. Sie hatte ihn gebeten, den Dachboden zu verlassen, bevor jemand sie in dieser seltsamen Lage sah, und jetzt wollte er, dass sie ihn begleitete? "Was? Wohin?"'"Ich bin der Alpha des Dunklen Heuler-Rudels. Komm mit mir in mein Rudel."

Talia war wie gelähmt.

Sie hatte gedacht, Damon hätte sie in sein Zimmer eingeladen, um sich zu säubern oder sie vielleicht zu verhöhnen, doch nun schien es, als forderte er sie auf, das Rudel des Roten Mondes zu verlassen. Mit ihm. "Warum?"

"Ich werde dafür sorgen, dass du ein Zimmer bekommst, das besser ist als die da unten. Ich werde dir Kleidung beschaffen, die passt, und du kannst essen, wann immer du willst und so viel wie du möchtest. Für jede Schramme und jeden blauen Fleck wird es einen Arzt im Rudel geben, der für dich da ist, und falls jemand dir Probleme macht, kümmere ich mich darum. In meinem Rudel wird niemand dich schikanieren."

'Unser Rudel!', fügte sein Wolf eilig hinzu. Leider hörte nur Damon ihn.

Talia blinzelte. Sie fragte sich nicht mehr, ob ihre Ohren sie täuschten, sondern ob die letzte Prügelei ihr Gehirn verwirrt hatte.

Oder vielleicht stimmte etwas mit ihm nicht. Hatte er etwas Seltsames gegessen und sprach nun wirres Zeug? Es gibt Kräuter, die Menschen Dinge sagen lassen, die sie nicht wirklich meinen. Oder hatte er sie vielleicht mit Prinzessin Marcy verwechselt?

Es ist nicht so, dass Talia nicht daran gedacht hatte, das Rudel des Roten Mondes zu verlassen.

Jedes Mal, wenn Anna und ihre Handlanger Talia schikanierten, überlegte sie zu fliehen, aber sie wusste nicht wohin.

Und jetzt bot ihr ein Alpha ein neues Zuhause mit all dem Luxus, den sie sich je erträumt hatte – vorausgesetzt, das alles war echt und sie waren beide bei klarem Verstand.

Talia überlegte, ob das alles nur ein Scherz war, oder ob sie sich die gesamte Konversation nur einbildete, oder ob sie vielleicht schlief und ihre Träume sich mit der Geschichte von Aschenputtel vermischt hatten, denn Damon sah definitiv aus wie ein Prinz. Ein gut aussehender Prinz, der nach Wald und dunkler Schokolade roch.

"Kommst du mit?", fragte Damon, als seine Geduld nachließ.

"Warum willst du, dass ich mitkomme?"

"Weil ...", Damon stockte die Worte im Hals.

Konnte er ihr sagen, dass sie seine Gefährtin ist und dass es seine Seele schmerzte, wenn er sie verletzt sah? Nein, das würde sie nur verschrecken.

Konnte er ihr sagen, dass es ihm fast unmöglich war, sich von ihr fernzuhalten? Wenn sie nicht freiwillig mitkam, würde er sie entführen oder vielleicht zu ihr auf den Dachboden ziehen. Ah, er kam sich selbst wie ein Unhold vor!

Damon war frustriert. Das wäre alles einfacher, wenn sie die Verbindung und die köstlichen Funken spüren könnte, die in ihm zum Leben erweckten.

"Weil ...", wiederholte er. "Ich fühle mich verantwortlich. Du bist wegen mir verletzt worden, und das ist nicht richtig. Lass mich dir helfen. Es wird mir besser gehen." Das war die Wahrheit. Zumindest teilweise.

"Nimmst du jedes Mädchen, das verletzt wird, in dein Rudel auf?"

Nicht wirklich. Aber er war nicht der Typ, der vor Ungerechtigkeit die Augen verschloss. Doch er konnte Talia auch nicht sagen, dass sie etwas Besonderes für ihn war.

"Wenn du ins Rudel der Dunklen Heuler kommst, wirst du selbst sehen, dass wir jeden aufnehmen, der ohne böse Absichten um Hilfe bittet. Ich verspreche dir, falls es dir bei den Dunklen Heulern nicht gefällt, werde ich dir helfen, dich an einem Ort deiner Wahl niederzulassen."

Mit seinem Zeigefinger malte Damon ein Kreuz über seiner Brust, wo das Herz schlägt, um seine Aufrichtigkeit zu unterstreichen. Doch sein unausgesprochenes Versprechen enthielt die Zusicherung, dass er dafür sorgen würde, dass sie gut behandelt wird und nie wieder fortgehen will.

Talia biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, während sie ihre Optionen abwog.

Die eine war, im Rudel des Roten Mondes zu bleiben, wo Annas Mobbing immer schlimmer wurde und auch Marcy begann, auf ihr herumzuhacken. Gestern kam Marcy in den Dachboden und Talia bekam Schläge für etwas, was sie nicht getan hatte.

Die zweite Möglichkeit war, sich dem Dunklen Heuler-Rudel anzuschließen. Alpha Damon hatte gesagt, man würde in seinem Rudel akzeptiert. Konnte es schlimmer sein als hier? Wahrscheinlich nicht.

Natürlich gab es auch die dritte Option, dass Talia irgendwohin alleine ging, aber das war beängstigend und ungewiss – eine Möglichkeit, die auch bestand, sollte sie mit Alpha Damon gehen.

Damon sah, dass Talia ernsthaft nachdachte, und sprach mit Nachdruck, bevor sie sein Angebot ablehnen konnte. "Pack deine Sachen. Du musst nur sagen, dass du das Rudel des Roten Mondes und Edward Redmayne als deinen Alpha verachtest, dann wird die Gedankenverbindung unterbrochen. So bist du frei zu gehen, und sie können dich nicht aufspüren."

Talia schüttelte den Kopf. "Ich habe die Gedankenverbindung nie gehabt. Der Vater von Alpha Edward hat mich als Kind hierhergebracht und ich habe nie die Zeremonie durchlaufen."

"Prima!", rief Damon lauter heraus, als beabsichtigt. Sie gehörte nirgendwohin und er war mehr als bereit, ihr ein Zuhause zu geben. Bei ihm. "Hol deine Sachen."

"So einfach?"

Damon nickte. "Ganz genau so."

Talia hielt inne und beschloss, die Frage zu stellen, die sie seit dem Moment quälte, als er auf den Dachboden kam. "Woher weiß ich, dass du mich nicht täuschst?"

Damon stand auf und Talia spürte eine Gänsehaut, als sein Körper sich von ihrem löste.

Er streckte seine Hand mit geöffneter Handfläche zu Talia aus. "Lass es mich dir beweisen."

Sie sah in seine eisblauen Augen, die sie erwartungsvoll anblickten und… sie glaubte ihm.

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