William lauschte gespannt, als der alte Mann von seinen Abenteuern und den Städten erzählte, die er in seiner Jugend besucht hatte. "Herr Herman, wissen Sie etwas über den Zentralkontinent?" fragte William neugierig.
"Der Zentralkontinent? Ich habe dort einige Jahre verbracht", antwortete Herman. "Dort treffen sich die Eliten von allen Kontinenten. Warum fragst du? Möchtest du dort hinreisen, William?"
"Ich bin mir nicht sicher", sagte William und schüttelte den Kopf. "Es könnte sein, dass mein Meister mich bittet, dorthin zu gehen, wenn ich älter bin."
"Dein Meister..." Herman warf einen Blick auf das Halsband an Williams Hals. Er hatte bereits bemerkt, dass es ein Sklavenhalsband war, sprach es aber nicht an.
Obwohl das Hellanische Königreich den Sklavenhandel nicht unterstützt, hat es nicht versucht, ihn vollständig abzuschaffen. Sklaven wurden sogar in der Hauptstadt verkauft. Für Herman war es traurig zu sehen, dass ein Junge wie William das Eigentum jemandes geworden war.
"Ah, dies?" William fasste an sein Halsband. "Das ist nur ein Accessoire. Mein Meister hat es mir als Geschenk gegeben."
"Ich verstehe..." Herman empfand gemischte Gefühle. Er hätte Williams Meister verfluchen können, ein Kind dazu zu bringen, sein Sklave zu werden. Doch so weit er sehen konnte, hegte William keinen Groll gegen seinen Meister. Tatsächlich schien er ihn wirklich zu respektieren.
"Junger Mann, wie ist dein Meister so?"
"Meister? Sie ist die verrückte Art von verrückt - ich meine, wirklich eine beeindruckende Person. Sie behandelt mich sehr gut."
Ein Schnauben war aus dem Inneren der Kutsche zu hören. Die Stimme einer Frau, die Verachtung ausstrahlte, erreichte William. Sie machte den Eindruck, als wäre sie schlechter Laune.
"Ich wette, dein Meister hat dich versklavt, weil du ein Halbelf bist", sagte die Frau verächtlich aus der Kutsche. "Vielleicht wird sie dich zu ihrem Spielzeug machen, wenn du erwachsen bist. Ein gut aussehender Junge wie du wird auf dem Schwarzmarkt sicherlich viel einbringen."
"Es stimmt, ich sehe sehr gut aus", erwiderte William mit einem Lächeln. "Danke für das Kompliment, Mylady."
"Ich mache dir kein Kompliment!", fauchte die Frau. "Ich sage dir nur, dass es dumm ist, versklavt zu sein!"
William kratzte sich hilflos an der Seite des Gesichts. Auch er wollte kein Sklave sein, aber die Umstände waren eben besonders. Und die Vorstellung, das Spielzeug seines Meisters zu werden...
William schluckte bei dem Gedanken daran, dass Celine ihm mit ihrem schlanken Fuß in den Rücken treten würde...
'Ah Pei! Was denke ich nur?! Ich bin doch kein Masochist!', schüttelte William die unangebrachten Gedanken ab.
"Nana, bitte, sei nicht unhöflich", tadelte eine Stimme, die einem kleinen Jungen zu gehören schien, die Frau. "Entschuldigen Sie bitte ihren Ausbruch. Sie ist kein großer Fan von Sklaverei."
"Das macht nichts", erwiderte William. "Ich bin auch kein großer Fan davon."
Das waren ihre letzten Worte, bevor sie ihre Reise fortsetzten. Die peinliche Stille machte Herman innerlich seufzen, da er eigentlich gerne weiter mit William gesprochen hätte.
"Meeeeeeeeh!" meckerte Ella, als sie William ihre Gedanken mitteilte.
"Oh? Es gibt eine Lichtung voraus, Mama?" fragte William.
"Meeeeeeh."
"Herr Herman, da vorne ist eine Lichtung", sagte William mit einem Lächeln. "Ein guter Ort für eine Rast. Wie wäre es, wenn wir dort zu Mittag essen?"
"Klingt nach einem guten Plan", nickte Herman.
Sie erreichten eine Lichtung am Flussufer, wo die Ziegen vergnügt zum Trinken trabten. William folgte ihnen, um seine Wasserflasche aufzufüllen.
Er ahnte nicht, dass ein Paar klarer, hellbrauner Augen ihn beobachtete, während er aus der Kutsche herausblickte.
"Er ist ein interessanter Junge", sagte Est, als er den Vorhang der Kutsche schloss. "Du bist zu hart mit ihm, Nana."
"Es tut mir leid, junger Herr", entschuldigte sich Nana. "Es ärgert mich, dass diese Sklavenhändler über die Stränge schlagen und sogar so junge Kinder versklaven!"
"Glaubst du wirklich, dass das der Fall ist?" fragte Est.
"Junger Herr?"
"Das Halsband an seinem Hals war aus Mithril. Findest du nicht auch, dass reines Mithril zu verwenden um ein Sklavenhalsband herzustellen, eine Verschwendung ist?"Jetzt, wo du es erwähnst..." musste Nana zugeben, dass ein Mithril-Halsband für einen Sklaven zu luxuriös war. Selbst wenn William ein sehr gutaussehender Halbelf war, so war ein Halsband dieses Kalibers unerhört.
Tatsächlich war es das erste Mal, dass Nana ein reines Mithril-Halsband zu Gesicht bekam.
Die Zwillingsjungen Isaac und Ian, die neben Est saßen, blickten ihn verwirrt an.
