Kapitel 68: Ein ungerechtes Schicksal
1.
Akio war geschockt. Elarans letzte Worte klangen, als sei es das Normalste der Welt, jemandem seine Erinnerungen zu zeigen. Doch wie wollte er das tun?
Akio: „Wie willst du mir das zeigen? Wie soll ich deine Erinnerungen sehen?"
Elaran: „Es ist einfacher, als du denkst, aber du musst mir noch einmal vertrauen."
Akio: „Wohin willst du mich bringen? In dein Labor? Deine Bibliothek? Zeigst du mir ein Fotoalbum?"
Elaran: „Nichts dergleichen. Wir gehen zur Vase. Dort werden wir etwas tun, das nur mithilfe der Vase funktioniert."
Akio zuckte unwillkürlich zusammen.
Akio: „Die Vase? Nein! Niemals! Ich werde nie wieder auch nur einen Finger auf diese Vase legen. Ich will das nicht noch einmal sehen!"
Elaran: „Du bist nicht allein, Akio. Wir machen es zusammen. Wir legen beide gleichzeitig unsere Hände auf die Vase. Ich verspreche dir, dass nichts passiert, was ich nicht vorher erklärt habe."
Akio: „Und dann? Was wird passieren?"
Elaran: „Dann wirst du meine Erinnerungen sehen. Die Vase kann Mana anzapfen und nutzt dieses, um Erinnerungen zu offenbaren. Sie kennt keine Zeit und unterscheidet nicht zwischen Vergangenheit und Zukunft."
Akio: „Das ergibt keinen Sinn. Warum habe ich dann vorher so seltsame Visionen gehabt? Es wirkte wie eine Warnung an die Zukunft."
Elaran: „Weil die Vase deine Verbindung zurzeit berührt hat. Sie hat dir das gezeigt, was dein Mana selbst als Warnung interpretiert hat. Die Vase lügt nicht, Akio. Sie zeigt, was wahr ist – ohne Filter."
Akio: „Und was willst du mir zeigen?"
Elaran: „Meine Wahrheit. Den Krieg, meine Sorgen, meinen Wandel. Aber nur das, was notwendig ist, damit du verstehst."
Akio musterte Elaran misstrauisch, dann seufzte er tief.
Akio: „Wenn du mir wirklich die Wahrheit zeigen kannst, dann werde ich dir glauben. Aber nur unter einer Bedingung: Du bleibst bei mir."
Elaran nickte ernst.
Elaran: „Ich lasse dich nicht allein, Akio. Lass uns anfangen."
2.
Gemeinsam legten Akio und Elaran ihre Hände auf die Vase. Ein kalter Wind schien den Raum zu durchziehen, und plötzlich verblasste die Welt um sie herum.
?: „Elaran? Bist du hier?"
Elaran (jung): „Ja, ich bin hier. Was ist passiert? Wo sind die anderen?"
?: „Verdammt, Elaran! Du solltest bei ihnen bleiben. Sie brauchen dich!"
Elaran (jung): „Als ob meine Magie etwas bewirken könnte. Ich bin kein Krieger."
?: „Spinnst du? Du könntest Hunderte retten – oder Feinde ins Grab schicken!"
Elaran (jung): „Und wozu? Um noch mehr zu töten? Ich bin kein Mörder."
?: „Du solltest deine Gabe nutzen, um zu beschützen, nicht um zu töten!"
Elaran schwieg, sein Gesicht voller Zweifel. Akio beobachtete die Szene mit weit aufgerissenen Augen.
Akio: „Das bist du? Aber… das sieht aus, als sei es vor Jahrhunderten gewesen."
Elaran: „Das war vor über 200 Jahren. Der große Krieg der Rassen. Manche nennen ihn den magischen Krieg oder den 200-jährigen Krieg."
Akio: „Wie kann das sein? Du siehst genauso aus wie heute."
Elaran: „Das erkläre ich dir später. Lass uns weitermachen."
3.
Die Umgebung veränderte sich. Akio fand sich in einem altertümlichen Konferenzraum wieder. Möbel aus dunklem Holz standen um einen großen Tisch.
1: „Der Krieg dauert viel zu lange. Unsere Leute verlieren den Verstand."
2: „Die Soldaten wissen nicht einmal mehr, warum sie kämpfen. Es muss aufhören!"
Elaran (jung): „Es gibt keine einfache Lösung. Die Gründe für den Krieg ändern sich ständig."
3: „Elaran, du bist der Stärkste unter uns. Kannst du sie nicht mit deiner Magie aufhalten?"
Elaran (jung): „Meine Gravitationsmagie kann nicht alles lösen. Wir brauchen eine Strategie, keine rohe Kraft."
2: „Was schlägst du vor?"
Elaran (jung): „Vielleicht… könnten wir die Soldaten ins Koma versetzen und sie vom Schlachtfeld bringen. Aber selbst das birgt Risiken."
1: „Besser, als weiterzukämpfen. Wir brauchen eine Entscheidung."
Die Stimmen wurden leiser, als die Szene verblasste.
Akio: „Das warst du? Du hast versucht, den Krieg zu beenden?"
