Sein Verstand löste sich sofort von seinen Begierden.
"Du... du bist noch Jungfrau...", begann er und schüttelte langsam den Kopf.
Als das Mädchen zustimmend nickte, verengten sich seine schwarzen Pupillen.
Er schloss die Augen und holte tief Luft. Als seine Wimpern sich wieder öffneten, konnte er er einen kurzen Moment von Wut in seinen Zügen nicht verbergen.
"Erzähl mir… warum bist du noch unberührt?" Er leckte sich über die Innenseite seiner Wange, als würde ihm gerade bewusst werden, wie albern seine Frage klingt.
"Weil ich noch nie einen Freund hatte", antwortete sie und ließ ihm keine andere Wahl, als nachzubohren.
"Aber warum denn?"
"Ich weiß nicht... Ich habe noch nicht wirklich darüber nachgedacht."
Er hatte das merkwürdige Gefühl, dass ihre Antwort diesmal nur eine Halbwahrheit war. Vielleicht weil ihr Gesicht ein wenig verlegen wirkte, als ob sie nicht wüsste, wie man lügt.
"Erzähl mir nicht, dass du noch nie geküsst worden bist", fuhr er fort.
Und wieder blinzelte sie. Sie saß einfach stumm da und schaute sich im Raum um.
Er konnte nicht anders, als den Kopf ungläubig zu schütteln und sich mit den Händen durch die Haare zu fahren. Ihm war zwar klar gewesen, dass dieses naive Mädchen vielleicht noch nie mit einem Mann zusammen war, aber dass sie noch nicht einmal geküsst worden war, schien ihm schier unglaublich. Hatte sie vielleicht anfangs den Plan, Nonne zu werden und dann ihre Meinung geändert? Wie konnte sie sich überhaupt auf jemanden wie ihn einlassen?
Er erhob sich und zog sich an.
"Zieh dich an" befahl er und die immer noch geschockte Abigail stand auf und bedeckte sich mit einem Laken.
"Ich... ich... warte... habe ich den Test bestanden?"
"Nein, du bist durchgefallen", erwiderte er und fuhr erneut mit der Hand durch sein Haar.
Abigail sah schockiert aus.
"W-warum? Habe ich dir etwa gar nicht gefallen?" fragte sie.
"Ich mache nichts mit Jungfrauen", antwortete er, während er sich anzog. "Zieh dich jetzt an. Ich bringe dich nach Hause."
Sie bewegte sich nicht. Sie stand nur da und schien nicht glauben zu können, was er gerade gesagt hatte. Nach einer langen Pause schüttelte sie den Kopf. "Nein. Ich gehe nicht nach Hause. Nicht bevor ich deinen Test bestanden habe und zu deiner Freundin geworden bin."
"Ich habe es dir gesagt. Ich mache nichts mit Jungfrauen. Ich mag keine unerfahrenen Mädchen. Du hast den Test nicht bestanden", wiederholte er.
In diesem Moment war sich Abi nicht sicher, warum sie das fühlte, aber sie hatte den Eindruck, dass sie ihn vielleicht nie wiedersehen würde, wenn sie jetzt aufgeben würde. Die Erfahrung, die sie gerade gemacht hatte - seine Berührung, sein Kuss - war berauschend. Trotz ihrer Nervosität gab es eine Sache, die sie sicher wusste: Sie hatte es genossen. Sie mochte das Gefühl seiner Finger und Lippen auf ihrer Haut, die Klangfarbe seiner Stimme und das sanfte Streicheln seines Atems. Sie sehnte sich danach, das alles noch einmal zu erleben. Sie wusste nicht warum, aber sie war sich sicher, dass sie diese Gefühle nie wieder empfinden würde, wenn sie diesen Mann losließe. Irgendetwas in ihr flüsterte ihr hartnäckig zu, dass dieser Mann ihre letzte Chance war. Der erste und letzte Mann in ihrem Leben.
Mit sturer Entschlossenheit blitzten ihre Augen auf, als sie aufstand und sich ihm entgegenstellte. "Okay, wenn ich also als erfahrene Frau zurückkomme, habe ich den Test bestanden, stimmt's? Meinst du das?"
Er hielt inne. Seine Hände, die gerade dabei waren, sein Jackett zu richten, blieben in der Luft hängen.
"Was hast du gesagt?"
"Das ist es, was du willst, oder? Dann gehe ich jetzt raus und sammle ein bisschen von dieser sogenannten Erfahrung... bis du keinen Grund mehr hast, mich abzuweisen."
Seine Augen weiteten sich leicht, ein subtiler Wechsel seiner sonst so gelassenen Haltung. Die Falte auf seiner Stirn verriet eine Spur von Überraschung, während eine unausgesprochene Anspannung seine Gesichtszüge verhärtete.