"Ich bin am Leben! Ich bin..."
"Madame!"
Heaven zuckte zusammen, und ihre Arme schlossen sich schützend vor ihrer Brust. Sie drehte sich zur Tür um, wo sie jemand in panischer Stimme ihren Namen rufen hörte.
In der Tür stand eine mittelalte Frau gekleidet in der Uniform eines Hausmädchens, ihr Gesichtsausdruck war entsetzt. Sie schaute Hera an, als hätte sie einen Geist gesehen.
"Fräulein! Was haben Sie getan? Warum sind all diese Pillen auf dem Boden verstreut?" rief sie. Das Hausmädchen betrachtete die verstreuten Pillen mit einem schockierten Blick. Sie legte die Hand auf ihre Brust und sah die junge Dame an.
Sie hieß Miriam.
Eilends hob Miriam die Pillen vom Boden auf. Heaven fuhr sich nachdenklich übers Kinn und beobachtete Miriam, während sie in den Erinnerungen wühlte, die die wirkliche Heaven hinterlassen hatte.
Miriam diente der Familie Zhu seit Jahrzehnten als Hausmädchen. Ihr Leben widmete sie dem jungen Herrn Dominic Zhu, Heavens Ehemann. Selbst jetzt, da Dominic zu einem stattlichen Mann herangewachsen und bereits verheiratet war, diente sie ihm weiterhin. Nun war sie allerdings das Kindermädchen von Heaven und Dominics Sohn.
Nach Heavens Erinnerungen war Miriam die einzige Person im Haushalt, die ihr wirkliches Interesse entgegenbrachte. Zwar konnte Heaven ihr Herz nicht für Miriam öffnen, doch im Gegensatz zu allen anderen duldete sie dieses Hausmädchen.
"Madame! Wollen Sie sich erneut das Leben nehmen?" Heavens Gedanken wurden unterbrochen, als Miriam sich auf den Bettrand setzte. Sie sah die Frau mittleren Alters an, deren Gesicht eine Mischung aus Emotionen zeigte. "Was sind das für Tabletten?"
Heaven blickte auf Miriams offene Handflächen. Die Tabletten, die Heaven zu schlucken versucht hatte, lagen dort wie eindeutige Beweise dessen, was dieser Körper zu tun versucht hatte. Sie betrachtete die Tabletten erneut und räusperte sich dann.
"Madame...", Miriam runzelte die Stirn und versteckte die Tabletten in der Tasche ihrer Schürze. Dann griff sie nach Heavens Händen und drückte sie sanft. Ihre Lippen öffneten sich, doch keine Worte kamen heraus. Sie konnte die junge Dame nur besorgt ansehen.
Miriam war sprachlos und wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie hatte ihr Bestes gegeben, der jungen Madame Ratschläge erteilt und ihr Möglichkeiten eröffnet. Doch leider verfiel Heaven immer wieder in ihre alten Muster. Trotz Tage, an denen Heaven neue Hobbys ausprobierte, wurden die aufdringlichen, negativen Gedanken in ihrem Kopf immer übermächtig.
"Miriam", sagte Heaven und ihre Lippen formten eine schmale Linie.
Es stimmte, Heaven hatte letzte Nacht versucht, sich das Leben zu nehmen, aber im letzten Moment hatte sie es sich anders überlegt. Doch der Tod kam trotzdem, denn ein Eindringling hatte die ursprüngliche Heaven erwürgt.
Wie sollte sie das erklären, ohne Panik zu verursachen?
Würde man ihr überhaupt noch Glauben schenken?
Tiefe Falten bildeten sich zwischen Heavens Augenbrauen, als sie über den Tod der ursprünglichen Heaven nachdachte. Als sie erwachte, waren die Erinnerungen der echten Heaven intakt. Deshalb wusste die Seele im Inneren des Wirtskörpers bereits, wie das wirkliche Leben der echten Heaven aussah.
Es war die Hölle."Madam, haben Sie nicht einen Funken Zuneigung für den jungen Herrn?" Heaven wurde durch Miriams Frage aus ihrem inneren Durcheinander gerissen. "Ich weiß, Sie sind unglücklich, aber der junge Herr hat Probleme in der Schule."
Heaven richtete ihren Blick langsam wieder auf Miriam. Es war das erste Mal, dass diese Frau solche Worte sprach, denn sie wusste, dass Heaven diese Ehe nicht wollte, geschweige denn "dieses" Kind. Für die ursprüngliche Heaven war Dominic Zhu der Mann, der ihr alles genommen hatte.