Elaran: „Ich habe versucht, Leben zu retten. Aber selbst gute Absichten führen manchmal zu schrecklichen Konsequenzen. Lass mich dir zeigen, was danach geschah."
4.
Die Umgebung um die beiden herum verblasste vollständig, als Akio und Elaran ihre Hände auf die Vase legten. Akio fühlte sich, als würde er durch ein Meer aus Erinnerungen treiben, bis die Bilder um ihn herum klarer wurden. Sie befanden sich auf einem rauen Schlachtfeld. Der Himmel war von dunklen Wolken durchzogen, der Geruch von verbranntem Holz und Blut lag in der Luft.
Akio: „Was ist das hier? Wo sind wir?"
Elaran: „Das ist der Ort, an dem ich vor 200 Jahren kämpfte. Es ist der große Krieg der Rassen, wie er in den Geschichtsbüchern beschrieben wird."
Akio sah, wie die Soldaten aufeinander einstürmten, ohne Rücksicht auf Verluste. Er bemerkte jedoch auch die Angst in den Gesichtern der Kämpfer.
Akio: „Das ist kein Krieg… das ist Wahnsinn."
Elaran: „Es war der Wahnsinn. Niemand wusste mehr, wofür er kämpfte. Es war ein endloser Kreislauf aus Blut und Rache."
Inmitten des Chaos sah Akio eine jüngere Version von Elaran. Sein Gesicht war entschlossen, aber seine Augen verrieten einen tiefen inneren Konflikt. Er stand inmitten eines Kreises von Soldaten, die ihn anzuflehen schienen.
Soldat 1: „Elaran, bitte! Wir brauchen deine Hilfe, sonst werden wir alle sterben!"
Elaran (damals): „Ich kann euch nicht helfen. Ich kann nicht noch mehr Leben nehmen."
Soldat 2: „Aber wenn du nichts tust, sterben wir alle! Ist das etwa besser?"
Elaran (damals): „Es gibt keinen richtigen Weg in diesem Krieg. Alles, was wir tun, ist falsch."
5.
Die Szene änderte sich abrupt. Sie befanden sich nun in einem großen Versammlungsraum, der von einem warmen Licht erfüllt war. Die Atmosphäre war angespannt, und die Luft war erfüllt von hitzigen Diskussionen.
Rebell 1: „Wir können nicht einfach zusehen, wie unsere Leute abgeschlachtet werden!"
Rebell 2: „Aber was sollen wir tun? Jeder unserer Schritte wird von der Regierung überwacht!"
Elaran (damals): „Beruhigt euch. Wir müssen einen Plan entwickeln, der die Regierung ins Wanken bringt. Gewalt allein wird uns nicht weiterhelfen."
Rebell 3: „Und was schlägst du vor, Elaran? Sollten wir uns ergeben und hoffen, dass sie uns verschonen?"
Elaran (damals): „Natürlich nicht! Aber wir müssen ihre Schwächen nutzen. Die Vase der Einheitlichkeit ist der Schlüssel. Wenn wir sie erobern, können wir zeigen, dass ihre Macht nicht unantastbar ist."
Akio: „Du warst also ein Anführer der Rebellen?"
Elaran: „Ich war ein Teil von ihnen, ja. Aber auch damals wusste ich nicht, ob das der richtige Weg war."
Die Rebellen diskutierten weiter, und Akio beobachtete fasziniert, wie Elaran versuchte, die Gruppe zusammenzuhalten, während er gleichzeitig mit seinen eigenen Zweifeln kämpfte.
6.
Die Szene verblasste erneut und wurde von einer neuen, beklemmenden Vision ersetzt. Sie standen auf einem Hügel, der einen Blick auf ein verwüstetes Schlachtfeld bot. Der Boden war von Blut durchtränkt, und überall lagen die Körper gefallener Kämpfer – Menschen und Nicht-Menschen gleichermaßen.
Akio: „Das ist… grauenhaft."
Elaran: „Das war der Moment, in dem ich alles verlor. Meine Kameraden, meine Überzeugungen… alles."
Akio sah, wie der jüngere Elaran kniete, umgeben von den Leichen seiner Freunde. Er hielt eine Fahne in der Hand, die langsam in den Matsch sank.
Elaran (damals): „Warum… warum musste es so enden?"
Akio: „Das tut mir leid, Elaran. Aber… was passierte danach?"
Elaran: „Danach begann ich, meine Magie und mein Leben zu hinterfragen. Ich schwor mir, niemals wieder blind einer Sache zu folgen, ohne sie zu verstehen."
Akio fühlte den Schmerz und die Verzweiflung, die Elaran durchgemacht hatte. Als die Vision endete, standen sie wieder vor der Vase. Akio sah Elaran an und nickte langsam.
Akio: „Ich glaube dir, Elaran. Ich verstehe jetzt, warum du tust, was du tust."
Elaran: „Und wirst du uns helfen?"
Akio: „Ja, ich werde helfen."
7.
