Chereads / Die Sünde des Lycaners / Chapter 6 - Wütender Ex-Freund

Chapter 6 - Wütender Ex-Freund

Ava schreckte plötzlich aus einem gefühlt langen, traumlosen Schlaf auf.

Der Schmerz in ihrem Hinterkopf ließ sie die Stirn runzeln. Ihre Hand fand ihren Weg zu ihrem Nacken, als sie den Raum, in dem sie sich befand, eingehender untersuchte.

Ein gemütlicher Perserteppich brachte sie sofort zur Erkenntnis, dass sie nicht in einem Krankenhaus war. Ein kleines Schränkchen, das wohl etwas neue Farbe vertragen könnte, stand zu ihrer Linken. Ein Tisch mit Lampe und ein kleiner Kamin befanden sich direkt am Fußende ihres Queen-Size-Bettes, das mit gedämpft gefärbten Laken geschmückt war. Sie befand sich in jemand anderem Haus. Wem es gehörte, wusste sie nicht.

Sie schloss die Augen.

Das Zimmer roch alt und verstaubt, doch die Laken dufteten, als wären sie gerade erst ausgetauscht worden.

Ihr Gesicht verdüsterte sich, als sie bemerkte, dass Personen vor ihrem Zimmer standen.

Hexen, nahm sie an.

"Ich weiß, dass sie wach ist! Lasst mich rein!"

Avas Blick fiel auf die braune Holztür. Die Stimme des Mannes draußen klang vertraut - zu vertraut. Sie runzelte die Stirn. Ihre Erinnerung wies sie auf eine bestimmte Person aus ihrer Vergangenheit hin.

Doch diese Person war vor langer Zeit verschwunden.

War das ein weiterer Traum?

"Ich kann nicht..."

"Warum? Ich muss mit ihr reden." Sein Zorn hallte im ganzen Haus wider. Er war düster und hart und sie mochte das nicht.

"Nein, das musst du nicht."

"Ich sagte, lass mich rein! Ich muss wissen, wo Amelia ist!"

"Ich habe dir gesagt! Sie ist noch nicht wach!"

Die zweite Stimme klang wie die eines Teenagers.

"Ich sagte, lass mich rein!"

"Nein!"

"Was geht hier vor?" Eine weitere Stimme. Diese gehörte einer älteren Frau. Trotzdem sie heiser klang, trug die Stimme eine gewisse Autorität. Ava blinzelte. War dies eine hochrangige Hexe? Sie überlegte, ob sie so tun sollte, als ob sie noch schliefe.

"Ich möchte mit ihr sprechen."

Ava hörte ein Seufzen, bevor sich der Türknauf drehte. Sie richtete ihren Blick auf den ersten Mann, der das Zimmer betrat.

Broody Jones.

Genauso, wie sie es erwartet hatte. Für ein paar Sekunden verharrte ihr Blick auf seinem Gesicht, während ihr Kopf sich mit Erinnerungen aus der Vergangenheit füllte.

Er hatte sie fast vor zwei Jahren verlassen, nachdem sie eine dreijährige Beziehung geführt hatten. Sie hatte erwartet, etwas zu empfinden, wenn sie ihn wiedersehen würde.

Sie hatte sich geirrt.

Der Mann vor ihr fühlte sich wie ein Fremder an.

Ein Fremder, den sie einst kannte.

"Wo ist sie?" Broody machte zwei große Schritte auf sie zu. Seine Größe von über 1,80 Meter schien den Raum kleiner wirken zu lassen.

"Wer?"

"Hör auf mit dem Unsinn, Ava! Wo ist meine Frau!?"

"Deine Frau?" Also hatte er geheiratet. Sie war ein wenig überrascht. Broody müsste ein Jahr älter sein als sie. Also... siebenundzwanzig? Sie hatte ihn nie als jemanden gesehen, der in diesem Alter heiratet.

"Amelia! Wo ist Amelia!"

In ihrem Kopf löste sich ein Rätsel. Ihr Blick wanderte zu der älteren Frau und dann zu Broody.

"Ich weiß nicht— "

"Dann warum warst du in ihrer Hütte?"

"I— "

"Warum warst du in ihrer Hütte?"

Ava konnte nur mit Mühe ein Augenrollen unterdrücken. Sie hatte immer gewusst, dass Broody nicht der Hellste war, selbst als sie noch eine Beziehung hatten, aber das… war er nicht ein bisschen zu dumm?

Sie sah die ältere Frau an. "Schicken Sie ihn aus meinem Blickfeld."

"Sie— " Broodys Augen waren blutrot, sie quollen aus den Höhlen, während er seine Hände zu Fäusten ballte. "Wie können Sie es wagen— "

"Jetzt", sagte Ava. Das war kein Vorschlag. Es war ein Befehl. Sie musste diesen Mann aus den Augen lassen, bevor sie die Kontrolle verlor.

"Gut... bring ihn runter." Sagte die ältere Frau. Sofort traten zwei kräftige Männer in das kleine Zimmer und packten Broodys Arme. Trotz Broodys massiven Erscheinung, konnten die beiden Männer ihn leicht unter Kontrolle bringen und forderten ihn auf, sich zu beruhigen.

Genau wie sie es wollte, brachten sie ihn aus dem Raum.