"Junger Meister, ist an diesem Sklavenhalsband etwas Besonderes?", fragte Isaac.
"Junger Meister, hat ein Mithril-Sklavenhalsband besondere Merkmale?", fügte Ian hinzu.
"Ich weiß nicht, ob das Halsband an sich besonders ist", schüttelte Est den Kopf, "aber ich weiß, dass Williams Herr wohl keine gewöhnliche Person sein kann. Es ist das erste Mal, dass ich ein Sklavenhalsband aus Mithril sehe, und auf den ersten Blick erkenne ich seine außergewöhnliche Qualität."
Nana und die Zwillinge beruhigten sich und beobachteten William durch das Fenster der Kutsche. Herman war ebenso zum Fluss gegangen und fing gegenwärtig Fische mit seinem Speer.
"Der alte Narr hat seine Sympathie für den Jungen entdeckt", schnaubte Nana, "er ist offensichtlich schwach, wenn es um Kinder im Alter seines Enkels geht."
"Das sagst du wohl, aber hast du nicht ebenso eine Zuneigung zu ihm entwickelt?" Est lächelte schelmisch. "William ist ein guter Mensch. Selbst ich fühle mich zu ihm hingezogen."
"Solange er uns auf unserer Reise nicht im Weg ist, habe ich nichts dagegen, wenn er uns begleitet." Nana schloss ihre Augen und tat so, als hätte sie Est's Frage nicht gehört.
Plötzlich begann die Kutsche zu rütteln.
"Ein Erdbeben?!" riss Nana ihre Augen auf. "Isaac, Ian, bleibt an der Seite des jungen Meisters!"
Die Zwillinge nickten, zogen ihre Dolche und traten an Ests Seite. Nana stieg aus der Kutsche, um sich ein genaueres Bild von der Lage zu machen.
Herman hielt Wache bei der Kutsche und hielt seinen Speer fest in der Hand. Als das Beben begann, lief er sofort zur Kutsche, um seinen jungen Meister zu beschützen.
William, Ella und der Rest der Ziegen bildeten eine Kampfformation um William in der Mitte. Der junge Junge saß ruhig auf Ellas Rücken und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung.
In diesem Augenblick tauchten zwei Bergtrolle, so groß wie kleine Hügel, auf der Lichtung auf. Sie trugen Baumstämme in ihren Händen als Waffen.
"Trolle", Nana verengte die Augen. "Ich übernehme einen, du kümmerst dich um den anderen."
"Verstehe", entgegnete Herman.
Nana zog ihr Schwert und stürmte auf einen der Trolle zu. Herman lief neben ihr her und beide griffen die Trolle an, um sie von der Kutsche fernzuhalten.
Die beiden Bergtrolle gehörten zu den oberen Bedrohungen der Gefahrenstufe B und waren sehr schwer zu töten. Ihre Haut war felsenhart und ihre unglaubliche Kraft machte sie zu tödlichen Kolossen. Diese speziellen Bergtrolle besaßen zudem eine lästige Regenerationsfähigkeit, welche die Kämpfe gegen sie zum Kopfzerbrechen machten.
Auch Nana und Herman hatten ihre Probleme, da sie die Trolle nicht töten konnten, es sei denn, sie benutzten Feuer oder Säure. Das Einzige, was sie tun konnten, war sie immer wieder zu verwunden, bis die Monster einsehen würden, dass sich der Kampf nicht lohnte.
Während des Kampfes stürmte plötzlich ein weiterer Troll auf die Lichtung zu, brüllend. Er rannte mit einer riesigen Holzkeule auf die Kutsche zu, in der Absicht sie zu zerschlagen.
"Nein! Junger Meister!"
"Junger Meister!"
Nana und Herman hatten die Trolle zuvor weggelockt, in der Hoffnung, einen Angriff auf die Kutsche zu verhindern. Was sie nicht wussten, war, dass die Trolle die gleiche Strategie verfolgten. Sie spürten die Anwesenheit der beiden mächtigen Krieger und entschieden sich aufzuteilen, um sie von ihrer Beute abzulenken.
Der dritte Bergtroll war nur noch fünf Meter von seinem Ziel entfernt, als sich plötzlich die Tür der Kutsche öffnete. Drei Gestalten sprangen hinaus und rannten auf William zu.
Als der Bergtroll sah, dass seine Beute floh, entschloss er sich zur Verfolgung. Seine Schritte waren größer und schneller als die der Kinder, er überholte sie mühelos. Est und die Zwillinge konnten nur entsetzt zusehen, wie das Ungeheuer seine gewaltige Holzkeule ohne jegliche Gnade schwang.
Nana und Herman wollten zurückkehren, um ihren jungen Meister zu retten, aber die zwei Trolle versperrten ihnen den Weg.
"Junger Meister!" schrie Nana verzweifelt aus. Sie spürte Reue und Hilflosigkeit, als das Monster auf ihren jungen Meister zuschoss. "Es tut mir leid, meine Dame. Es tut mir leid!"
Herman biss die Zähne zusammen und brüllte vor Wut. Die Verzweiflung stand in seinem Gesicht, während er die Tragödie betrachtete, die sich nun entfalten würde.
In diesem Moment sprang eine zwei Meter große Ziege über die drei Kinder. Die große Ziege trat der herabstürzenden Keule entgegen, auf ihrem Rücken saß ein Junge mit Haaren so rot wie ein lodernes Feuer. Sein Holzstab war bereit zum Schlag, ähnlich einem Speerkämpfer auf seinem Schlachtross.
Ests schöne braune Augen beobachteten, wie der kleine Junge, der in seinem Alter war, direkt vor seinen Augen ein Wunder vollbrachte.