Ferruccio dachte darüber nach, ob die Mordopfer wirklich Menschen waren. Die bisherigen Ergebnisse deuteten darauf hin, dass das Blut nicht mit den Proben aus den Polizeidaten übereinstimmte. Doch etwas stimmte nicht. Die Untersuchung hatte ergeben, dass das Blut menschlich wirkte, aber dennoch nicht vollständig menschlich war. Es war eine irritierende Mischung aus Vertrautem und Fremdem.
Büro der Spurensicherung – Ferruccio und Techniker:
T: „Verstehen Sie das, Herr Firenze? Die Ergebnisse ergeben wieder keinen Sinn. Zuerst sagen sie, dass es sich wohl um Menschenblut handelt, und dann behaupten sie, dass es dem menschlichen Blut nur ähnlich sei."
F: „Wundervoll. Das geben sie uns als Antwort auf die Frage, ob es nun Menschenblut ist oder nicht."
T: „Hatten Sie denn etwas anderes erwartet?"
F: „Ja. Ich hielt es für möglich, dass es sich dabei um das Blut von Elfen handeln könnte."
T: „Elfen? Gibt es denn überhaupt noch Elfen?"
F: „Bis vor diesem Fall hätte ich das auch angezweifelt. Aber es würde passen. Elfenblut ähnelt Menschenblut am meisten und ist trotzdem nicht in unseren Datenbanken zu finden."
Ferruccio blickte aus dem Fenster. Draußen war es ruhig, doch in seinem Kopf herrschte ein Sturm.
T: „Denken Sie wirklich, es könnte Elfenblut sein? Das würde ja bedeuten, dass es noch Elfen gibt. Und warum sollten Elfen menschliche Köpfe und Haut sammeln?"
F: „Wenn sie es tatsächlich tun, könnten sie viele Gründe haben."
T: „Nennen Sie mir einen."
F: „Ich kann dir mindestens drei nennen." Ferruccio drehte sich mit ernstem Blick um.
T: „Ich wollte doch nur einen…"
F: „Erstens: Rache. Sie könnten glauben, dass die Menschen ihnen alles genommen haben. Zweitens: Tarnung. Vielleicht nutzen sie die Haut für magische Operationen, um sich unter Menschen zu verstecken. Drittens: Forschung. Es könnte etwas in den Schädeln der Opfer sein, etwa gut ausgebildete Gehirnareale."
T: „Das klingt absurd. Welchem Zweck sollte letzteres dienen?"
F: „Es war nur ein Brainstorming. Nichts davon muss wahr sein." Ferruccio setzte sich hin und stützte seinen Kopf auf die Hand. „Ich habe das Gefühl, dass wir bald mit dem Blut allein nicht weiterkommen."
T: „Das Gefühl habe ich auch. Was machen wir, wenn wir keine neuen Erkenntnisse gewinnen können?"
F: „Wir dürfen unsere Energie nicht auf Was-wäre-wenn-Szenarien verschwenden. Aber wir können sagen, dass es sich um menschenähnliches Blut handelt. Vielleicht Elfenblut."
T: „Warum wäre dann Elfenblut an einem Tatort? Sind die Elfen die Täter oder die Opfer?"
Ferruccio hielt inne und dachte nach. Die Frage nagte an ihm.
F: „Wenn die Elfen Opfer wären, würde das erklären, warum ihr Blut da ist. Aber es wäre unwahrscheinlich, dass sie sich an jedem Tatort verletzen."
T: „Vielleicht denken sie, sie handeln im Sinne ihrer Gruppe und opfern sich dafür?"
F: „Oder sie wurden gezwungen. Waren die Opfer an den Tatorten eigentlich immer blutleer?"
T: „Selten. Wieso?"
F: „Das Blut aus den Lachen entsprach zwar dem der Opfer, war aber nie exakt zuordenbar." Er stand auf. „Was ist da, auch wenn wir es nicht sehen können? Was ist immer da, hält uns am Leben und ist nicht sichtbar?"
T: „Wovon reden Sie, Herr Firenze?"
F: „Magie! Das Blut muss magisch manipuliert sein. Es erklärt, warum die Forscher nichts erkennen können."
T: „Wollen Sie sagen, dass die Morde und die Manipulation magischen Ursprungs sind?"
F: „Ja. Das ist kein Fall für das Labor, sondern für die Magiekommission."
Ferruccio spürte einen Adrenalinschub. Plötzlich schien alles klarer.
T: „Wenn das Blut magisch manipuliert ist, wie wurde das gemacht?"
F: „Es könnte Mana im Blut sein. Wir müssen es darauf testen."
T: „Kann man Mana zurückverfolgen?"
F: „Nein, aber man kann die Elementarsignatur feststellen. Damit wissen wir, welche Magie gewirkt wurde."
T: „Das ist brillant. Wenn das stimmt, könnten wir den Kreis der Verdächtigen eingrenzen."
F: „Und wir erfahren, ob das Blut nach dem Auflösen der Manipulation doch Menschenblut ist."
Ferruccio lehnte sich zurück und atmete tief durch. Die Möglichkeit, dass Elfen oder magische Manipulation im Spiel waren, änderte alles. Der Fall war komplex, aber die Magie könnte der Schlüssel sein, um das Rätsel zu lösen.