"Ich nehme an, Sie sind die Hohepriesterin?" Ava strich sich über den Hinterkopf, als sie ihren Fuß auf den Teppich setzte. Keine Schuhe. Aber ihre Socken waren noch da. Sie trug auch die gleiche schwarze Kleidung, die sie schon vor ihrer Bewusstlosigkeit getragen hatte. Sogar ihr Handy, was sich an ihrem Mantel befand, war noch da.

"Ich bin schockiert über den Mangel an Respekt." Die ältere Frau hielt ihr Halstuch enger. "Ich habe nicht erwartet, dass eine Hexenschwester eine Priesterin herumkommandiert."

"Stimmt," antwortete Ava.

"Ich habe von Leuten wie dir gehört. Hexen und Wandler, die existieren, um ihre Artgenossen festzunehmen." Die Frau ging zum Kamin und legte ein paar Holzscheite auf das fast erloschene Feuer. Ava hatte bereits die Temperatur bemerkt, aber sie hat sich darüber keine Gedanken gemacht.

In dem Moment, in dem sie die Augen öffnete, dachte sie sofort an das, was passiert war. Jemand hatte sie von hinten attackiert. Der Angreifer hatte einen Vorteil, aber er oder sie hat tatsächlich ihr Leben verschont. Doch warum?

"Bist du also wegen Amelia hier?" fragte die Frau.

"Ja."

"Ah... entschuldige meine Umgangsformen." Die Lippen der Frau wurden dünner. "Man nennt mich Patricia."

Sie nickte als Antwort. Patricia. Ava erkannte den Namen. Nein, sie erkannte nicht nur den Namen, sie erkannte auch das Gesicht der Frau. Vorhin war sie sich da nicht so sicher gewesen. Aber jetzt war sie sich sicher, dass dies dieselbe Patricia war, die ihre Mutter kannte.

Diese Frau war damals noch keine Priesterin.

"Ava", antwortete sie.

"Du bist genauso kalt wie die Gerüchte."

Ihre Augenbrauen hoben sich. "Gerüchte?"

"Über Trillium." Patricias Lippen wurden dünner. Sie starrte Avas Kleidung an und ihre ohnehin schon faltigen Augenbrauen furzelten sich noch mehr. "Bitte missverstehe meine vorherigen Kommentare nicht. Es war das erste Mal, dass ich mit... jemandem aus Trillium gesprochen habe."

"Kein Problem." Trillium ist eine Organisation, die dafür sorgt, dass die Hexen und Wandler im Zaum gehalten werden. Deswegen nimmt Trillium nur die besten Krieger und die besten Hexen auf.

Das bedeutete, dass die Anzahl der Beamten auf einem Kontinent nur auf einer Hand abgezählt werden kann.

"Wir haben dich vor Amelias Haus gefunden. Du hast drei Stunden lang geschlafen. Wir dachten, etwas müsste geschehen sein, aber jemand aus dem Hexenzirkel hat uns versichert, dass du gesund bist. Also haben wir dich nicht ins Krankenhaus gebracht."

Wieder nickte sie. Manche Hexen haben Fähigkeiten, die jenseits menschlichen Verständnisses liegen. So wie sie ein Empath war und in Träumen wandern konnte, haben andere die Fähigkeit zu heilen und manche können sogar ein bisschen Gedanken lesen.

Hexen nennen diese "Gaben". Und eine Hexe kann nur eine "Gabe" haben.

Warum Ava drei dieser Gaben hatte... sie wusste es nicht. Und ehrlich gesagt, es war ihr schon lange nicht mehr wichtig.

"Priesterin... ich habe den Tee hier."

"Komm rein, Lovella..."

Eine Frau in einem himmelblauen Kleid betrat das Zimmer. Sie senkte den Kopf, während sie den Tee vorsichtig auf dem Tisch neben Avas Bett abstellte, und ging dann ohne ein Wort zu sagen.

"Tee? Wir haben ihn erst vor ein paar Tagen geerntet. Bei... Ängsten sollte er hilfreich sein."

Ava konnte die Aufrichtigkeit der Frau spüren. Sie wusste, dass die Frau sie für seltsam hielt und ziemlich neugierig auf sie war. Sie konnte es fühlen, wie sie sie genau musterte. Glücklicherweise benutzte sie keinen Zauber, um Ava's Kopf zu durchdringen.

"Danke, aber ich muss jetzt gehen."

"Wirst du noch einmal Amelias Hütte besuchen?"

"Ich habe einen Job zu erledigen."

"Entschuldige bitte, aber ich glaube nicht, dass Broody dir erlauben würde..."

"Das ist nicht seine Angelegenheit." Ava stand auf. Sie fand ihre Stiefel nur einige Meter von ihr entfernt.

"Amelia ist seine Frau. Das ist seine Angelegenheit."

Ava begann, ihre Stiefel anzuziehen. "Weiß er von Amelia Bescheid?"

"Dass sie eine Hexe ist? Nein. Aber sie hatte vor, es ihm zu erzählen, bevor sie ihr Kind zur Welt bringt."

Eine schwangere Hexe also, dachte sie innerlich. "Dann geht es ihn nichts an."

"Ich verstehe, dass Trillium nur für die Sicherheit von Hexen und Wandler sorgen will, aber bitte verstehe doch... Broody gehört zur Familie."

Ava sagte nichts, bis sie ihre Stiefel angezogen hatte. "Das sind nicht seine Angelegenheiten."

"Kannst du das wirklich Broody antun? Einem Mann, den du einst geliebt hast?"

Ava zog sofort eine Augenbraue hoch. "Was willst du damit andeuten... Priesterin?"