"Madam, ich weiß, ich überschreite meine Grenzen, aber bitte", drückte Miriam sanft Heavens Hand und flehte sie fast an. "Können Sie es wenigstens versuchen?"
Miriam machte sich auf eine unangenehme Reaktion Heavens gefasst. Heavens Sohn und Ehemann waren für sie fast wie ein Tabu. Niemand durfte sie erwähnen, wenn sie anwesend war; das war kein Geheimnis für alle Bediensteten im Haushalt.
Die Erwähnung ihrer Namen würde Heaven sofort in eine schreckliche Stimmung versetzen. Dass Miriam so mutig war, davon war der jetzige Himmel überzeugt, dass Miriam genug hatte. Oder aber Miriam machte sich Sorgen und versuchte diesmal eine andere Vorgehensweise.
Ich kann es ihr nicht verübeln. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass Heaven versucht, sich umzubringen.' Heaven zuckte innerlich mit den Schultern. 'Aber dieses Mal ist sie gestorben. Oder besser gesagt, ermordet.'
"Ich weiß, dass Madam den Meister und den jungen Meister nicht mochte, aber der junge Meister ist immer noch dein Kind. Der junge Meister hat sich gestern mit seinem Mitschüler geprügelt, was er sonst nicht tut. Ich mache Ihnen keine Vorwürfe, Madam, aber ein Kind braucht immer noch die Zuneigung und Führung einer Mutter", fuhr Miriam mit einem tiefen Seufzer fort. "Nun, die Schule hat einen Brief an Madam und Master geschickt, um diese Angelegenheit zu regeln. Madam, vielleicht, wenn Sie es versuchen... Sie werden lernen, den jungen Herrn und den Meister zu lieben."
'Huh... diese Frau...', kicherte Heaven amüsiert vor sich hin. '... sie ist wahrscheinlich bereit zu sterben, damit sie ihre Grenzen überschreitet.'- Oder vielleicht hatte Miriam es einfach satt, Heaven zu drängen, sich ihrem Mann und ihrem Sohn zu öffnen.
'Heaven, du bist eine furchtbare Mutter und eine schreckliche Ehefrau', dachte Heaven bei sich. Auch wenn ich verstehe, woher du kommst, solltest du nicht nur deinem Mann die Schuld an deinem Elend geben. Gib dir selbst die Schuld, weil du dich nicht bemüht hast, auch nur ein kleines bisschen.'
'Mach dir keine Sorgen. Ich werde dieses Leben, das du nicht hattest, in Ehren halten', fügte Heaven innerlich hinzu und ergriff diesmal Miriams Hände.
"Sicher", lächelte Heaven und überraschte Miriam mit dem plötzlichen Zeichen der Zuneigung.
"Su - sicher?"
"Mhmm. Sicher", nickte Heaven. "Ich werde mein Bestes tun, um diese Familie zu reparieren, anstatt nach Wegen zu suchen, mich umzubringen."
Miriam blinzelte mehrmals, fast hätte sie einen ungläubigen Gesichtsausdruck bekommen. Hatte sie richtig gehört?
"Madam, Sie wollen sagen ...?"
"Ich will damit sagen, dass ich mit dem Tod, den Gefahren und allem, womit ich in der Vergangenheit zu tun hatte, fertig bin." sagte Heaven fest. Dann ließ sie Miriams Hände los und begann, ihr tiefschwarzes Haar zurück zu kämmen. "Und ich bin sehr bereit, das Leben, das ich jetzt habe, anzunehmen."
Heaven zwinkerte, ihre Augen waren voller Leben, als sie fortfuhr: "Mit anderen Worten, bereite mir das Frühstück vor, während ich mich verziehe. Hast du nicht gesagt, dass mein Sohn in eine Schlägerei geraten ist? Ich würde gerne sehen, wer meinem Baby wehgetan hat."
Miriam sah die schillernde Frau an, die sie selbstbewusst anlächelte. Seit Heaven in diesen Haushalt eingetreten war, hatte sie immer diesen düsteren Blick. Sie zog es vor, die Dinge für sich zu behalten, genoss ihre eigene Gesellschaft und die Einsamkeit.
Dies war das erste Mal, dass Miriam Heaven mit einer solchen Vitalität, einem solchen Leben, gesehen hatte. Aber noch überraschender war, dass Heaven den jungen Meister als ihren Sohn bezeichnete. Heaven hat ihren Sohn nicht ein einziges Mal in den Arm genommen oder die Existenz des jungen Meisters überhaupt zur Kenntnis genommen. Niemals.